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Mimikmeister. Michael Volle singt den alternden Don Giovanni. Hinter ihm wartet schon der untote Komtur (Peter Rose) darauf, Gericht zu halten. 

© Matthias Baus

"Don Giovanni" in der Staatsoper Unter den Linden: Der ewige Stenz auf Tinder

Die Inszenierung der Mozart-Oper überzeugt mehr als Ohren- denn als Augenschmaus. Allen voran: Michael Volle in der Titelrolle

Es gibt viele Gründe, mit E.T.A. Hoffmann einverstanden zu sein: Mozarts „Don Giovanni“ ist eine der bedeutendsten, wenn nicht die bedeutendste Oper aller Zeiten. Dafür sprechen die raffinierte Verwendung der Tonarten bei gleichzeitiger Desavouierung ihrer traditionellen Bedeutungen. Oder die für 1787 völlig neue Durchlässigkeit von Opera seria und Opera buffa mit der Zentralfigur des adeligen Wüstlings in der Mitte, der keiner Ebene allein zugehört und frei flottiert. Und natürlich Mozarts grenzenlose Menschen- und ergo auch Figurenliebe, die selbst auf einen Kerl wie Don Giovanni, der allein in Spanien 1003 Frauen verführt hat, mit ironischem Lächeln blickt. Dessen große Zeit ist schließlich vorüber – dem Don Giovanni, den Mozart und Librettist da Ponte präsentieren, will nichts mehr gelingen.

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Das hat Regisseur Vincent Huguet an der Berliner Staatsoper zu der mit Michel Foucault unterfütterten These inspiriert, Mozarts drei da-Ponte-Opern würden einen Lebenszyklus spiegeln, von der Jugend („Così fan tutte“) über die etablierte Ehe („Le nozze di Figaro“) zur Reifezeit eben in „Don Giovanni“. Da ist wahrscheinlich viel hineingemutmaßt, chronologisch sind die Opern in anderer Reihenfolge entstanden, „Così“ als letzte. Die Pandemie hat die Aufführungsreihenfolge des Zyklus’ zusätzlich durcheinandergewirbelt, doch jetzt konnte er doch zu einem Abschluss gebracht werden.

[ Staatsoper Unter den Linden, wieder am 10., 17 und 20. April, jeweils 19 Uhr]

Dass Huguets These einigermaßen aufgeht, verdankt er einzig und allein einem Sänger: Michael Volle ist – das hat er auch als Hans Sachs in Barrie Koskys Bayreuther „Meistersinger“-Inszenierung eindringlich gezeigt – ein Charakterdarsteller und Mimikmeister erster Güte. In der Titelrolle verkörpert er jetzt exakt jenen gereiften Lebemann, den sich Huguet vorgestellt haben mag: Hemd lose über dem schon ansehnlichen Bauch, Sneaker zur Stoffhose, Monaco Franze auf der Opernbühne. Ein ewiger Stenz, der von den Frauen nicht lassen kann, aber das Abendlicht schon deutlich vor sich sieht. Was er – holt er nicht gerade wie in der blitzschlagkurzen Champagnerarie „Fin ch’han dal vino“ zur wilden Attacke aus – mit erstaunlich lyrischen, sanft- und wehmütigen Baritontönen besingen kann.

Das tut ganz gut: Die fatalen Folgen toxischer Männlichkeit, die man gerade wieder vom Moskauer Kreml bis hin zu Will Smiths Auftritt bei der Oscar-Verleihung besichtigen kann, bleiben hier außen vor.

Barenboims Wiederbegegnung

Für Daniel Barenboim ist dies die Wiederbegegnung mit einer Oper, die sein ganzes Künstlerleben geprägt hat. Als er 1973, nach einer 20-jährigen Pianistenkarriere, beim Edinburgh International Festival erstmals zum Taktstock griff, war es zu „Don Giovanni“. Es folgten Dirigate des Werks in Salzburg, bei den Berliner Philharmonikern und bei insgesamt drei Inszenierungen an der Berliner Staatsoper, von Thomas Langhoff, Peter Mussbach und zuletzt Claus Guth. Dennoch kann von einschläfernder Routine an diesem Premierenabend keine Rede sein. Die Staatskapelle spielt einen vibrierenden, dabei geradezu klassisch ausgewogenen Mozart, mal majestätisch prunkend, mal kleinteilig dahinflitzend. Alle Details und Soli sitzen, von der Cembalo- Rezitativbegleitung bis zum Mandolinensolo. Einzig das Tempo ist, wie schon in Barenboims „Così“-Dirigat im vergangenen Herbst, manchmal doch zu behäbig. Gerade in den beiden turbulenten Finalszenen will die Musik nicht abheben, bleibt am Boden kleben.

Interessanterweise ist „Don Giovanni“, obgleich italienischsprachig, offenbar doch eine „deutsche“ Oper, in Italien hat sie nie den gleichen durchschlagenden Erfolg gehabt wie hierzulande. Barenboim hofft im Interview, dass sich trotzdem viele italienische Sängerinnen und Sänger für das Werk interessieren, ein besonderes muttersprachliches „Sprachrubato“ sei wichtig, um diesen „italienischen Mozart“ aufzuführen. Mit Riccardo Fassi steht in Berlin einer von ihnen auf der Bühne, als drahtiger, schlanker Leporello, der sich nach der aufgeflogenen Verkleidungsszene auch topless präsentieren muss. Rein physisch würde man ihm, dem zweifelnden Diener und Spießgesellen Don Giovannis, Eroberungszahlen im vierstelligen Bereich eher zutrauen als seinem Herrn. Dass Fassi einen wohlgeformten Bariton besitzt, ist zu ahnen, geht aber manchmal unter, da er nicht immer besonders fokussiert singt.

Brillante Besetzung

Was man von der übrigen Besetzung nicht sagen kann. Sie brilliert auch stimmlich frei heraus, allen voran die drei Frauen: Slávka Zámecniková als zwischen Leidenschaft und Zögern zerrissene Donna Anna, Elsa Dreisig als schutzlos der Hysterie preisgegebene Donna Elvira, Serena Sáenz als frischwärts losstürmende Zerlina. Bogdan Volkov versucht gar nicht erst, dem bist zur Selbstaufgabe braven und in passiver Hingabe zerfließenden Don Ottavio ein neues Image zu schenken, bekommt aber für seine edel gesungenen beiden Arien viel Applaus. David Ostrek gibt einen sympathisch tölpelhaften Masetto, Peter Rose einen donnernden, stimmgewaltigen Komtur, der am Ende über Don Giovanni buchstäblich zu Gericht sitzt.

Szenisch ereignet sich wenig Erwähnenswertes (Bühne: Aurélie Maestre). Don Giovanni feiert als Modefotograf Vernissage in einem hypermodernen, von kahlen Betonwänden geprägten Studio. Leporello singt die Registerarie mit Tablet, Tinder-geübte Finger wischen eine endlose Bilderreihe schöner Frauen zur Seite. Nun ja. Dies ist, im direkten Vergleich mit dem dämonischen „Don Giovanni“, der gerade parallel an der Komischen Oper zu sehen ist, eine sehr „erwachsene“ Inszenierung. Kein Augen-, aber über weite Strecken ein Ohrenschmaus. Udo Badelt

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