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Hat sich zuletzt mit Berlin nicht leicht getan: der chinesische Künstler Ai Weiwei.

© Christoph Soeder/dpa

Dokumentation „Vivos“: Warum läuft Ai Weiweis Film nicht auf der Berlinale?

Es ist eine unglückliche Affäre: die diesjährige Berlinale, der Künstler Ai Weiwei und sein Mexiko-Dokumentarfilm „Vivos“. Der Versuch einer Erklärung.

Er dauert 112 Minuten und lief im Januar auf dem Filmfest in Sundance. Auf der Berlinale wird „Vivos“, Ai Weiweis Dokumentation über die 43 verschwundenen und sechs getöteten mexikanischen Studenten nicht zu sehen sein. Darüber beklagt der Künstler sich, dem Tagesspiegel sagte er Anfang der Woche: „Ich bin ein Dissident aus China, ich arbeite hart an diesen Filmen. Das Festival zeigt 400 Filme und kann den einen nicht zeigen?“

Ein Topkünstler, China-Dissident und Menschenrechtsaktivist wie Ai Weiwei, abgelehnt von jenem Festival, das sich immer gegen Zensur und für politisch verfolgte Künstler und Geflüchtete engagiert? Ist die Doku so schlecht, dass man auf den prominenten Namen lieber verzichtet? Bei einer Festivaleinladung sollen ja Qualitätskriterien den Ausschlag geben. Wer verantwortungsbewusst kuratiert, für den verbietet sich ein Star-Bonus. Den Vorwurf, sie zeige mittelmäßige Filme bloß wegen der Themen, musste die Berlinale sich ja schon oft anhören.

Auf Nachfrage bei der Berlinale (es sind 340 Filme, nicht 400) hieß es, Ai Weiweis Produktionsfirma habe Mitte Dezember auf eine schnelle Entscheidung gedrungen, wegen einer anderen Festivalanfrage. Diese habe die Sektion Panorama, wo der Film gesichtet worden war, mitten im Auswahlprozess noch nicht treffen können.

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Nun kann sich, wer den Film nicht kennt, kein Urteil darüber bilden, ob der Verweis auf das übliche Prozedere angemessen ist: Festivals laden besonders gelungene Filme auch vor dem Ende sämtlicher Sichtungen ein. Da „Vivos“ seine europäische Premiere auf einem anderen Festival feiern soll – auf welchem, ist noch nicht bekannt –, läuft das Werk auch nicht in der Ai-Weiwei-Filmschau im Babylon Mitte, die am Mittwoch beginnt.

Ein Versuch über die tägliche Bürde der Trauer

Aber man kann die Kritiken nachlesen, die zur Weltpremiere in Sundance erschienen sind. Das Independentfestival in Park City, Utah, versteht sich seit jeher auch als Plattform für politische Filme, „Vivos“ lief dort nicht im Wettbewerb, sondern in der Doku-Reihe „Premieres“. Das Fachblatt „Variety“ spricht von einer im Vergleich zu Ai Weiweis Filmen über die globale Flüchtlingskrise („Human Flow“, „The Rest“) intimeren Arbeit. Keine Investigativrecherche zum Busüberfall und zum Verschwinden der Studenten in Iguala im September 2014 , sondern Talking Heads, Erzählungen der Hinterbliebenen – und die Beobachtung von deren Arbeitsalltag.

Szene aus "Vivos".
Szene aus "Vivos".

© Sundance Festival

Gedreht haben fünf Kameraleute, einer davon Ai Weiwei. Der Titel basiert auf einem der Slogan der Protestmärsche in Mexiko City: „Vivos, se los llevaron! Vivos, los queremos!“ Lebend wurden sie verschleppt, lebend wollen wir sie zurück.

Ein Versuch über die tägliche Bürde der Trauer: Ähnlich liest es sich in „Screen International“ („kraftvolle, einfühlsame Studie über Menschen, die von der Tragödie heimgesucht wurden“) und im „Hollywood Reporter“. Wobei sie eine stärkere filmische Gestaltung vermissen.

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Der „Hollywood Reporter“ moniert, dass man bei einem herzzerreißenden Interview nach dem anderen den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Die Botschaft verliere sich „in einem Dschungel unentwickelter Ideen“ . Als Konzeptkünstler hatte Ai Weiwei schon in China Ereignisse dem Vergessen entrissen, in dem er nachfragte, Namen sammelte, Listen anlegte – etwa nach dem Erdbeben von Sichuan.

Im Exil arbeitet Ai Weiwei zunehmend filmisch mit dieser Methode. Auch wenn die „Vivos“-Kritiken eher nicht auf ein Meisterwerk schließen lassen, würde man den Film gerne sehen, schon wegen der offenbar eindrücklichen Aussagen der Befragten. Das Berlinale-Panorama zeigt dieses Jahr sechs Filme aus Sundance.

Die dortige Festivalteilnahme war kein Ausschlusskriterium, das betont Sektionsleiter Michael Stütz. Und beschränkt sich einmal mehr auf den Verweis, man habe Ai Weiwei zum erbetenen Zeitpunkt „keinen Platz im Programm anbieten“ können. Die Berlinale und Ai Weiwei, eine unglückliche Affäre.

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