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Eigensinniger Künstler. Robert Frank in einer Szene aus "Robert Frank - Don't Blink".

© Grasshopper Film

Dokumentation über Robert Frank: Chaos ist sein Konzept

Lebensliebhaber mit mürrischer Außenwirkung: Ein Portrait des exzentrischen Fotografen und Filmemachers Robert Frank versammelt Impressionen aus dessen Leben und Werk.

Was genau lässt ein Foto gut erscheinen? Es muss scharf sein, sagt Robert Frank, man sollte alles einwandfrei erkennen können; und die Menschen müssen freundlich lächeln. Nein, er meint das natürlich nicht ernst. Sein eigenes Werk liefert dazu die Antithese: Für soziales und politisches Elend interessiert sich Frank, früh geprägt von Walker Evans und dem Newsreel-Naturalismus in den Kinos, außerordentlich. Technische Nachlässigkeiten sprechen keineswegs gegen die Qualität eines Bildes. Man müsse eben schnell sein, damit die Fotografierten gar nicht erst realisieren, dass man ihnen mit dem Objektiv zu nahe tritt.

Der gebürtige Schweizer Robert Frank, inzwischen in seinem 93. Lebensjahr, ist heute eine wiedererkennbare Größe. Die knarrende Stimme, die leicht schiefe, oft punkig-krakelige Schrift, vor allem aber sein scharf- und eigensinniger Weltblick gehören zu den Insignien der US-Nachkriegs-Avantgarde. Dabei ist er auch ein widerborstiger Künstler, der Interviews hasst und sich einen Panzer aus wohldosierter Unfreundlichkeit zugelegt hat.

Die bisweilen mürrische Außenwirkung täuscht jedoch: Frank ist ein Menschenfreund, ein Affektkünstler und Lebensliebhaber. Die Cutterin Laura Israel, seine langjährige Mitarbeiterin, hat nun einen Film über ihren Mentor gedreht. „Robert Frank – Don’t Blink“ versammelt Impressionen aus dessen Leben und Werk, mit privilegiertem Zugang zu seinen Lebensräumen im New Yorker East Village und im kanadischen Nova Scotia.

Erstaunlich viel Stoff für nur 80 Minuten

„Robert Frank – Don’t Blink“ ist dicht gewoben aus Filmausschnitten, Fotos, Bildern von Kontaktabzügen, Objekten, Notizen und Briefen, aus Archivmaterial und neuen Szenen mit Frank und einer Reihe alter Wegbegleiter. Die atemlose Montage wirkt ein bisschen getrieben von dem Wunsch, Druck zu machen, möglichst alles gleichzeitig zu registrieren. Franks Fotografien, die hier in großer Zahl auftauchen, sind in Israels Sekundenpuls leider nur lückenhaft zu erfassen. Andererseits bringt sie so erstaunlich viel unter in bloß 80 Minuten. Sie hetzt im Tigersprung durch das knappe Jahrhundert, das Frank durchmessen hat: von seiner Kindheit in Zürich über die Gebrauchsfotografie, die er für „Harper’s Bazaar“ in den späten vierziger Jahren herstellte, und die frühe erste Ehe bis zur Karriere-Initialzündung. Der einflussreiche Fotoband „The Americans“ aus dem Jahr 1958, für den Frank gut 27 000 Fotos, die im Rahmen einer zweijährigen Reise durch Nordamerikas Stadtlandschaften entstanden, auf 83 Bilder verdichtet, erregte damals öffentlichen Unmut. „Sinnlose Unschärfen“ attestierte die Kritik, man beklagte trübe, grobkörnige Bilder und die „allgemeine Schlamperei“ seiner Kunst: „ein trauriges Gedicht für kranke Menschen“.

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Statt es sich in einer Existenz als umstrittener Starfotograf gemütlich zu machen, wählt er die nächstgrößere Herausforderung: das Kino. Von seinem radikal spielerischen Regiedebüt „Pull My Daisy“ (1959) ausgehend, das zur Rahmenvereinbarung der Beat Generation wurde, entwickelte er ein zunehmend exzentrisches Werk, das von den Beatniks bis zu den Hippies führt. 1972 drehte er mit den Rolling Stones den Tour-Dokumentarfilm „Cocksucker Blues“, den die Band danach sofort wieder aus dem Verkehr zog. Der tragische Tod seiner beiden Kinder zeichnet sich in Franks Werdegang ebenso selbstverständlich ab wie die Erkenntnis, dass das Leben weitergehen muss, wenn auch verdunkelt, depressionsverhangen.

Ein Müll- und Lumpensammler

Spontaneität und Improvisation sind sein Gegengift: „I create chaos“, sagt Frank im Film. Es gelte, sich niemals zu wiederholen. Im kenntnisreichen Soundtrack sind Wahlverwandte wie Patti Smith und Tom Waits zu hören, Bob Dylan singt sein „Hiding Too Long“, als meine er den zurückgezogenen Exilschweizer, und Johnny Thunders betont die Immaterialität der Erinnerung („You Can’t Put Your Arms Around A Memory“).

Franks Widerwillen, sich von Dingen zu trennen, hat mit dem Zwang zu tun, sich über Bilder und Worte den Schatten dessen zu bewahren, was man verloren hat. Seine Frau, die Künstlerin June Leaf, fand ihn arrogant und charmant zugleich, als sie ihn kennenlernte. Heute liebe sie an ihm, dass er so sei, wie er sei: ein Müll- und Lumpensammler. Am Ende steht Robert Frank immer auf der Seite des Kinos: Ein Foto sei nur eine Erinnerung, die man ablege, erklärt er, ein Film dagegen sei auch nach Jahrzehnten noch lebendig, bringe das Einst ins Jetzt zurück. Viel müsse man da nicht können: neugierig sein, die Augen offen halten, nicht wackeln – und niemals blinzeln.

In 8 Berliner Kinos, alle in OmU

Stefan Grissemann

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