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Jens Söring beim Interview im Buckingham Correctional Center.

© Filmperspektive

Dokumentarfilm über den Fall Söring: Ein mörderisches Versprechen

Sie wollte die Tat, er führte sie aus: Jens Söring beging 1985 einen Doppelmord, heute sitzt er in den USA hinter Gittern. Ein Dokumentarfilm rollt seinen Fall neu auf.

Der Mann wirkt jünger, als er ist, er spricht ausgeruht, reflektiert, engagiert. Es könnte eine Szene am politischen Talkshowtisch sein, aber Jens Söring sitzt im Besucherzimmer des Buckingham Correctional Center im US-Bundesstaat Virginia, einem Gefängnis mittlerer Sicherheitsstufe für rund 1000 Insassen. Söring ist ganz bei sich, hochkonzentriert, aber auch sehr auf den Eindruck bedacht, den er hinterlassen will. Dann beginnt er mit seiner Geschichte. „Ich habe mein Leben zerstört, weil ich dachte, dass es sich um Liebe drehte“, sagt er. „Aber das tat es nicht.“

Das Leben, das Söring einmal führen wollte, endete mit dem Doppelmord an Derek und Nancy Haysom am 30. März 1985. Elizabeth, die Tochter des Paares, war seine Geliebte. Es war ein schauriges Verbrechen im Haus der Eltern. Die Haysoms lagen in ihrem Blut, die Köpfe von den Körpern fast getrennt. Sie mussten den oder die Täter gut gekannt haben, offenbar gab es ein gemeinsames Abendessen. Nancy Haysom trug einen Hausmantel – das tat sie sonst nie, wenn jemand zu Besuch kam.

Der deutsche Söring, Diplomatensohn, in Thailand geboren, mit besten Schulnoten und gepflegtem Englisch, war der etwas älteren Elizabeth bei einem studentischen Grillabend begegnet. Eine schöne junge Frau aus reichem Haus trifft auf den Nerd mit der Riesenbrille. Er warb um sie, sie ergab sich ihm, wurde seine erste und bis heute einzige Freundin. Alle begehrten sie. Er, damals 18-jährig, zog den Hauptgewinn. Sie offenbarte sich, erzählte ihm von lesbischen Geliebten und vom Missbrauch durch ihre Mutter. Er schrieb glühende Briefe, in denen er den Welten- und Elternzorn der Gefährtin aufnahm und verstärkte. Heute sitzt sie ein paar Meilen entfernt im Frauengefängnis, verurteilt zu 90 Jahren Haft. Söring hat zweimal lebenslang.

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„Das Versprechen“ von Marcus Vetter und Karin Steinberger ist eine Spurensuche und ein Gerichtsdrama mit klarer Haltung von Anfang an. Söring ist ein Opfer. Das Opfer seiner früheren Freundin, aber auch das eines aus mitteleuropäischer Sicht befremdlichen Justizsystems. Der Regisseur und die Journalistin versuchen es mit einer Revision, doch sie belassen es nicht bei der Bewertung von Rechts- und Beweisfragen. Sie rollen den Fall neu auf. Sie folgen einem Detektiv, der Entlastungszeugen präsentiert, richten den Blick auf die Gutwilligen, die Söring teils seit vielen Jahren in seinem Kampf um Freiheit unterstützen. Auch unter deutschen Politikern hat sich der Inhaftierte Freunde gemacht.

So, wie ihn die Kamera zeigt, erklärt sich das. Es fällt leicht, ihn zu mögen. Er spricht über seinen Fall wie einer, der ihn zugleich selbst und als Beobachter erlebt hat. Der ihn seit Jahrzehnten in seinem Kopf dreht und wendet, wie es sonst niemand kann, am wenigsten ein Gericht.

Beim Betrachten der Aussagen Elizabeth Haysoms vor Gericht schlägt dieser Eindruck in sein Gegenteil um. Sie kennt nur eine Wahrheit, ihre Geschichte. Keine Zweifel. Die Fundstücke mit ihren Auftritten sind der Höhepunkt der filmischen Rekonstruktion und zugleich Beleg dafür, warum die Wahrheitsfindung der Justiz so oft scheitern muss. Die Lüge ist als Lüge so greifbar, dass sie keine sein kann. Oder eben doch? Die Entschiedenheit Haysoms, ihre Gefasstheit fasziniert. Sie wollte die Tat, Jens führte sie aus, so erzählt sie es. Auch noch Jahrzehnte später, wenn sie beteuert, sie würde es von allen Gipfeln rufen, wenn Jens mit der Tat nichts zu tun gehabt hätte.

Filmemacher nehmen das US-Strafrecht in Fokus

Der ethnologische Teil beginnt dort, wo die Filmemacher das US-Strafrecht in den Fokus nehmen – allerdings nur um es zu beschreiben, nicht um es zu ergründen. Die Parallelwelt des Geschworenensystems ist immer wieder ein hinreißender Stoff für Gerichtsdramen; wenn es aber Schicksale schafft, wird einem unwohl. Die Grenzen zwischen Überzeugung und Überredung verschwimmen, wenn Staatsanwälte sich einen Furor aneignen, als wären sie die eigentlichen Opfer, während müde Richter wankelmütig und nach den Gepflogenheiten des jeweiligen Bundesstaats Fragen erlauben oder verbieten. Dem System gegenüber sitzt ein offenbar unreifer, aber intellektuell gewandter Jüngling, der geglaubt hatte, es mit einem falschen Geständnis und dem väterlichen Status austricksen zu können. Söring hatte anfänglich alle Schuld auf sich genommen, weil er glaubte, ihn schütze diplomatische Immunität.

Solch einer Verstrickung entkommt ein Angeklagter in den USA nur schwierig. Warum sollte einer etwas gestehen, das er nicht getan hat? Die Alltagsrationalität übergeht die Tatsache, dass falsche Geständnisse häufig sind. Söring wurde es zum Verhängnis – es ist der schwerste Vorwurf unter den vielen, die er an sich selbst richtet. Es spricht einiges dafür, dass er von einem deutschen Gericht bei identischer Sachlage niemals verurteilt worden wäre.

„Das Versprechen“ erwartet einiges an Interesse und Vorverständnis, damit sich das Bild vom Geschehen runden kann. Zu komplex ist der Fall, um etwas anderes zu erzählen als ein effektvoll arrangiertes Doku-Drama mit offenem Ausgang. Der Protagonist braucht diesen Film, beide suchen das Publikum. Es war das vorläufig letzte Mal, dass Söring Interviews geben durfte. Die Öffentlichkeit ist seine Chance, um Aufmerksamkeit und politischen Druck zu erzeugen. Es ist ein im Prinzip ähnlicher Kampf um die Gunst wie damals jener um die Jury, den er verloren hat. Heute sind seine Aussichten besser.

Ab 27. Oktober in den Berliner Kinos Central, Sputnik-Kino, Tilsiter Lichtspiele, ladenKino, Filmkunst 66

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