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Immer an der Wand lang. Die Filmemacher Karin Kaper und Dirk Szuszies an der East Side Gallery.

© Florian Boillot/Davids

Dokumentarfilm "Berlin East Side Gallery": Die Power-Mauer

Touri-Attraktion, Kunstwerk, Streitpunkt: Seit 25 Jahren gibt es die East Side Gallery. Zwei Dokumentarfilmer erzählen ihre Geschichte.

Wann ist das eigentlich passiert, dass die East Side Gallery unsexy wurde? Natürlich nicht im Bewusstsein der Welt, die in stetig wachsenden Scharen an die bemalte Mauer strömt – sondern im Kopf der Berliner?

Viele betrachten das rund 1300 Meter lange Stück Mauer zwischen Ostbahnhof und Oberbaumbrücke nur noch als verkrachtes Gedenk-Disneyland, nicht ganz so nervig wie der Checkpoint Charlie, aber fast. Ein mit Assoziationen wie Sanierungsheckmeck und Künstlergezicke verminter Ort, von Einheimischen gemieden, Touristen überlassen, nur im Rahmen des antikapitalistischen Kampfes gehen die Bauinvestoren der Mediaspree zu verteidigen.

Geliebt wird sie nicht, die Open-Air- Galerie. Und was bei den seit langen Monaten hinter den Kulissen laufenden Verhandlungen zwischen Bund, Senat und der an einer Eingliederung interessierten Stiftung Berliner Mauer herauskommt, ist im anbrechenden 25. Jahr des Bestehens immer noch ungewiss.

"Berlin East Side Gallery": Sechs Jahre touristische Traubenbildung

Da kommt der Kinofilm „Berlin East Side Gallery“ der Kreuzberger Filmemacher Karin Kaper und Dirk Szuszies gerade recht. Seit der Sanierung 2009, die den Anstoß zum unabhängig produzierten und selbst finanzierten Zweistundenfilm gab, haben die beiden Dokumentaristen sechs Jahre dem unablässigen Rauschen der Mühlenstraße und der touristischen Traubenbildung getrotzt.

Die dafür notwendige Souveränität und Gelassenheit haben die beiden in ihren je fünfzehn Jahren als Dokumentarfilmer und Off-Theater-Macher erworben. Und weil sie ihre international erfolgreichen Filme wie „Die letzte Mahadevi“ über eine Österreicherin, die in Burma Prinzessin wurde, oder „Resist“ über das New Yorker Living Theatre auch selbst verleihen, bringen sie zum Treffen im Café „East Side Blick“ einen Stoß Postkarten zum Verteilen mit. Ganz wichtig: Sie wollen weder ein Sprachrohr der Künstlerinitiative East Side Gallery noch der Bürgerinitiative „Mediaspree versenken“ sein – trotzdem haben sie ihren Film mit Empathie (für die Erhaltung) und Wut (gegen Durchlöcherung) gemacht. Und das ganz ohne wohlfeilen Kommentar.

ESG als Schnittstelle zwischen Kultur und Politik

Kommentare kämen von ganz alleine, sagt Dirk Szuszies. „Jeder Berliner hegt ja sein eigenes profund falsches Vorurteil zur East Side Gallery.“ Ob das Kunst sei, ob das nach Sanierung und Bemalung mit Repliken noch authentisch sei, ob so Gedenken funktioniere, ob man ausgerechnet Straßenkunst vor der Straße, also kritzelnden Menschen, schützen müsse. „Von diesem Schaum der Tage, den unzähligen Artikeln, Nachrichtentönen und Fernsehbildern wollen wir die East Side Gallery befreien.“ Kaper und Szuszies zeichnen keine Chronologie, sondern versuchen, in exemplarisch aus 230 Stunden Filmmaterial ausgewählten Interviews mit Künstlern, Sanierern, Straßenimpressionen und privaten Archivbildern die Essenz und Entwicklung der Menschen und Systeme verbindenden Idee der Gallery sichtbar zu machen. Die Schnittstelle zwischen Kultur und Politik.

Was, abgesehen von ein paar Längen, so gut funktioniert, dass man sich hinterher fragt, wie es geschehen konnte, sich als Berliner nicht mehr für diesen einzigartigen Ort zu interessieren. Das längste – für die Filmemacher nur dank des Engagements der Künstler – noch erhaltene Mauerstück, einst Todesstreifen, dann 1990 Schauplatz eines von Dave Monty ausgeheckten und von Christine MacLean organisierten Happenings von 118 Künstlern aus 21 Ländern, am 28. September eingeweiht, 1991 zum Baudenkmal erklärt und seither den Wettern der Zeit, der Erinnerungskultur und der Stadtentwicklung ausgesetzt.

"Den Berliner Wahnsinn kann man nicht zähmen."

„Den Ort selber, der Berliner Wahnsinn, der sich hier austobt, den kann man nicht zähmen“, sind die Regisseure überzeugt. Im Gegensatz zu einer gestalteten, staatlich sanktionierten Gedenkstätte wie der Bernauer Straße spiegelt und bricht sich in und an der East Side Gallery das Berliner Leben. „Diese Mischung aus Überraschendem und Befremdlichem“, wie Dirk Szuszies das nennt. Und tatsächlich lösen nicht nur die im Film parallel montierten Bilder einer spärlich besuchten „Mediaspree versenken“-Demo und der überlaufenen „Lichtgrenze“ im vergangenen November zwiespältige Gefühle aus. Irritierend ist es auch, die sture Anmaßung einer Wienerin zu sehen, die ein Bild der in Sanierung befindlichen Gallery nicht sehen kann („aber ich habe doch die Reise bezahlt!“).

Amüsant ist dagegen der rein sportive Ehrgeiz der ostdeutschen Künstlerin Birgit Kinder, die „unbedingt einen Trabi auf die Mauer malen wollte“. Und rührend wirkt die 2009 mit strahlendem Lächeln vorgetragene völkerverbindende Vision der Japanerin Kikue Miyatake – sechs Jahre später wissend, dass ihr für ein Restaurant an der Oberbaumbrücke versetztes Bild „Paradise Out Of The Darkness“ schon wieder futsch ist, weil komplett von großen Graffitis bedeckt.

Touristenmagnet oder Gedenkort?

Über die Bilder der East Side Gallery zu sprayen, zu malen, zu kritzeln ist für andere Straßenkünstler eben völlig okay. Auch dieses unlösbare Dilemma kommt im Film vor. „Das echte Leben ist wichtiger als das“, spricht einer lächelnd in die Kamera. Da ist was dran. Und doch ist es Quatsch. Vertrackte Sache, diese East Side Gallery. Die längs der Mühlenstraße aufgestellten Täfelchen, die das Verunreinigen und Beschädigen verbieten und strafrechtliche Verfolgung androhen, sind abgewetzt und klein.

Im Film bleibt all das gleichberechtigt nebeneinander stehen. Dass der Ort als Touristenmagnet bestens, aber als Gedenkort ohne flankierendes Informationssystem gar nicht funktioniert, ist trotzdem zu sehen. Karin Kaper wünscht sich denn auch so etwas wie mehrsprachige, multimediale Infosäulen. Auch ihr nicht für den Film genutztes Material bietet sich da möglicherweise zur Auswertung an. Das sind Blütenträume, die man zum 25-jährigen Bestehen nicht nur als Filmemacher, sondern auch als Berliner getrost haben kann. Einen anderen formuliert Dirk Szuszies: „Eine jährliche Reinigung durch den Bezirk muss sein.“ Die East Side Gallery habe nur Bestand, solange die Bilder erkennbar seien. In den bis auf weiteres ultimativen Film zur Gallery jedenfalls sind sie jetzt glücklich gebannt.

Filmpremiere mit Regisseuren und Mitwirkenden ist am 6. Januar um 20 Uhr im Babylon Mitte, Kinostart am 8. Januar.

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