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Für sein Drama "Yol - Der Weg" gewann Yilmaz Güney 1982 in Cannes die Goldene Palme.

© Mitosfilm

Doku über Yılmaz Güney: Clint Eastwood trägt Schnurrbart

Yılmaz Güney drehte seinen größten Erfolg aus dem Gefängnis. Hüseyin Tabak hat dem Star des kurdischen Kinos einen Dokumentarfilm gewidmet.

Es gab Zeiten, in denen Türken und Kurden ihren „hässlichen König“ gemeinsam auf Schultern trugen. Schuhputzer, Taxifahrer und Teehaus-Besitzer schmückten ihre Arbeitsplätze mit Postkarten von Version: Yılmaz Güney. Ergriffen lauschten sie, wenn der Schauspieler, Regisseur und Volksheld dazu aufrief, die Türkei demokratisch umzugestalten, Rechte für Arbeiter einforderte und gegen die Unterdrückung von Kurden und Frauen protestierte.

Der deutsch-kurdische Filmemacher Hüseyin Tabak begibt sich in „Die Legende vom hässlichen König“ – der Titel spielt an Güneys bekanntesten Film an – auf eine fesselnde Spurensuche nach einem vergessenen Helden, der die Generation seiner Eltern begeisterte. Seine Reise zu Güneys Wurzeln findet in Zeiten des Umbruchs durch Erdozan statt, doch der Schüler von Michael Haneke nimmt darauf keinen Bezug. Lieber führt er mit staunender Neugier in Filmszenen, Making-Of-Dokumenten und Zeitzeugengesprächen in die zerrissene Welt des Kinostars ein und schildert die in der Türkei immer noch lebendige Erinnerung an eine Filmkultur, die sich dem diktatorischen Militärregime widersetzte.

Hüseyin Tabak beschreibt Güney als wandelndes Paradox: bäuerlicher Volkstribun und Glamourgestalt, Kämpfer für die Unterdrückten und epischer Geschichtenerzähler, der sich trotz des Erfolgs nie von seinen kurdisch-zazaischen Wurzeln löste. In mehreren Anläufen, bewaffnet mit einer Mind-Map zu den widersprüchlichen Erinnerungen seiner Gesprächspartner, rückt Tabak dem Idol zu Leibe. Dessen Spruch „Im Krieg sind wir Meister, in der Liebe Anfänger“ spukt durch sein Portrait und führt zurück zu Güneys Filmen.

Wurzeln in der anatolischen Hirtenkultur

Yılmaz Güney, 1937 in einem anatolischen Dorf bei Adana in ärmlichen Verhältnissen geboren, verdiente als Kinovorführer sein erstes Geld, wechselte vom Jura-Studium in diverse Filmjobs und avancierte in den sechziger Jahren zum Draufgänger des türkischen Unterhaltungskinos. Der hochgewachsene Lockenkopf setzte mit seinem dunklen Teint, seinem Schnauzer und stoischer Clint-Eastwood-Miene ein neues Image durch. Vorher, erklären Güneys Zeitgenossen in „Die Legende vom hässlichen König“, galten Dandys mit heller Haut als Zugpferde der türkischen Filmbranche.

Mit Güney betrat ein Star die Arena, der selbstbewusst seine Wurzeln in der anatolischen Hirtenkultur zur Schau trug. Wegen seiner kommunistischen Haltung landete er schon Anfang der Sechziger für zwei Jahre im Gefängnis. Doch nach der Entlassung nahm seine Karriere erst richtig Fahrt auf. Die Mischung aus Macho-Allüren und Robin-Hood-Attitüde, die Güneys Exploitationfilme auszeichnete, wirkte in seiner ersten Karriere, als er zeitweise 17 Filme pro Jahr drehte, wie ein Schulterschluss mit Rollenbildern à la James Bond. Doch die Unzufriedenheit mit seinem populären Image wuchs.

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Yılmaz Güney suchte Auswege aus dem Korsett und begann Filme zu produzieren und zu drehen, die die tragischen Bruchlinien der eigenen Kultur in einer realistischen Erzählweise schilderten. In „Kurtlar – Hungrige Wölfe“ (1969) setzte er seine Reputation für eine gnadenlose Abrechnung mit dem Bandenwesen ein, das in der Schmugglerregion im Osten Anatoliens böse Blüten trieb. Güney gibt den wortkargen Kopfjäger, der die Täter in der kargen Schneelandschaft zur Strecke bringt.

„Umut – Die Hoffnung“ bedeutete im folgenden Jahr eine Zäsur in Güneys Karriere und etablierte ihn auch international als politischen Regisseur. In dem Film verliert ein verarmter Kutscher aus der Provinz sein Pferd, flieht in der Not ins Glücksspiel, macht sich mit Gewalt gegenüber seiner Frau und den Kindern Luft und verliert sich schließlich an einen Wanderprediger, einen Hodscha, der irgendwo einen Schatz vermutet. Eine absurde Suche beginnt, Hoffnung und Irrsinn werden eins, am Ende dreht sich der auf seiner Odyssee Erblindete in herzzerreißender Einsamkeit im Kreis.

1981 gelang die Flucht nach Frankreich

Das wuchtige Drama „Sürü - Die Herde“ (1978) erzählt vom Zerfall einer Hirtenfamilie unter dem Diktat ihres tyrannischen Patriarchen. Vater und Söhne sollen ihre Schafe zum Verkauf in die Stadt führen. Dort werden sie Opfer von Betrügern und bleiben mittellos in Adana hängen. Der Alte reagiert mit unerbittlicher Härte auf die drohende Katastrophe, schlägt die unterwürfig erzogenen Söhne, verhält sich brutal-verächtlich gegenüber seiner kranken Schwiegertochter, die eine Krankenhausbehandlung braucht und in abgrundtiefes Schweigen verfällt.

„Sürü“ musste Güney bereits aus dem Gefängnis drehen. 1974 war er unter undurchsichtigen Umständen für den Tod eines Richters verantwortlich gemacht und zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden. Diese Zeit markiert den Beginn einer einzigartigen Arbeitsweise. Güney schrieb Drehbücher und führte mithilfe seines Assistenten Sefa Mutlu bei mehreren Filmen aus dem Gefängnis heraus Regie. Als ihm 1981 während eines Hafturlaubs die Flucht nach Frankreich gelang, konnte er seinen Film „Yol – Der Weg“ fertigstellen, für den er 1982 die Goldene Palme gewann.

Gewaltsystem gegen Frauen und Kinder

Auch „Yol“ erzählt von gebrochenen Männern. Drei Gefängnisinsassen machen sich während ihres Hafturlaubs im Bus auf den Weg nach Hause, wo sie erneut in die Abhängigkeit der alten Clan-Strukturen geraten. Das überkommene Gewaltsystem gegenüber ihren Frauen und Kindern setzt sich fort.

Tabak sammelt Bilder und Stimmen zu Güneys Persönlichkeit, die nahelegen, dass er dem tradierten Dilemma selbst nicht entkam. In Aufnahmen während der Dreharbeiten zu „Die Mauer“, einem Drama über rebellierende Kinder in einem türkischen Gefängnis, das 1983 im französischen Exil entstand, sieht man, wie er einen Jungen drangsaliert, um Tränen für eine Szene zu provozieren. Die Frage „Wer war Yılmaz Güney?“ kann auch Tabak nicht beantworten. Der Regisseur starb 1984 in Paris an einer Krebserkrankung.

In den Berliner Kinos Brotfabrik und Moviemento (beide OmU)

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