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Ein Bauarbeiter auf der Baustelle mit Aussicht auf Beirut.

© 3 Rosen/deutschfilm

Doku über syrische Arbeiter im Libanon: Kräne ziehen ihre Schleifen

Die Doku „Geschmack von Zement“ zeigt den Alltag syrischer Bauarbeiter in Beirut, die tagsüber schuften und nachts das Kriegsgeschehen in ihrer Heimat verfolgen.

Manchmal, wenn die Kamera an den Häusertürmen Beiruts emporblickt, erinnern die Bilder an den Kinopoeten Terrence Malick. In dessen pantheistischer Filmwelt können die Menschen stets auf den Schöpfer zählen. Die syrischen Exilanten in Ziad Kalthoums „Der Geschmack von Zement“ sind allein in die Welt geworfen. Der Himmel über Beirut – er ist leer.

In seinem dritten Dokumentarfilm folgt Ziad Kalthoum dem Alltag syrischer Bauarbeiter in Libanons Hauptstadt. Über eine Millionen Syrer sind vor dem Krieg in den benachbarten Libanon geflohen, wo bis 1990 fünfzehn Jahre lang Bürgerkrieg herrschte. Und so bewegen sich der Film und seine Akteure in jener Schleife der Geschichte, die der Baukran in den Himmel zeichnet. Sie bauen das ehemals kriegsversehrte Nachbarland wieder auf, während ihre eigenen Häuser in der syrischen Heimat vom Krieg zerstört werden. Konstruktion – Destruktion: das sind die Pole des Films.

Die Figur der Schleife, die Wiederkehr des Gleichen prägt auch den monotonen Alltag der Bauarbeiter: Es ist ihnen verboten, die Baustelle zu verlassen. „Für mich sind sie moderne Sklaven,“ sagt der 1981 in Homs geborene Regisseur, der in Moskau Film studierte, anschließend vor dem Kriegsdienst in den Libanon floh und heute in Berlin lebt.

Ein Film der Elemente

Kalthoums große Stärke besteht nun darin, dass er aus dieser Konstellation weder ein Moralstück macht noch mit den klassischen Mitteln des Dokumentarfilms – Interviews, Zeugenaussagen, erklärender Erzähler – arbeitet. Stattdessen vertraut er in seinem filmischen Essay der Kraft der Bilder, der Sprache der Montage und der Atmosphäre seines Sound-Designs. Auf Weitwinkel-Panoramen der Baulandschaft folgen Sequenzen, in denen sich die Kamera in die Texturen der Baustoffe bohrt. Einmal hört man das Meer rauschen, während die Wellen des nassen Zements über ein Stahlgitter fließen.

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„Der Geschmack von Zement“ ist ein Film der Elemente. Tagsüber schuften die Bauarbeiter eingeschlossen zwischen den Wellen des Meeres und den Wolken des Himmels. Nachts steigen sie in die Keller unter der Erde, wo sie das Feuer heimsucht: Im Fernsehen und auf ihren Smartphones verfolgen sie das Kriegsgeschehen in ihrer Heimat. Das Trauma des Kriegs blickt aus ihren leblosen Augen, in denen sich die Bilder des Grauens von den Bildschirmen spiegeln. In der beklemmendsten Sequenz – die Arbeiter haben sich gerade schlafen gelegt – suggeriert der Bildschnitt, dass sie vom Krieg träumen. Während die Geflüchteten in Beirut unter der Erde ruhen, sieht man die Suche nach Überlebenden unter den Trümmerhaufen in Syrien. Die Metapher des Zementgeschmacks wird hier in ihrer ganzen Tragweite ins Bild gesetzt.

Keiner der Bauarbeiter spricht

Kalthoum verzichtet auf einen klassischen Protagonisten. Die Bauarbeiter kommen und gehen; keiner spricht von ihnen. Nur eine lose Rahmenerzählung hält den Film zusammen. In poetisch verdichteten Miniaturen berichtet eine unbekannte Männerstimme, wie sein Vater bereits im Libanon auf dem Bau gearbeitet und der Krieg ihn nun selbst auf dessen Pfad gedrängt hat. Als Kind wurden ihm die Hände des Vaters zum Stadtplan von Beirut. Doch nach und nach schwanden die Spuren: „Zement frisst die Haut, nicht nur die Seele.“

Zement: Das ist das zentrale Motiv, in dem Kalthoum die Dialektik von Konstruktion und Destruktion verdichtet. „Noch immer bin ich umgeben von Zement“, sagt der Erzähler, der in seiner Heimat aus den Trümmern gerettet wurde und damit die Poetik dieses filmischen Essays formuliert. Dessen Höhepunkt ist eine Parallelmontage, in der Aufnahmen aus der Fahrerkabine eines feuernden Panzers mit Schlaghämmern und Kreissägen synchronisiert werden. Der Schützengraben, er verläuft hier auf der Baustelle.

In den Berliner Kinos Acud, Delphi, Delphi Lux, Hackesche Höfe, Moviemento, Neues Off, Tilsiter, Wolf

Jonas Lages

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