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Auf der Bühne wanderte Miles Davis gern zwischen seinen Mitmusikern hin und her. Er fühlte in die Musik hinein.

© Eagle Rock Entertainment

Doku über Miles Davis: Im Pantheon afroamerikanischer Geistesgrößen

Miles Davis ist einer der größten Musiker aller Zeiten. Stanley Nelsons Dokumentarfilm „Birth of the Cool“ erklärt einen Populärmythos.

Von Andreas Busche

Talent ist eine innere Befreiung für den Künstler in seinem Schaffensprozess, Genie kann sich dagegen wie eine Bürde anfühlen. „Jazz war schon immer ein Fluch für mich“, spricht am Anfang von „Miles Davis – Birth of the Cool“ eine brüchige Stimme über körnige Archivbilder. Die Bilder zeigen einen drahtigen Davis beim Schattenboxen, circa in den Sechzigern. Es war die Zeit als Miles Davis nicht nur im schwarzen Amerika einen ikonischen Status besaß, gleichbedeutend mit Cassius Clay oder dem Baseballstar Babe Ruth in den Zwanzigern.

Stimme, Körper, Hände. Das ist die Dreieinigkeit von Stanley Nelsons Porträt über einen der größten Musiker aller Zeiten – und eine der widersprüchlichsten Figuren im Pantheon afroamerikanischer Geistesgrößen. Keine Frage, Davis war mehr als ein Musiker. In Paris hing er in den Vierzigern mit Picasso und Sartre rum. Sein Wegbegleiter Herbie Hancock bezeichnet ihn im Film einmal als Meisterchemiker. Klangchemie, das war die wahre Kunst von Miles Davis.

Filmbiografien über Miles Davis gibt es schon einige, die vermutlich definitive ist bereits vor 20 Jahren erschienen: die britische Dokumentation „The Miles Davis Story“ von Ian Carr und Mike Dibb. Ihr lässt sich kaum noch etwas hinzufügen, sie bietet sich aber als Grundlage an, um Aspekte von Davis’ Leben zu vertiefen. Stanley Nelson nimmt eine ganz eigene Perspektive auf Davis ein, leider nur lässt er sich in knapp zwei Stunden von seinen Gesprächspartnern immer wieder auf bereits erschlossene Nebenpfade leiten.

Grenzgänger des schwarzen Amerikas

Nelson zählt zu den wichtigsten Chronisten afroamerikanischer Geschichte. Für den öffentlich-rechtlichen Sender PBS hat er Dokumentationen über Emmett Till, der 1955 von Rassisten gelyncht wurde, die Black Panther und „Racial Profiling“ gemacht. Davis ist für Nelson eine wichtige Figur des schwarzen Amerikas, die die Grenzen zum weißen Amerika überschritt. „Birth of the Cool“ versucht einen Zusammenhang zwischen Davis’ zunehmenden Frustrationen über den Rassismus in den USA und seiner Arroganz, seiner Hybris, herzustellen – wie auch zu seiner Drogenabhängigkeit, die nach einer fehlgeschlagenen Hüftoperation 1965 fast chronisch wurde.

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Miles Davis hatte Ende der vierziger Jahre erstmals eine längere Zeit im Ausland verbracht. In den Pariser Künstlerkreisen entdeckte er sein Potential, jenseits der Grenzen von race, um sich selbst zu verwirklichen. Seine Rückkehr in die USA kam einem Kulturschock gleich. (Die Erfahrung ähnelt der James Baldwins, der kurz nach Davis in Paris ankam.) Heroin half. Die Bilder des protzenden Davis’ in seinem Ferrari waren auch eine Antwort auf „sein“ Amerika. Als erster schwarzer Künstler konnte er einem Majorlabel (Columbia) Auflagen machen, etwa indem er seine damalige Frau Frances Taylor (eine Afroamerikanerin!), auf dem Albumcover von „Someday My Prince Will Come“ (1961) durchsetzte. Kommerzieller Erfolg = künstlerische Freiheit = Unabhängigkeit. Als 1959 der Meilenstein „Kind of Blue“ herauskam, war Miles Davis nahezu unantastbar. Dennoch: Im selben Jahr wurde er von einem Polizisten auf offener Straße krankenhausreif geschlagen.

Wechselwirkung von Privatperson, Künstler und Werk

Diese Erfahrung, erzählt ein Freund in „Birth of the Cool“, habe Miles nie wieder losgelassen, noch Jahrzehnte später erinnerte er sich manchmal wie aus dem Nichts an diesen Moment. Nelson schafft durch die engmaschigen Gespräche mit alten Weggefährten (Herbie Hancock, Wayne Shorter, George Wein, Gründer des Newport Festivals), Ehefrau Frances Taylor, Freunden (Quincy Jones) oder der Literaturwissenschaftlerin Farah Griffin und dem Autor Greg Tate einen facettenreichen Kontext, der die Wechselwirkung von Privatperson, Künstler und Werk anschaulich konturiert, die Widersprüche aber unangetastet lässt.

Archie Shepp erzählt, wie Davis Anfang der Sechziger seine Bitte um ein Treffen schroff abkanzelte. Gleichzeitig umgab sich Davis bis zu seinem Tod 1991 mit jüngeren Musikern, um die Grenzen des Jazz auszuloten. Seine phänomenale „elektrische Phase“ ab Ende der Sechziger war maßgeblich von der Soulsängerin – und kurzzeitigen Ehefrau – Betty Davis beeinflusst.

Carl Lumblys Voiceover imitiert Davis’ heiseres Krächzen

Das alles sind Aspekte, die „Birth of the Cool“ nur streift. Auch die raren Archivaufnahmen wirken oft allzu illustrativ, als Kontrast zu den vielen „Talking Heads“ und dem Voiceover Carl Lumblys, dessen Imitation von Davis’ heiserem Krächzen eher wie ein Gimmick wirkt. Die Sätze, die er einspricht, stammen aus Quincy Troupes Autobiografie von 1990.

„Ich wollte mich fühlen, wie Miles klang“, beschreibt Griffin das „Blau“ von Davis’ Trompete. Hancock vergleicht diesen Klang mit einem Stein, der ganz leicht über eine Wasseroberfläche hüpft. Ähnlich lyrische Bilder findet Nelson nicht, er häuft Material an und ordnet es chronologisch. Das Enzyklopädische liegt in der Natur des Genres, „Birth of the Cool“ entstand für die PBS-Reihe „American Masters“. Der Ansatz, den Don Cheadle vor einigen Jahren für sein erratisches Biopic „Miles Ahead“ wählte, entsprach schon eher der Verve des Meisters. Er kümmere sich schon ums Publikum, soll Miles Davis mal den Jungspunden in seinem legendären zweiten Quintett gesagt haben. „Ihr spielt einfach!“
In den Kinos Brotfabrik, Bundesplatz, Delphi, Delphi Lux, FT Friedrichshain, Hackesche Höfe, International, Passage (alle OmU)

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