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Ronaldo erklärt seinem Bruder, was es heißt, in Amerika schwarz zu sein.

© Grandfilm

Doku über afroamerikanischen Alltag: Die täglichen Gefahren für einen schwarzen Körper

Wie der Rassismus mit der amerikanischen Identität verwebt ist: Die berührende Doku „What You Gonna Do When The World’s On Fire?“.

Die Welt steht in Flammen in den afroamerikanischen Communitys von Louisiana und Mississippi. Nachdem 2016 der Straßenhändler Alton Sterling in Baton Rouge von Polizisten erschossen wurde, liegt ein Jahr später in Jackson County ein abgetrennter Kopf auf einer Veranda. 

In der Bar der Sängerin Judy Hill sorgt die Nachricht für einen emotionalen Aufruhr. Vor allem, da die Polizei das Verbrechen routinemäßig mit Ganggewalt etikettiert. Schnell entfacht sich eine aufgewühlte Debatte über strukturellen Rassismus. „Wir sind freigelassen worden, aber wir sind immer noch verdammte Sklaven“, bricht es aus Judy heraus.

In gleißenden Schwarzweiß-Bildern begleitet Roberto Minervini im Sommer 2017 den gewaltgeprägten Alltag der Schwarzen in Jackson County und New Orleans. Dort beginnen im Treme-Viertel gerade die Vorbereitungen für den Karneval Mardi Gras. Ein paar Männer sind singend in ihre Näharbeiten vertieft.

Seismografische Qualität

Sie besticken zeremonielle Kostüme, in denen sich die Kultur der Native Americans mit afrikanischen Einflüssen vermischt, applizieren Perlen und buschige Federn. „What You Gonna Do When The World’s On Fire?“ hat einen festlichen Rahmen, aber in seinem Inneren lodern Angst, Wut und Schmerz.

Die Arbeiten des aus Italien zugewanderten Dokumentaristen Minervini sind feinnervig, empathisch und aus einer respektvollen Nähe erzählt. Der Regisseur lebt und filmt in jenen ländlichen Regionen des Südens, in die es selbst das US-Kino nur selten verschlägt: Texas, Louisiana, Mississippi

Bisher galt sein Blick ausschließlich der „anderen Seite“ – so der Titel seines verstörendsten Films –, jenen verarmten weißen Milieus, in denen weiße Suprematisten einen Nährboden für ihren Hass finden. In seinem jüngsten Film begibt sich Minervini also erstmals auf die andere Seite dieser Milieus, das schwarze Amerika. 

Der Film wäre zum Zeitpunkt seiner Entstehung nicht weniger aktuell gewesen. Doch vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse von Polizeigewalt und den damit verbundenen Protesten und Debatten um das Systemische des Rassismus bekommt „What You Gonna Do When The World’s On Fire?“ eine geradezu seismografische Qualität.

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Der Film verwebt mehrere Erzählungen aus dem Alltag verschiedener afroamerikanischer Gemeinschaften. Die New Black Panthers of Self Defense demonstrieren auf den Straßen, verteilen Essenspakete an Obdachlose und führen Ermittlungen im Fall der verstümmelten Leiche durch. 

Die Zeichen deuten auf einen Lynchmord durch den Ku-Klux-Klan. Das Auto des Diakons wurde mit dem N-Wort beschmiert, an einem Baum findet sich ein eingeritztes Hakenkreuz. Die Polizei stellt sich still.

Judy, die man als Barchefin, politische Aktivistin, Gefährtin und Seelsorgerin erlebt, blickt auf ein Leben zurück, das von Missbrauch, Gewalt und Sucht beschädigt ist. 

Vor einer Gruppe von Gästen redet sie sich in Verzweiflung über die Kontinuität der Gewalt – und spricht aus, was Ta-Nehisi Coates in „Zwischen mir und der Welt“ eindrücklich beschreibt: dass Rassismus eingewebt ist in die amerikanische Identität.

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Die Gefahren, denen ein schwarzer Körper täglich ausgesetzt ist, spielen auch im berührenden Erzählstrang um die Brüder Ronaldo und Titus eine zentrale Rolle. „Wann habt ihr zu Hause zu sein?“, fragt die Mutter mit einer Mischung aus Fürsorge und Strenge. „Wenn die Straßenlaternen angehen.“ 

In der Nachbarschaft sind erneut Menschen bei Gangstreitigkeiten erschossen worden, ein Kind war darunter. Ronaldo strahlt mit seinen 14 Jahren schon einen erwachsenen Ernst aus. Der Vater sitzt im Gefängnis, die Gefahr, auf die schiefe Bahn zu geraten, ist in seinem jungen Leben allgegenwärtig. 

Minervini begleitet die Brüder bei ihren Streifzügen, der Ältere versucht den Jüngeren auf die Realität vorzubereiten. Er lehrt ihn, was Schwarzsein bedeutet – etwa wenn er ihm den Unterschied zwischen Hautfarbe und race erklärt.

Minervini ist kein Vertreter eines schonungslosen Realismus. Bei allen Härten verliert er nie die Aufmerksamkeit für das gestaltete Bild – und bringt dabei Momente von großer Zärtlichkeit hervor. „Was wirst du tun, wenn die Welt in Flammen steht?“, heißt es in einem Spiritual des Bluessängers Leadbelly. „Du wirst rennen, du wirst rennen.“
In den Kinos b-ware!, Delphi Lux, FSK, Hackesche Höfe, Il Kino, Rollberg

Esther Buss

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