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Traut sich was. Jakob, einer von vier Protagonisten des Dokumentarfilms.

© Realfiction

Doku „Schule, Schule“ von Hella Wenders: Vom Leben lernen

In „Schule, Schule“ begleitet Hella Wenders vier Kinder auf ihrem Weg, sechs Jahre nachdem sie zusammen auf der inklusiven Schule Berg Fidel lernten.

Die Kinder sind einem im Gedächtnis geblieben. Drei Jahre lang hatte die Dffb-Absolventin Hella Wenders Schüler einer inklusiven Grundschule in Münster für ihren Dokumentarfilm „Berg Fidel“ mit der Kamera begleitet. Den superschlauen Knirps David zum Beispiel, der schlecht sieht und schlecht hört wegen des Stickler-Syndroms und der gern Astronom werden will, weil die Frage ihn umtreibt, wo das Weltall sein Ende hat. Oder seinen Bruder Jakob, der das Downsyndrom hat, aber wahnsinnig gut Trost spenden kann. Oder Anita, Tochter einer Roma-Familie aus dem Kosovo, die es schwer hat in Deutschland. Auf Berg Fidel lernten sie zusammen in einer Klasse, jahrgangsübergreifend, ohne Sitzenbleiben. Ein Traum von einer Schule, in der Bildung und Fairness, Büffeln und Spaß ein und dasselbe sind. Nur dass Schluss war nach vier Jahren, auch für die temperamentvolle Samira, die in „Berg Fidel“ ebenfalls kurz zu sehen ist.

Hella Wenders hat sich das Vertrauen der vier Kids bewahrt und sie sechs Jahre später wieder besucht, auf ihren jeweils weiterführenden Schulen. Eigentlich müsste „Schule, Schule“ den Titel „Kinder, Kinder“ tragen, denn es ist die Nähe zu David, Jakob, Anita und Samira, aus der auch der zweite Film seine Stärke bezieht.

Schlichte Sätze, die einem in die Knochen fahren

Wenn David einen Song für die Schulband komponiert und in der Klassendiskussion die These von der strukturellen Ungerechtigkeit der Zensuren vertritt, kommt dabei eine fast altersweise Melancholie zum Vorschein, die der Unbekümmertheit seiner Kindheit gewichen ist. Wenn Jakob, der wie David auf eine private Montessori-Schule geht, mit seinem Kauderwelsch auch von den jetzigen Mitschülern verstanden und für seinen Witz und seine Fürsorge geschätzt wird, wünscht man ihm, er möge immer integrative Schutzräume finden, denn sein Selbstvertrauen hat großen Charme. Wenn Samira unter dem Zickenkrieg in der Mädchenclique leidet, ist schnell klar, wie zerstörerisch solches Mobbing fürs Lernen sein kann. Und wenn Anita ihren Kampf um den Hauptschulabschluss im Berufskolleg weitgehend mit sich alleine auskämpfen muss, versteht man ihren Wankelmut, ihre Widerborstigkeit. Aber auch die Energie, die es sie kostet, einen Aufsatz zu schreiben. Einen Aufsatz über den Verlust ihrer Heimat, mit schlichten Sätzen, die einem in die Knochen fahren.

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Jeder Mensch ist ein Kleinod, sagt die ungarische Regisseurin Ildikó Enyedi, deren Melodram „Körper und Seele“ diese Woche ebenfalls startet. In „Schule, Schule“ kann man vier davon sehen. Und auch, wie gefährdet sie sind.

Zwar hat Wenders’ Film ein Struktur- und Rhythmusproblem, weil er nach dem Verlust der Einheit des Orts in „Berg Fidel“ zwischen den Schauplätzen hin- und herspringen muss. Aber die ungeheuren Folgen von Schulsystemen und Klasseneinteilungen sowie die Bedeutung einzelner engagierter oder desinteressierter Lehrer führt er einem genauso vor Augen wie die Autonomie der Kids, die Schönheit ihrer Seelen, die frühe Lebensklugheit. Wahlrecht für Kinder? Nach „Schule, Schule“ denkt man: ja.

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