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Szene aus "Die Stadt als Beute".

© Verleih

Doku "Die Stadt als Beute": Berliner Wohnungsmarkt ist geprägt von Ignoranz und professioneller Gier

Für die Dokumentation „Die Stadt als Beute“ hat Andreas Wilcke vier Jahre lang den Berliner Wohnungsmarkt beobachtet. Der ist geprägt von politischer Ignoranz und professioneller Gier.

Ein Blick aus dem Fenster genügt. Irgendwo schiebt sich immer einer in den Blick. So wie die Quadriga auf dem Brandenburger Tor vom alten Antlitz der Stadt erzählt, so ist der Baukran das eigentliche Symbol des neuen Berlin. Banal in der Funktion als Lastenträger, erhaben durch die himmelstürmende Höhe, grafische Strenge und scheinbar lautlose Beweglichkeit, spricht er vom Wandel der Stadtlandschaft – und wird gern als Filmsujet eingesetzt. In einer Zeitraffersequenz montiert und mit treibenden Elektrorhythmen unterlegt, ist so ein Kranballett über Altbaudächern und Neubaugruben ein überaus ästhetisches Schauspiel.

Die Titelsequenz der Dokumentation „Die Stadt als Beute“ zu genießen fällt jedoch schwer. Zumindest wenn man zu den rund 85 Prozent der Berliner gehört, die gerne Mieter in ihrem angestammten Quartier bleiben möchten. Vier Jahre lang hat der Filmemacher Andreas Wilcke Makler, Käufer, Mieter, Aktivisten und Politiker begleitet und erzählt in seinem aus Momentaufnahmen und Miniepisoden zusammengesetzten Wohnraumkaleidoskop von eben jenem, immer heißer laufenden Umbau der Mieter- in eine Eigentümer- und Hochpreisimmobilienstadt.

Unaufgeregter Erzählton, der Machtmechanismen freilegt

Im Gegensatz zu skandalisierenden Fernsehdokus über Immobilienspekulation, die einer eindimensionalen Täter- Opfer-Logik folgen, oder zu Betroffenheitsfilmen wie Katrin Rothes mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Doku „Betongold“, herrscht in „Die Stadt als Beute“ jedoch ein unaufgeregter Erzählton, der die neoliberalen Marktmechanismen umso eindrücklicher freilegt. Wilcke betätigt sich als stiller Beobachter des Gentrifizierungsprozesses, der in der Kombination aus politischer Ignoranz, professioneller Gier und menschlicher Ohnmacht der Skandal aller großen Städte ist – in Berlin samt den Folgen für Altmieter, Nachbarschaften, soziale Mischung quasi in Echtzeit zu besichtigen.

Oder wie es einer der vielen, Wilcke und seiner Kamera erstaunlich offen gegenübertretenden Makler formuliert. „Ich vertreibe Einkommensschichten, die sich die teure Mitte nicht leisten können, an den Rand.“ Das sei ein internationales Phänomen, das er persönlich gar nicht schlecht finde. „Wenn ich in Madrid vom Flughafen in die Innenstadt fahre, wird es immer schöner!“ Nur in Berlin gebe es, bedingt durch die einstige Teilung, noch immer hässliche Schmuddelecken mit einkommensschwachen Bewohnern mitten in der Stadt. „Das ist in 50 Jahren komplett erledigt.“

Versagen der Politik

Womit er gewiss recht hat, wenn die Politik, die seit dem Mauerfall mehr mit dem Verkauf des landeseigenen Wohnungsbestands und ebensolcher Grundstücke zu Dumpingpreisen beschäftigt war, nicht beherzter eingreift. Um deren Versagen geht es Wilcke mehr als darum, Käufer und Makler zu Buhmännern zu stilisieren. Sie bestehen nicht nur aus anonymen Anlegern oder einer Schweizer Millionenerbin, die im Film auf Shoppingtour durch Sanierungshäuser streift, sondern auch aus der um bezahlbare Mieten oder ihr Erspartes fürchtenden einheimischen Mittelschicht, die bei Besichtigungen in Form der sie argwöhnisch beäugenden Altmieter gewissermaßen auf sich selber trifft. Entsprechend wortreich, aber ratlos fallen denn auch die Auftritte des bis 2014 wirkenden Regierungsduos Klaus Wowereit und Stadtentwicklungssenator Michael Müller aus.

Dass die Stadt Berlin sich mit dem Slogan 365/24 bewerbe wie einen Spätkauf, sage doch wohl alles, findet Andreas Wilcke. Der 41 Jahre alte Filmemacher ist in Kyritz an der Knatter geboren und Anfang der neunziger Jahre nach Berlin gezogen. Er hat geschauspielert, an der Ostkreuz-Fotoschule studiert und irgendwann mit dem Filmemachen begonnen. Der bezopfte Jeansträger ist keiner, den es ins Rampenlicht drängt. Ein Foto von sich in der Zeitung? Lieber nicht. Über sein Leben reden? Da gäb’s wenig zu sagen. Warum er sich mittenmang der digitalen Bohème im Café St. Oberholz treffen will? Weil dieser Ort das verkörpert, wo er sich nicht zu Hause fühlt.

Daheim ist Wilcke in Friedrichshain. Dort hat er vor sechs Jahren ein kleines Porträt der Boxhagener Straße gedreht. Das hat ihn erst zum Thema Wohnen und dann zu einer vor zwei Jahren ausgestrahlten ARD-Dokumentation namens „Wem gehört die Stadt?“ geführt. Nun ist er mit einem ganz anderen, ohne Off-Kommentar und Inszenierungen arbeitenden Film im Kino angekommen. Dass der mit einer geliehenen Kamera und ohne Budget begonnene Dreh überhaupt zu einer langen Dokumentation geführt hat, zeugt von Wilckes Hartnäckigkeit. Ebenso wie die Tatsache, dass das Ergebnis, das im Januar Premiere auf dem Max-Ophüls-Festival in Saarbrücken feierte, nun in Berlin zu sehen ist.

Ein völlig ergebnisoffener Dreh

Der Regisseur macht von der Presse bis zum Booking alles selbst. Cutter, Dramaturgen und Rudolf Moser von den Einstürzenden Neubauten, der die atmosphärisch dichte Filmmusik komponiert hat, haben noch kein nennenswertes Honorar gesehen. Und es war nicht schön, was Wilcke sich beim Abklappern der Kinobetreiber in Ermangelung eines Verleihs so anhören musste. Zwei der Abfuhren hat er sich gemerkt: „Filme wie ihre verstopfen das Kino.“ Und „Kino ist was für Filme mit einer klaren Marketingstrategie“.

Die hat weder Wilckes Film noch Wilcke selber. Für ihn war das völlig ergebnisoffen begonnenene Drehen auf Immobilienmessen und Baustellen, in Höfen und Stuben, auf Straßen und Dächern eine Art Psychotherapie. Das sagt er wohl wissend, dass es solche Sätze sind, die die Presse glücklich machen. Eine Therapie gegen die Wut und Melancholie, mit der ihn der Abschied vom als Abenteuerspielplatz empfundenen alten Berlin mit seiner Patina, den Brachen, den dörflichen Kiezen erfüllt hat.

Wut und Verzweiflung von terrorisierten Mietern

Nur weil Wilcke als Anhänger des „Direct Cinema“ Urteile im Dokumentarfilm genauso verabscheut wie Inszenierungen, persönliche Betroffenheit oder einen investigativen Reportagestil, merkt man das dem Film fast gar nicht an. Obwohl er die Wut und Verzweiflung der durch Brachialsanierungen terrorisierten Mieter durchaus zeigt. Allerdings nicht in dem Menschenschicksale ausbeutenden Stil, der beim Zuschauer nur einen „Verpuffungseffekt“ triggert. „Einmal aufregen und das Thema ist wieder weg.“

Wilcke dagegen will, dass Film und Thema in den Köpfen bleiben. Deswegen hat er so lange hingesehen und zugehört. Wo er selber steht, zeigen die Schlussbilder. Sterile Viertel voller stereotyper Neubauten. Das ist die Ödnis, die entsteht, wenn das Stadtbild dem freien Spiel der Immobilienprofiteure gehört.

Ab 8.9. in den Kinos Acud, Citykino Wedding, Eva, Filmkunst 66, Bali, Kulturhaus Spandau, Zukunft, Lichtblick, Tilsiter Lichtspiele. Am 12.9., 19 Uhr, folgt in der Urania auf den Film eine Diskussion mit Monika Herrmann und Andrej Holm.

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