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06.07.2022, Hessen, Kassel: Besucher der documenta fifteen gehen zum Werk "Return to Sender - Delivery Details" vom Künstler-Kollektiv The Nest im Staatspark Karlsaue. Die Kunstausstellung geht bis zum 25.09.2022. Am Donnerstagabend hat sich der Bundestag mit der Documenta und ihrem Antisemitismusskandal befasst

© dpa

Documenta-Debatte im Bundestag: Die Versäumnisse der Claudia Roth

Fehlendes Verantwortungsbewusstsein, parteipolitische Ränke: Wie der Bundestag über den Antisemitismus-Skandal auf der Documenta diskutiert hat

Das hat noch keine Documenta geschafft, Gegenstand einer Bundestagsdebatte zu werden – und wohl auch sonst keine Kunstausstellung. Der Skandal um die antisemitischen Motive auf dem Banner „People’s Justice“ des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi mitten auf dem Kasselaner Friedrichsplatz ist damit auf seinem Höhepunkt angekommen.

Mehr Erregung ist kaum möglich, mehr Aufmerksamkeit kaum zu erreichen für eine ebenso niederträchtige wie inakzeptable Darstellung, die drei Tage nach ihrer Präsentation erst verhängt und dann abgenommen wurde.

Dass es um weit mehr als ein Bild, einen kapitalen kuratorischen Fehlgriff ging, für den sich das indonesische Künstlerkollektiv Ruangrupa als Einladende von Taring Padi nur zögerlich entschuldigt hat, machten sämtliche Redner:innen der aufgeheizten Plenumsdebatte deutlich, die am Donnerstagabend auf die Sitzung im Kulturausschuss des Bundestages vom Vortag folgte. 

Antisemitismus und seine Salonfähigkeit im arabischen und asiatischen Raum sind das eine, und es ist bestürzend, dass er ein Forum ausgerechnet in Deutschland auf der international wichtigsten Ausstellung zeitgenössischer Kunst erhielt.

Gitta Connemann von der CDU setzte einen scharfen Ton

Das andere sind die fehlende Verantwortlichkeit der Documenta-Geschäftsführung, die offenbar immer noch keine Einsicht zeigt, sowie der schleichende Verdacht einer Unterwanderung des Kulturbetriebs durch Akteure, die Israel-feindlich eingestellt sind. 

Beides ging in der Debatte durcheinander, und es wird nur noch schwieriger, die Problemfelder voneinander zu trennen, wenn parteipolitische Ränke hineinspielen, wie im Bundestag zu beobachten war.

Die CDU-Abgeordnete Gitta Connemann setzte als erste Rednerin den scharfen Ton mit einer Aufzählung all der hämischen Bezeichnungen für die in Misskredit geratene Weltausstellung: Documenta der Schande, Rocky Horror Picture Show, ja sogar Antisemita, wie Sascha Lobo sie in einer "Spiegel"-Kolumne nannte.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth saß wie ein Häufchen Elend daneben auf ihrer Bank, hatte sie doch die bereits seit Jahresbeginn unter Antisemitismusverdacht stehende Schau immer noch voller Optimismus eröffnet. Bis heute ist es ihr nicht gelungen, etwas Sichtbares gegen die im Nachhinein zu Recht erhobenen Vorwürfe auszurichten. Über deren ansonsten gezeigte Kunst spricht kaum noch jemand.

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Antisemitismus sei der rote Faden dieser Documenta, erklärte Gitta Connemann und demonstrierte damit zugleich die Schlagseite ihrer eigenen Perspektive, als wäre dies das Hauptthema der Schau. Zu Recht beklagte die CDU-Politikerin allerdings die Gutgläubigkeit der Kulturstaatsministerin und dass die von Roth angekündigten Überprüfungen nicht stattgefunden haben. Dem Vernehmen nach soll noch immer nicht damit begonnen worden sein. Das würde das verheerende Missmanagement in Kassel abermals bestätigen.

Connemanns nächste Attacke galt dem Haus der Kulturen der Welt als Hort Israel-feindlicher Tendenzen, ebenso der Initiative „GG 5.3 Weltoffenheit“, die den Bundestagsbeschluss zum BDS kritisiert. Unter den Unterzeichner:innen befindet sich die Leiterin der Bundeskulturstiftung Hortensia Völckers, außerdem wird auf der Website Andreas Görgen, damals Leiter der Kulturabteilung im Auswärtigen Amt, für seine Unterstützung gedankt. Er arbeitet jetzt als Amtschef von Claudia Roth.

Ein strukturelles Problem liege vor, so Connemann. Auf die Inhalte der Initiative und warum zahlreiche Intendanten von Festspielen oder großer Häuser wie das Humboldt Forum sich ebenfalls der Initiative angeschlossen haben, ging sie allerdings nicht mehr ein.

Es geht Richtung Kulturkampf

Der von ihr vorbereitete CDU-Antrag, der einen Untersuchungsausschuss und einen Bericht des Antisemitismusbeauftragten des Bundes verlangt, fand zwar im Anschluss an die Debatte keine Mehrheit. Trotzdem erfährt nicht nur die Documenta, auch das Amt der Kulturstaatsministerin durch den Skandal eine schwere Beschädigung.

Wie gefährlich die Vermischung der Themen ist, darauf verwies Helge Lindh von der SPD. Er warnte davor, mit der Auseinandersetzung um die Documenta auch gleich die Debatte um den Postkolonialismus abräumen zu wollen, wie es AfD in ihrem eingebrachten Antrag versucht.

Prompt geißelte Marc Jongen von der AfD als anschließender Redner  den Postkolonialismus als „inhärent antisemitisch“, die Documenta bezeichnete er als „linksradikales Aktivistencamp“. Erhard Grundl von den Grünen parierte sofort und nannte es eine schäbige Aufführung, wie die AfD den Antisemitismus  instrumentalisiere und  gleichzeitig in den eigenen Reihen entsprechende Parteigänger sitzen habe. Er kritisierte  CDU/CSU wie AfD  dafür, dass sie die Documenta-Debatte für ein Tribunal gegen Kulturinstitutionen nutzen würden. Der AfD-Antrag, Fördergelder für postkoloniale Projekte zu streichen und die Restitution etwa der Benin-Bronzen zu stoppen, fiel entsprechend durch.

Die Bundestagsdebatte zeigte mit aller Deutlichkeit, dass in Kassel an die Oberfläche gekommen ist, was schon länger im Kulturbetrieb brodelt. Es einen Kulturkampf zu nennen, wäre zu hoch gegriffen, aber das gegenseitige Misstrauen ist offenbar. Nach der Documenta fifteen wird künftig nicht nur in Kassel genauer hingeschaut.

Die Documenta mit Ruangrupa als einem nicht greifbaren Kuratorenkollektiv, das der Diffusion der künstlerischen Verantwortung durch Einladung weiterer Kollektive wie Taring Padi noch mehr Vorschub leistete, und eine Geschäftsführung, die jegliche Kontrolle vermissen lässt, waren der ideale Boden für das Desaster. „Wäre es nicht besser, die Documenta abzuschaffen?“, fragte deshalb Dorothee Bär von der CDU/CSU. „Die Ausstellung beschädigt das Land.“

Eine Lösung wäre dies kaum, den Antisemitismus in Deutschland würde es mitnichten gleichzeitig abschaffen. Simona Koß (SPD) verlangte stattdessen, mehr gegen den alltäglichen Judenhass in Deutschland zu tun. Erst vergangene Woche hatte der RIAS-Report darauf verwiesen, dass 2021 über 2700 antisemitische Vorfälle registriert wurden, davon sechs mit extremer Gewalt. Das Bild von Taring Padi auf dem Friedrichsplatz in Kassel verbreitete sich nun zusätzlich in alle Welt.

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