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Der doppelte Blick. Der polnische Kurator Adam Szymczyk, Jahrgang 1970, leitete die Kunsthalle Basel und ko-kuratierte 2008 die Berlin-Biennale.

© Uwe Zucchi/dpa

Documenta-Chef im Interview: „Wir wollen den Griff der Macht lockern“

Documenta-Chef Adam Szymczyk über den Start in Athen, die Freiheit der Kunst und die Wahrheit auf der Straße.

Herr Szymczyk, viele hielten es nicht für möglich, dass eine Doppel-Documenta zustande kommt. Einer unterstützte Sie jedoch von Anfang an, allen Widerständen zum Trotz – der Kasseler Oberbürgermeister Bertram Hilgen. Sind Sie ihm dankbar?

Ja, sehr. Er hat in Kassel vermittelt, dass die Entscheidung, die Documenta an zwei Orten stattfinden zu lassen, endgültig ist. Es gab kein Zurück mehr. Bertram Hilgen hat dafür gesorgt, dass wir das nötige Budget bekamen und arbeiten konnten.

Konnten Sie in Athen nun genau das umsetzen, was Sie vorhatten – trotz der Skepsis, die Ihnen zunächst entgegenschlug?

Jedenfalls konnte ich eine Menge machen. Vor allem freue ich mich, dass so viele Menschen zur Eröffnung angereist sind und auch die Athener Besucher kommen. Die Ausstellung ist wie eine Mühle. Sie bewegt sich immer weiter, eine intensive Erfahrung. Die innere Spannung bei der Documenta ist ungeheuer stark.

Kann von ihr tatsächlich eine gesellschaftliche Kraft ausgehen, wie Sie sagen?

Dafür gibt es keine Garantie. Ich habe kürzlich in der Stadt ein griechisches Plakat gesehen, auf dem stand: Lieber auf der Straße in der Nacht als auf den Knien am Tag. Es ist möglich, den Rahmen zu sprengen, nicht das Übliche in unserer Kulturindustrie zu machen. Die Documenta will Ideen transformieren, materialisieren. Bestimmte Gewohnheiten zu verlassen, ist eine große Herausforderung auch für die Institutionen, mit denen wir zusammenarbeiten. Sie haben eine bestimmte Sicht auf die Geschichte. Künstler haben eine andere Perspektive, das führt zu produktiven Kollisionen. Wir versuchen, ihnen die Freiheit zu verschaffen, sich jenseits der gewohnten ästhetischen Formate zu artikulieren. Ich glaube nicht, dass wir den Institutionen gehören. Sie gehören vielmehr uns. Es liegt an uns, sie in etwas anderes umzuwandeln.

Sie haben in Polen Solidarnosc und den Wandel eines ganzen Systems erlebt. Hat der Drang, den Rahmen zu sprengen, auch mit Ihrer Biografie zu tun?

Ich war damals in Lódz noch ein Kind, gerade elf Jahre alt. Aber ich habe die Plakate in der Stadt gesehen, die Fahnen und Wandzeitungen. Draußen auf der Straße wurden die eigentlichen Informationen weitergegeben. Das war die Wirklichkeit. Die Unwirklichkeit gab es am Kiosk. Man kaufte sich die Zeitung und konnte sie mit dem vergleichen, was in der Wandzeitung stand. In den staatlich kontrollierten Publikationen stand etwa, jemand sei niedergeschlagen worden, in der Straßenzeitung war dagegen zu lesen, dass es die Polizei war. Mir zeigte das sehr früh, wie Menschen die Initiative ergreifen und versuchen können, ihre Welt selber zu gestalten, statt nur darüber zu verhandeln. Das Verhandeln kam dann später.

Die Documenta wurde 1955 gegründet, um wieder an die internationale Avantgarde anzuknüpfen, den Deutschen die Moderne zurückzubringen und ihnen die Freiheit der Kunst zu zeigen. Ist das auch Ihr Bezugspunkt?

Ein Jahr nach der ersten Documenta kam der damalige Bundespräsident Theodor Heuss nach Athen. Das war sein erster Auslandsbesuch und das Ende der diplomatischen Isolation Deutschlands. 1931 hatte er bereits in der „Frankfurter Zeitung“ einen Artikel mit dem Titel „Das neue Athen“ geschrieben. Es gibt unglaubliche historische Verbindungen, Kreise, die sich schließen. Anfangs denkt man noch, man würde einfach aufbrechen, ins Ungewisse gehen, aber das stimmt nicht. Wir glauben, Individuen zu sein und sind doch Teil eines größeren Prozesses. Die Verlegung der Documenta nach Athen wäre demnach die Fortsetzung einer politischen Agenda. Die Frage ist nur, ob wir uns dem entziehen können, Teil der „soft power“, der deutschen Außenpolitik zu sein, von diesen Agendas, die scheinbar in Stein gemeißelt sind.

Mit der Documenta wollen Sie eine alternative Gemeinschaft gründen, neue Gesellschaften. Wie soll das gehen?

Kunst nimmt oft organisatorische Formen an. Wir arbeiten nicht wie Staaten mit Waffen, sondern vielmehr ironisch. Die serbische Künstlerin Irena Haiduk hat eine Art Uniform entwickelt, die als Performance von Frauen im öffentlichen Raum getragen wird. Es ist ein Aufruf. Oder es gibt eine Kunstmahlzeit auf dem Kotzia-Platz. Rasheed Araeen hatte diese Idee: Zwei Mal am Tag wird unter bunten Baldachinen freies Essen angeboten, jedes Mal können 60 Menschen zusammenkommen. Unsere öffentlichen Programme wollen die Zivilgesellschaft unterstützen, insgesamt haben wir sechs solcher „Open Form Societies“ gegründet. Deren Gemeinschaftsaktionen sind eine Art der Bewusstmachung. Man muss nicht nur auf institutionellem Wege zusammenkommen, sondern kann auch jenseits von Verfassungen, Grenzen, Nationen Formen der Begegnung finden. Wir wollen den Griff der Macht lockern, des Staates, letztlich der militärischen Macht, die alles zusammenhält.

Markiert die Documenta 14 durch ihre Öffnung einen „point of no return“? Muss die nächste noch weiter in die Welt gehen?

Ich will keine Zukunftsszenarien entwerfen. Vielleicht gibt es andere Möglichkeiten, es müssen nicht unbedingt andere Orte sein. Aber die Doppelung gehört nun untrennbar zur Documenta 14.

Das Gespräch führte Nicola Kuhn. Die Documenta 14 findet bis 16. Juli in Athen statt, Teil 2 startet am 10. Juni in Kassel (bis 17.9.). Infos: www.documenta14.de.

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