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Das melancholische Mädchen (Marie Rathscheck) wird im Kapitalismus selbst zur Ware.

© Salzgeber

Diskurskomödie "Das melancholische Mädchen": Neoliberal in Pastelltönen

Susanne Heinrich vermengt mit „Das melancholische Mädchen“ feministische Thesen zu einem knalligen Kinodebüt.

Von Andreas Busche

Akzelerationismus ist ein gutes Thema für unverbindlichen Smalltalk auf einer Vernissage. Poptheorie mit politischem Einschlag geht immer, und richtig auskennen muss man sich auch nicht. Die Flüchtlingskrise ist ein ganz anderes Kaliber, da sollte man schon den richtigen Ton treffen. Doch wie sieht es eigentlich mit dem Feminismus aus? Zu dem hat schließlich auch jeder eine Meinung, schlimmstenfalls eine unqualifizierte. Susanne Heinrich hat mit ihrem Regiedebüt „Das melancholische Mädchen“ den Versuch unternommen, die Redeweisen über Feminismus im Alltag und in der Theorie zu illustrieren. Wobei das Wort „Versuch“ nichts über die Qualität ihres Films besagt, nur über die Form.

Zu 15 unterschiedlich langen Kapiteln hat sie ihr Thesenkonvolut sortiert, eine Art Versuchsanordnung aus Theorieversatzstücken, die sich in knapp 80 Minuten zum Soziogramm einer der gegenwärtigsten Figuren in Literatur, Fernsehserie und Werbung fügen: der jungen Frau. Marie Rathscheck spielt dieses melancholische Mädchen mit großen blauen Augen, wechselnden Modefrisuren und demonstrativer Teilnahmslosigkeit.

Ihre Distanz zur Welt erstreckt sich bis hinein in die Sprache, Mimik und Körperhaltung, sie greift sogar auf die statischen Einstellungen von Agnesh Pakozdi über. „Ich bin unglücklich, damit Leute wie du glücklich sein können“, erklärt sie den Jungs und Männern, die hinter ihrer Riot-Grrrl–Oberfläche aus Plüschmantel, Sommerkleidchen und Doc Martens nach Tiefe suchen, sich in ihrer alabasterhaften Blässe eigentlich aber nur selbst spiegeln wollen. Es ist zum Verzweifeln. Die Selbstdiagnose des melancholischen Mädchens klingt wie eine Anklage: „Meine Depression ist strukturell.“

Gefangen in den Widersprüchen des Kapitalismus

Susanne Heinrich hatte mit Worten früh Erfolg. Mitte der 2000er Jahre, als die Verlage dem nächsten großen Ding in der deutschen Popliteratur hinterherjagten, galt die damals 20-Jährige als hoffnungsvolles Talent, inklusive einer Einladung nach Klagenfurt zum Bachmann-Preis. Dass sie sich auch aufs visuelle Erzählen versteht, zeigt sie mit ihrem DFFB-Abschlussfilm „Das melancholische Mädchen“, der im Januar den Max-Ophüls-Preis gewann und seitdem als lange überfälliges feministisches Statement im deutschen Kino bejubelt wird.

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Heinrich sieht ihre Titelfigur allerdings ambivalenter: Das melancholische Mädchen ist in den Widersprüchen des Kapitalismus gefangen. Die namenlose junge Frau weiß um dieses Dilemma – sie sagt Sätze wie „Wenn ich ein Baby bekomme, soll es Terrorist werden“ –, hat sich mit den Verhältnissen aber arrangiert. Den Körper des melancholischen Mädchens kriegt man schon für einen Schlafplatz und eine warme Mahlzeit. Sein Herz aber bleibt unerreichbar.

„Das Gesicht des Neoliberalismus ist gerade jung und weiblich“, sagt Susanne Heinrich über ihren Film. „ Junge Frauen scheinen die Diskurse zu bestimmen, die Frage ist nur, ob sie darin auch als Subjekt auftreten. Oder nicht eher zu Werbeträgerinnen werden.“ Eine Antwort auf diese Frage will sie mit „Das melancholische Mädchen“ nicht geben. „Im besten Fall ist der Film klüger als ich, weil in ihn auch so viel Intelligenz von anderen Leuten reingeflossen ist.“

Das melancholische Mädchen wendet den männlichen Blick gegen ihre Betrachter

Das ist hübsch kokett, aber auch nicht ganz unwahr. Wie andere deutsche Diskurskomödien wie „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“ und „Weitermachen Sanssouci“ ventiliert Heinrich Theoriematerial durch und lässt es mit ihren streng kadrierten, pastellig-babyfarbenen Bildern kollidieren. Glätte als Signatur unserer Zeit, so beschreibt Byung- Chul Han, einer von Heinrichs Kronzeugen, das Phänomen. „Die Körper sind so ausgeleuchtet,“ erklärt die Regisseurin ihr visuelles Konzept, „dass sie sich gar nicht aus dem Bild herausmodellieren, sondern mit dem Hintergrund zu einer Fläche verschmelzen."

Mit einer ideologischen Lesart kommt man bei „Das melancholische Mädchen“ nicht weiter. Die Widersprüche und Reibungen, die sich hinter der schönen Fassade verbergen, muss man schon aushalten, findet Heinrich. „Wir sind ja alle längst Managerinnen unseres Lebens. Das nicht anzuerkennen und dagegen das Bild der selbstbestimmten Frau zu setzen, fände ich problematischer. Man kann den Kapitalismus gar nicht mehr von außen kritisieren. Darin besteht für mich die politische Haltung.“

Dazu gehört auch, dass „Das melancholische Mädchen“ den männlichen Blick gegen ihre Betrachter wendet. „Du kennst nur die Oberfläche, die ich dir hinhalte“, erklärt sie, entblößt, einem Jüngling mit Tiara. Es ist eben immer eine Frage der Sprecherposition. Ein männlicher Regisseur könnte das melancholische Mädchen so nicht reden lassen.
In den Kinos Brotfabrik, City Wedding, FSK, Hackesche Höfe, Wolf, Zukunft

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