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Mädchenquote null. Der Dresdner Kreuzchor.

© Arno Burgi/dpa

Diskriminierung in der Klassik: Mädchen sollten in Knabenchören auftreten dürfen

Mädchen werden von Knabenchören ausgeschlossen, damit auch von hochwertiger Ausbildung. Diese Diskriminierung muss enden. Eine Rechtsanwältin kommentiert.

Advent – das ist auch die hohe Zeit der Knabenchöre. In Großbritannien bestreiten die Knaben des King’s College Cambridge seit 1954 das BBC-Weihnachtskonzert „Carols from King’s“. Anfang Dezember hat die britische Sopranistin Lesley Garrett mit ihrer Forderung, Mädchen in dem Chor zuzulassen, eine landesweite Debatte ausgelöst. An Richterinnen, Polizistinnen, Soldatinnen, Ärztinnen und sogar an eine Bundeskanzlerin ist die Öffentlichkeit gewöhnt. In einer aktuellen Studie zu „Frauen in Berufsorchestern“ kommt der Musikwissenschaftler Christian Ahrens dagegen zu dem Ergebnis, dass deutsche Orchester im internationalen Vergleich weit zurückgeblieben sind: je größer das Renommee desto weniger Frauen.

Strukturell gilt bei Kinderchören das Gleiche. Spitzenensembles wie der Leipziger Thomanerchor, die Regensburger Domspatzen, der Dresdner Kreuzchor oder der Tölzer Knabenchor haben eine Mädchenquote von null. Dass Frauen und Mädchen von Bühnen und Auftritten in Kirchen ferngehalten wurden, hat historische Ursprünge. Heute aber kann sich nicht auf die Geschichte berufen, wer jemanden wegen des Geschlechts ausschließt, denn das ist schlicht eine verfassungswidrige Diskriminierung.

Es gibt keine zwingenden Argumente mehr für den Ausschluss

Zwingende Gründe, die den Ausschluss rechtfertigen können, gibt es nicht. Zu hören sind vielmehr Argumente oder Vorbehalte. „Nur Jungen haben diesen engelsgleichen Gesang“, heißt es, oder: „Der Kehlkopf von Jungen ist einfach anders“. Mädchen, wird abgewiegelt, könnten doch auch in einem Mädchenchor singen. Und schließlich: „Würde man Mädchen im Chor zulassen, dann kämen keine Jungen mehr.“

Eine geübte Mädchenstimme kann wie eine geübte Knabenchorstimme klingen. Klangliche Unterschiede mögen sich vielleicht dem akustischen Enthusiasten eröffnen, auch jedes Instrument klingt ein wenig anders. Doch die Unterscheidbarkeit in den Ohren von Experten kann nicht rechtfertigen, Mädchen von der Teilhabe an hochwertiger musikalischer Ausbildung und der nicht unerheblichen staatlichen Finanzierung vieler Chöre auszuschließen.

Auch Mädchen können Thomanerinnen werden

Tauscht man gedanklich das Merkmal Geschlecht mit einem anderen in Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz genannten Merkmal wie Rasse, Behinderung, Religion, dürfte selbst den Befürwortern von reinen Knabenchören und Liebhabern von Jungenstimmen klar werden, dass es sich um eine Diskriminierung handelt. Einen Jungen im Rollstuhl gerade wegen seiner Behinderung abzulehnen, wäre ebenso diskriminierend, wie einen Jungen jüdischen Glaubens mit dem Argument abzuweisen, er könne auch in einem jüdischen Knabenchor singen.

Auch Mädchen können Thomanerinnen werden. Sie müssen es sogar werden dürfen. Der Bundesfinanzhof hat mit Bezug auf Diskriminierungen im Mai 2017 ein wichtiges Signal gesetzt: Freimaurerlogen, Schützen- oder Gesangsvereinen und ähnlichen traditionell männlichen Vereinen sind steuerliche Vergünstigungen versagt, wenn sie Frauen grundsätzlich ausschließen. Es ist Zeit, dass Gleichberechtigung auch in den renommierten Knabenchören Einzug hält.

Susann Bräcklein ist Juristin mit Schwerpunkt Verfassungsrecht und Menschenrechte

Susann Bräcklein

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