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Schlagfertig. Eine Soldatin der deutschen Feldjäger trainiert zusammen mit einem afghanischen Kollegen. Foto: picture-alliance/dpa

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Dirk Kurbjuweit: Draußen der Feind – aber wo?

„Kriegsbraut“: Dirk Kurbjuweits Roman über den Kriegseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan

Die deutschsprachige Gegenwartsliteratur tut sich schwer mit dem Krieg. Nicht mit dem Zweiten Weltkrieg und seinen Folgen, der gehört zum Repertoire. Nein, mit den Kriegen der jüngsten Vergangenheit, dem ersten Golfkrieg, den Auseinandersetzungen in Ex-Jugoslawien und vor allem mit dem Krieg in Afghanistan. Seit fast zehn Jahren sind deutsche Soldaten in Afghanistan stationiert, seit mehreren Jahren auch in aktive Kampfhandlungen verstrickt, und von den mehr als siebzigtausend Soldaten, die bislang an diesem Einsatz teilgenommen haben, sind 48 Soldaten gefallen.

Gab es zumindest einige gelungene Versuche, von den Balkankriegen zu erzählen, etwa von Norbert Gstrein mit „Das Handwerk des Tötens“ oder Saša Stanišik mit „Wie der Soldat das Grammofon repariert“, so scheint der deutsche Kriegseinsatz am Hindukusch keinen Stoff herzugeben für die deutschsprachige Literatur. Das ist verständlich, kann man schließlich als Schriftsteller nicht mal schnell nach Afghanistan fahren, recherchieren, einschlägige Erfahrungen machen. Andererseits verwundert es, gibt es doch inzwischen genug zurückgekehrte, nicht zuletzt unter posttraumatischen Belastungssyndromen leidende deutsche Soldaten, deren Schicksal aber auch sonst eher nur einen sehr kleinen Teil der Öffentlichkeit interessiert.

Einen Afghanistan-Rückkehrer immerhin haben letztes Jahr Ingo Niermann und Alexander Wallasch zur Hauptfigur ihres Romans „Deutscher Sohn“ gemacht, ohne jedoch primär das Psychogramm eines Soldaten erstellen zu wollen. Die Geschichte des 19-jährigen Toni entwickelt sich zu einem abgedrehten Trash- und Kolportageroman, mit Charlotte Roches „Feuchtgebiete“- Heldin Helen als weiterer Figur, mit deftigen Sexszenen, heidnischen Sekten, Wagneraufführungen, einem Giftmüllskandal.

Insofern legt jetzt Dirk Kurbjuweit mit „Kriegsbraut“ den ersten Roman vor, der sich konkret mit der Bundeswehr in Afghanistan beschäftigt, mit dem Alltag der Soldaten und den Auswirkungen auf ihre Psyche. Erstaunlich, dass Kurbjuweit das primär aus der Perspektive von drei Soldatinnen macht: Esther heißt seine Heldin, eine Bundeswehrtechnikerin in Afghanistan. Dazu kommen ihre Zimmergenossinnen im Bundeswehrlager in Kunduz. Die eine, Maxi, ist Hauptfeldwebel bei den Kampfmittelbeseitigern, die andere Oberstabsärztin.

Dass Kurbjuweit nicht nur Schriftsteller ist, der 2007 einen guten Roman über den Berliner Politikbetrieb geschrieben hat, sondern auch Journalist und Leiter des Berliner „Spiegel“-Büros, ist ihm natürlich zugutegekommen. Im August 2005 war er als Reporter mit einem Konvoi der Bundeswehr von Kunduz nach Faizabad unterwegs, um über den Opiumhandel und die gezwungenermaßen passive Rolle der Bundeswehr zu schreiben. „Kriegsbraut“ basiert auf den Erfahrungen, die Kurbjuweit bei dieser Reise gemacht hat – die den Roman tragenden Afghanistan-Passagen sind im Frühjahr und Herbst des Jahres 2006 angesiedelt.

Die Romanhandlung jedoch setzt 2003 in Berlin ein. Die auf Rügen groß gewordene Esther verlässt nach dem Informatikstudium in Greifswald ihren Freund, tritt einen ersten Job nicht an, schlägt sich in Berlin als Barkeeperin durch und verliebt sich in einen verheirateten Filmproduzenten und Vater von drei Kindern. Als sie merkt, dass aus dieser Liebe nichts wird, sie immer nur die Geliebte bleibt, meldet sie sich bei der Bundeswehr, die sie zur Nachrichtentechnikerin ausbildet und nach Afghanistan schickt. Es ist noch die Zeit, in der das Mandat der Bundeswehr darin besteht, beim Wiederaufbau zu helfen, in der von einem rein „humanitären Einsatz“ die Rede ist, nicht von „Krieg“, in der man „die Herzen der Menschen“ gewinnen will, so der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung.

So ist auch der Afghanistan-Einsatz von Kurbjuweits Esther zunächst auf das Lager beschränkt. Ein Kampf mit der sich unendlich dehnenden Zeit: „Draußen der Feind, aber wo? Was tat er, außer Stunden in die Länge ziehen? Möglichst wenig auf die Uhr gucken. Das war das Rezept für einen halbwegs erträglichen Tag. Man konnte sich überlisten und die Armbanduhr auf der Stube lassen. Doch dann verrenkte man den ganzen Tag den Kopf, um auf die Uhren anderer Soldaten zu gucken.“ Abwechslung kommt, als Esther zweimal die Woche eine Patrouillenfahrt zu einer Schule in den Bergen mitmacht. Ihre Russischkenntnisse aus der DDR- Schulzeit sind gefragt, sie soll mit dem afghanischen Schulleiter kommunizieren, der ebenfalls Russisch spricht.

Dirk Kurbjuweits Roman droht an dieser Stelle, zu einer seltsame Schmonzette zu werden. Esther und der Schulleiter erzählen sich nicht nur ihr Leben, sondern verlieben sich. Imponiert bis dato die Beschreibung des öden soldatischen Alltags in „Kriegsbraut“, gerade auch die des in jedweder Beziehung (Hierarchie, Erotik) spannungsreichen Verhältnisses zwischen weiblichen und männlichen Soldaten, so schleichen sich durch die Liebe zwischen Esther und Mehsud absurde Züge ein. Kurbjuweit thematisiert diese Absurdität auch. Esther sinniert über „das Fremde“, darüber wie einmalig diese Liebe ist: „Fremdheit. Von da an war es nicht weit bis zur Unmöglichkeit. Das Wort sprengte ihren Kokon.“

Den Bogen bekommt Kurbjuweit rechtzeitig, gelingt es ihm doch, diesen bis in die deutsche Kriegsgegenwart des Jahres 2011 zu spannen. Esther wird bei einem Taliban-Angriff in eine Kampfhandlung verwickelt, bei der zwei deutsche Soldaten, aber auch afghanische Zivilisten sterben, eine Frau und zwei Kinder. Plötzlich wird der Krieg real, der Tod zu einer realen Erfahrung. Und Esther muss sich mit Schuldgefühlen herumschlagen, war sie es doch, die an die US-Armee den Auftrag gab, den Taliban-Unterschlupf zu bombardieren – obwohl sie von der Frau und ihren Kinder wusste.

Die Schuldgefühle begleiten sie fortan, genau wie ihre Zimmergenossin Maxi, allerdings aus einem anderen Grund und für Maxi dann tödlichen Folgen. „Kriegsbraut“ erhält hier, trotz der konventionellen, journalistisch geschulten, manchmal an Reportagen erinnernden Sprache Kurbjuweits, eine besondere Tiefe, verstärkt dadurch, dass Esther auf einen Erholungsurlaub nach Deutschland geschickt wird. Hier begegnet sie ihrem Ex-Liebhaber, mit dessen Familie sie befreundet ist, hier besucht sie ihre Eltern auf Rügen, hier geht alles seinen gewohnten, friedfertigen Gang. Ein Krieg? Für den allergrößten Teil der deutschen Bevölkerung ist er undenkbar, hat er etwas Unwirkliches.

Esther bewegt sich zwischen der deutschen Alltagsrealität und der afghanischen Kriegsrealität; sie ist verstrickt in das Für und Wider, das den Einsatz der Bundeswehr seit 2002 begleitet. Auch von diesem Dilemma, von der Kluft zwischen realpolitischen Erwägungen in einem kriegsfernen Land und den Schwierigkeiten heimkehrender Soldaten, erzählt Kurbjuweits Roman aufs Nachdrücklichste.











— Dirk Kurbjuweit:
Kriegsbraut. Roman. Rowohlt Berlin,

Berlin 2011.

336 Seiten, 19,95 €.

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