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Simone Young wurde 1961 in Sydney geboren.

© Bertold Fabricius

Dirigentin Simone Young: Nennt mich nicht Maestra

Immer und überall die Erste: Eine Biografie zeichnet den steinigen Karriereweg der australischen Dirigentin Simone Young bis an die Spitze der Klassikwelt nach.

Eine Probe zu Richard Strauss Oper „Die Frau ohne Schatten“ beim Melbourne Festival 1996: In einer kurzen Pause unterhalten sich einige russische Musiker aus der 1. Geigengruppe. Wer ihre Sprache versteht, hört laut und deutlich, wie sie mit Blick auf die Dirigentin sagen: „Sie sollte besser an den Herd zurück und kochen.“ Woraufhin Simone Young auf Russisch antwortet: „Ich kann auch gut kochen, aber jetzt nicht. Jetzt wollen wir bitte weiterarbeiten.“

Brett Dean, der australische Komponist, der lange auch Bratscher bei den Berliner Philharmonikern war, erzählt diese Anekdote in Kerstin Schüssler-Bachs Dirigentinnen-Biografie „Simone Young. Pionierin am Pult“ (Edition Text und Kritik, München 2022, 115 Seiten, 19 Euro). Die 1961 in Sydney geborene Künstlerin hatte es bei ihrem Karrierestart doppelt schwer: Zum einen ist sie kein Mann – und zum anderen kommt sie aus Down under, aus eurozentristischer Sicht also vom anderen Ende der Klassikwelt. Davon, wie sich Simone Young dennoch durchgesetzt hat, wie sie zur international gefragten Interpretin wurde, berichtet Kerstin Schüssler-Bach in nüchternem, faktenreichem Tonfall.

1977 schreibt sie ihr erstes Musiktheaterstück

Auf dem Piano ihrer Großmutter spielte die kleine Simone bereits als Dreieinhalbjährige Kinderlieder, rein nach dem Gehör, zum Klavier- kommt Querflötenunterricht hinzu, mit 16 erhält sie ein Stipendium und kann Stunden beim Komponisten Martin Welsley-Smith nehmen. 1977 schreibt sie ihr erstes eigenes Musiktheaterstück und leitet „The Fortune-Teller“ bei einer Schulaufführung. Neben dem Studium nimmt sie Kellnerjobs an, als 21-Jährige kann sie ihr professionelles Dirigentinnendebüt geben, mit der Gilbert & Sullivan Operette „H.M.S. Pinafore“. Sie wird an der Oper in Sydney engagiert, zunächst als Probenpianistin, darf aber bald auch abends vor dem Orchester stehen – und erhält 1986 die Möglichkeit, am Kölner Opernhaus zu hospitieren.

Nach einer Kölner „Rosenkavalier“- Probe ruft der Bassbariton Günter von Kannen aus „Die Kleine hat’s aber sowas von drauf!“, berichtet Kerstin Schüssler-Bach. Und tatsächlich bekommt Simon Young in Köln einen Vertrag mit Dirigierverpflichtung, assistiert Daniel Barenboim zwei Sommer lang bei den Bayreuther Festspielen und wird von ihm 1993 als Kapellmeisterin an die Berliner Staatsoper engagiert, die der Maestro gerade übernommen hat. Es folgen Debüts in Paris, an der Wiener Staatsoper, in München, an der New Yorker Met - und 1995 hebt sie endlich auch wieder in der Heimat den Taktstock, bei Verdis „Aida“.

Eine erste Chefposition in Australien hält nicht lange

1999 wird Simon Young Chefdirigentin beim Bergen Philharmonic Orchestra, 2001 künstlerische Leiterin in Sydney. Beide Engagements aber enden bald schon wieder, in Norwegen kommt Simone Young, die gerne schnelle Entscheidungen trifft, nicht mit dem skandinavischen Mitbestimmungsmodell der Orchestergremien klar, an der Opera Australia scheitert sie mit ihren Forderungen, die Akustik zu verbessern und den Orchestergraben zu vergrößern. Doch Konflikten aus dem Weg zu gehen, ist nicht ihre Art. Lieber zieht sie persönliche Konsequenzen.

Auf ihrer nächsten Leitungsposition an der Hamburgischen Staatsoper kann sie sich dann zehn Jahre lang halten. Auch wenn ihr, sowohl im eigenen Haus als auch in der Öffentlichkeit, häufig der kalte Wind ins Gesicht bläst, wie Kerstin Schüssler-Bach berichtet, die diese Zeit als Leitende Dramaturgin miterlebt hat. Um die volle Kontrolle zu haben, hat Simon Young die Doppelfunktion als Intendantin wie als Generalmusikdirektorin übernommen. Künstlerische Vielfalt ist ihr wichtig, sie setzt Barockopern auf den Spielplan, die einst im legendären Hamburger Theater am Gänsemarkt uraufgeführt worden sind, legt bei ihren eigenen Produktionen Schwerpunkte auf Benjamin Britten und Giuseppe Verdi, dirigiert nach dem Vorbild ihres Mentors Barenboim aber auch mal alle Wagner-Opern hintereinander.

Jetzt aber lockte die alte Heimat wieder

Nach 466 Vorstellungen sagt sie Hamburg 2015 Lebwohl, um künftig freiberuflich tätig zu sein. Jetzt jedoch, mit 61 Jahren, hat sie sich noch einmal auf eine Festanstellung eingelassen: Das Sydney Symphony Orchestra machte ihr ein Angebot, das sie nicht ablehnen konnte. Mit der neuen Spielzeit tritt Young den begehrtesten Chefdirigentinnenposten in ihrer Heimat an.

„Don’t call me Maestra“ würde der Titel ihrer Biografie lauten, wenn sie das bestimmen könnte, hat Simone Young einmal gesagt. Denn wie alle Dirigentinnen will sie nicht nach ihrem Geschlecht beurteilt werden, sondern nur nach ihren künstlerischen Leistungen. Kerstin Schüssler-Bach lässt darum viele Künstlerkolleg:innen der Australierin zu Wort kommen, darunter auch zwei Mitglieder der Staatskapelle Berlin.

„Sie ist unfassbar gut organisiert, ihre Proben sind extrem effektiv“, schwärmt die Violinistin Susanne Schergaut. Und der Hornist Thomas Jordans ergänzt: „Sie macht wenig Gesten und verschwendet keine Zeit auf wortreiche Erklärungen. Was sie will, kann sie zeigen. Das Eigentliche passiert am Abend – so soll es sein.“

Sie ist ein Vorbild für junge Dirigentinnen

Und doch ist Simone Young natürlich eine Pionierin, die Vorkämpferin in einer Männerdomäne, die zum role model für inzwischen zwei Generationen geworden ist. Joana Mallwitz, ab 2023 Chefdirigentin des Berliner Konzerthausorchesters, sagt: „Simone Young hat mich schon als Teenager bestärkt, den Berufswunsch Dirigentin zu verfolgen.“ Und Anna Skryleva berichtet von einem „Fliegenden Holländer“, bei dem sie 2002 Young an der Berliner Staatsoper erlebte: „Dieser Abend hat meine ganze Welt auf den Kopf gestellt. Ich war elektrisiert von der magischen Kraft dieser Frau.“ Inzwischen ist Skryleva Generalmusikdirektorin am Theater Magdeburg.

Besonders ein Mann hat Simone Young auf ihrem steinigen Karriereweg unterstützt: Ihr eigener nämlich, Greg Condon, ein Lehrer, der beruflich bewusst zurückgesteckte, um sich um die beiden 1987 und 1997 geborenen Töchter kümmern zu können. Ein anderer, Andreas Homoki, langjähriger Intendant der Komischen Oper, der die junge Australierin 1986 kennenlernte, als sie Stipendiatin in Köln war und er Regieassistent, sagt: „Sie hat wirklich eine Mauer durchbrochen und damit das bis dahin als selbstverständlich männlich erscheinende Berufsbild des Dirigenten für alle Zeiten hinweggefegt.“

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