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Trägt jetzt überraschenderweise auch Anzug und Krawatte: Teodor Currentzis

© Daniel Dittus

Dirigent Teodor Currentzis und der Ukraine-Krieg: Schweigen sagt mehr als tausend Töne

Stardirigent Currentzis hat sich bislang noch nicht eindeutig zum Ukraine-Krieg positioniert. Noch trägt sein SWR Symphonieorchester das mit.

„Diese Sinfonie passt wie kein anderes Werk zu unserer Zeit, in der der grausame Krieg Russlands gegen die Ukraine andauert“, heißt es im Programmheft des SWR Symphonieorchesters. „Im Widerstand der Ukrainer gegen die neue Barbarei des Kreml ist Schostakowitsch mit seiner Musik unser aufrichtiger Verbündeter.“ Klare Worte also bei diesem „Appell für Frieden und Versöhnung“, wie das Orchester das Konzert auf seiner Europatournee verstanden haben will.

Sie stammen aber nicht vom Chefdirigenten Teodor Currentzis. Oleksandr Shchetynsky hat sie geschrieben. Ein ukrainischer, mit Currentzis befreundeter Komponist, dessen Orchesterstück „Glossolalie“ den Auftritt in Freiburg eröffnet. Currentzis hingegen schweigt zu Russlands Angriffskrieg. Er, der sonst gerne salbungsvoll über die spirituelle und humanistische Bedeutung der Musik doziert, musikalisch kein Risiko scheut und sich als revolutionärer Erneuerer der Klassik inszeniert, bleibt stumm.

Der SWR verlang kein öffentliches Statement von Currentzis

Valery Gergiev hat mit seinem Schweigen den Job als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker verloren. Teodor Currentzis, der neben der griechischen auch die russische Staatsangehörigkeit besitzt und in Russland wohnt, hat zwar nie aktiv Putins Politik unterstützt, aber sein Ensemble musicAeterna wird von der russischen, vom Westen boykottierten VTB Bank finanziert. Der Südwestrundfunk findet das zwar „problematisch“, forderte aber von seinem Chefdirigenten bisher keine öffentliche Positionierung. Ein Spagat auch für das Orchester. Das trug – nach vielen Gesprächen – das musikalische Statement des geänderten Tourneeprogramms mit.

Zumindest äußerlich zeigt sich Currentzis verändert. Keine rasierte Schläfe mehr, keine Schnürstiefel, keine hautengen Jeans, sondern bürgerliche Frisur, Lackschuhe und schwarzer Anzug mit Krawatte. Shchetynskys „Glossolalie“ ist ein ganz unpolitisches Werk, das vom Pfingstwunder inspiriert ist. Das Zungenreden beginnt mit fragilen Harfenklängen. Die Bruchstücke verdichten sich zu einem schrillen Stimmengewirr, ehe das Werk in die Stille zurückkehrt.

Am Schluss steht der Bach-Choral "Jesus bleibet meine Freude"

„Schöpferische Antwort eines sowjetischen Künstlers auf berechtigte Kritik“, hatte Dmitri Schostakowitsch zu seiner 5. Symphonie geschrieben, nachdem er von Stalins Propaganda aufgrund seiner wilden Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ zum Volksfeind erklärt worden war. Für Schostakowitsch ging es mit dieser Symphonie ums nackte Überleben. Die Funktionäre jubelten bei der Uraufführung 1937 in Leningrad. Den doppelten Boden des Werkes erkannten sie nicht. Currentzis und das SWR Symphonieorchester arbeiten diese Vielschichtigkeit in allen Sätzen heraus. Die entfesselte Energie des Finales steigert sich zu einem brutalen, ohrenbetäubenden Jubel. Triumph und Gewalt liegen ganz nah beisammen.

Mit dieser Spannung das Publikum zu entlassen, wäre eine gute Entscheidung gewesen. Aber Currentzis endet mit dem vom Orchester gesungenen und gespielten Bachchoral „Jesus bleibet meine Freude“. Musik als Trost und Heilung? Die Funktionalisierung des Chorals in diesem Kontext hinterlässt einen schalen Beigeschmack. Die Tournee war das letzte Projekt von Currentzis beim SWR in dieser Saison, was dem Sender einige Monate Bedenkzeit gibt. Je mehr Gräueltaten am ukrainischen Volk bekannt werden, desto schwieriger wird der selbstgewählte Spagat. Sicherlich hätte eine klare, öffentliche Positionierung gegen den von Putin befohlenen Angriffskrieg für Currentzis persönliche Konsequenzen in Russland, aber das bringen schwierige Entscheidungen mit sich. Glaubwürdigkeit ist ein hohes Gut – auch in der Musik. Georg Rudiger

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