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Direktorin des Brücke-Museums: „Viele haken die Expressionisten leider nur noch ab“

Nach der Debatte um Nolde stehen Brücke-Künstler wieder im Fokus. Die Direktorin des Brücke-Museums Lisa Marei Schmidt über ihre radikale Malerei und eine Bushaltestelle vor der Tür.

Frau Schmidt, derzeit gibt es eine Diskussion zur Rolle der Brücke-Künstler im „Dritten Reich“. Der Hamburger Bahnhof untersucht Emil Noldes Antisemitismus, und auch Sie werfen in Ihrer Ausstellung im Brücke-Museum einen neuen Blick darauf. Kratzt das an der Popularität der Gruppe?

Die Ausstellung versucht die Biografien von Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff, Max Pechstein und Ernst Ludwig Kirchner, vier eher unpolitische Menschen, ohne moralischen Zeigefinger darzustellen. Sie fragt: Was waren die Handlungsspielräume in dieser Zeit? Die Verfemung war zwar einschlagend für diese Künstler, aber bisher wurde die Periode 1933 bis 1945 allein unter diesem Aspekt behandelt. Die meisten ehemaligen Brücke-Künstler hegten zu Beginn noch die Hoffnung, mit ihrer Kunst Anerkennung unter den Nationalsozialisten zu finden – eine Hoffnung, die von letzteren teilweise genährt wurde. Das Publikum schätzt diese überfällige Auseinandersetzung, was auch die Besucherzahlen und der Zuwachs eines jüngeren Publikums zeigen.

Mit Ihnen scheinen die Zeiten vorbei, in denen sich die Besucher im Brücke-Museum auf opulente Ausstellungen verlassen und die Kunst einfach genießen konnten. Was machen Sie anders?

Ich habe das Gefühl, wenn man heute durch Sammlungspräsentationen geht und zu den Expressionisten kommt, dann hakt man nur noch ab – „Da ist der Kirchner, der Schmidt-Rottluff, der Heckel“ – und geht weiter, ohne wirklich hinzuschauen. Das möchte ich ändern und zeigen, wie radikal die Künstler in ihrem Schaffen und zu ihrer Zeit waren.

Wäre es da nicht sinnvoller die Sammlung in ein anderes Haus zu integrieren statt sie in Ihrem Spezialmuseum zu zeigen?

Der Fokus auf eine bestimmte Zeit oder Gruppe erlaubt ein intensiveres Arbeiten als in enzyklopädischen Sammlungen. Der Standort am Rande des Grunewalds – von Schmidt-Rottluff als Initiator des Museums bewusst gewählt – ermöglicht ein anderes Kunsterlebnis. Ich habe immer in großen Institutionen gearbeitet, aber kleine Häuser besonders geliebt. Die Besucher mögen das Intime solcher Museen. In einer Spezialsammlung kann ich außerdem Künstler und Wissenschaftler einladen, neue Perspektiven auf die Sammlung zu werfen. Jede Generation hat ihren eigenen Blick. Ich komme aus der zeitgenössischen Kunst und werde hier auch mit zeitgenössischen Künstlern zusammenarbeiten. Sie sind die besten Sparringpartner, um über Kunst zu reden und über Museen als Institutionen nachzudenken.

Welche Fragestellungen kann es an die Brücke überhaupt noch geben?

Es existiert zwar kilometerlang Literatur, aber wie die aktuelle Ausstellung zur Rolle der Künstler im Nationalsozialismus zeigt, ist längst nicht alles ausgeforscht. Ein anderes Beispiel ist das Thema der Künstlerrahmen, dem wir uns ab dem 15. November widmen, auch dies wurde bisher noch nicht mit einer Ausstellung gewürdigt. Die Kuratorin des Moderna Museet in Stockholm, das uns deren „Marcella“ leiht, ging nach unserer Anfrage als erstes ins Depot, um sich den Rahmen anzuschauen, dem sie vorher noch nie Beachtung geschenkt hatte.

Sie haben als junge Kuratorin eine Museumsdirektorin abgelöst, die über 30 Jahre hier gewirkt hat. Worin unterscheidet sich Ihr Blick auf die Brücke?

Ich schaue aus dem Heute auf die Kunst und möchte herausarbeiten, warum sie noch immer relevant ist. Deshalb ist mir die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und Künstlern so wichtig. Das hat im Grunde schon Schmidt-Rottluff vor 50 Jahren angelegt durch die enge Zusammenarbeit mit dem Gründungsdirektor des Museums, Leopold Reidemeister, und sein Förderstipendium für junge Künstler. Auch die Vermittlung ist mir wichtig. Am 11. August wird draußen ein Projekt von „Kinderhook und Caracas“ eröffnet, die eine „Mini-Documenta“ planen, was ein bisschen beunruhigend klingt. Sie wollen im ganzen Garten und Wald zeitgenössische Positionen präsentieren, inspiriert vom Gründungsgedanken der Brücke, das Alte mit dem Neuen zu verbinden.

Und was können uns die Brücke-Künstler heute noch sagen?

Ihre Werke verhandeln zutiefst humane Themen: die Harmonie zwischen Mensch und Natur, die Zerrissenheit in der Großstadt. Zugleich arbeiteten sie marketingorientiert. Sie fanden sich von Anfang an als Gruppe zusammen, die auch Mitglieder im Ausland anwarb, um bis dorthin ihre Ausstellungsaktivitäten zu erweitern. Die Künstler gestalteten ihre Corporate Identity selbst: Ausstellungsposter, Mitgliederausweise, Briefumschläge. Der Expressionismus war die letzte gattungsübergreifende Kunstrichtung mit Tanz, Film, Theater, Mode und ist deshalb so interessant für unsere Gegenwart.

Was ändern Sie am Haus?

Bislang waren es nur minimale Eingriffe, da mir die Architektur von Werner Düttmann am Herzen liegt. Sie hatten aber große Wirkung, etwa die Entfernung der Jalousien, sodass der Blick wieder nach draußen gehen kann. Dieses Zusammenspiel von Kunst und Natur ist in der Architektur bereits angelegt.

Ihre Antrittsrede im Kulturausschuss vor über einem Jahr listete eine Reihe Mängel auf – Heizung defekt, Klimaanlage veraltet, kein richtiges Depot.

Das Haus ist über 50 und sanierungsbedürftig. Aber Heizung und Klimaanlage funktionieren wieder. Mir gefällt die Bemerkung von Hartmut Dorgerloh, Intendant des Humboldt-Forums, der anlässlich der Verschiebung des Eröffnungstermins sagte, Bauen sei das letzte Abenteuer. Ich kann ergänzen: Alter Bestand ist auch ein Abenteuer. Dafür haben wir endlich eine zeitgemäße Datensicherung. Die Bushaltestelle ist als Anliegen geblieben, in der Nähe gibt es keine U- und S-Bahnstation. Deshalb ist es so schade, dass der X-10er vorbeidüst, mit dem man innerhalb einer Viertelstunde vom Zoo bei uns sein könnte.

Das Museum besticht durch seine Intimität. Aber reicht der Platz?

Wir haben eine der größten Sammlungen des Expressionismus, doch es fehlt an Ausstellungsfläche, dazu ein Depot. In unseren Räumlichkeiten können wir nur zwei Prozent der Bestände zeigen, bestimmte Exponate wie Schmidt-Rottluffs Kunsthandwerk waren noch nie zu sehen. Bereits vier Jahre nach der Eröffnung 1967 legte Düttmann Pläne für einen Erweiterungsbau vor, das Problem ist nicht neu. Wir sind in intensiven Gesprächen, wie wir dieses Anliegen vorantreiben können.

Seit einem Jahr arbeitet eine Provenienzforscherin bei Ihnen. Befürchten Sie einen weiteren Fall Kirchner, erneute Restitutionen?

Bisher gibt es keine Verdachtsmomente, aber die Prüfung ist auch noch nicht abgeschlossen. Jenseits von Restitutionsforderungen, die das Geschehen beherrschen, ist es interessant, die Biografien der Werke zu kennen: Durch welche Hände gingen sie? Wir wollen diese Vorgeschichten fortan permanent in der Sammlung zeigen. Ein Großteil unserer Sammlung kam aber als Schenkung von Karl Schmidt-Rottluff und Erich Heckel ans Haus. Da ist die Provenienz einwandfrei.

Der traditionell orientierte Förderverein hat sich damals gegen die Restitution des Kirchner-Bildes gewehrt und auch mit Ihnen angelegt. Nachdem der Vorstand die Vertrauensfrage gestellt hat und kein positives Votum erhielt, ist er zurückgetreten. Wie geht es weiter?

Ich weiß es nicht, ich bin nicht Mitglied. Aber wir brauchen den Fördererkreis, der uns bei den Ausstellungen, den Publikationen und Neuerwerbungen unterstützt. Inzwischen gibt es viele Neuanmeldungen, auch aus der Nachbarschaft. Der Fördererkreis ist wichtig, denn wir befinden uns am Rand der Stadt. Deshalb haben wir uns mit dem benachbarten Kunsthaus Dahlem freundschaftlich verbunden und als erstes den Zaun entfernt, der bisher die Grundstücke trennte.

Waren die jüngsten Auseinandersetzungen generationsbedingt?

Es gibt einen Generationswechsel, das ist ganz klar. Er lässt sich auch an den Eintragungen im Besucherbuch ablesen, in dem über das Gendersternchen, das wir auf Initiative unserer Volontärinnen in den Wandtexten eingeführt haben, heiß diskutiert wird. Im Besucherbuch gibt es empörte Kommentare, in denen die Verschandelung der deutschen Sprache beklagt wird, aber auch Gegenkommentare.

Die Landesmuseen leiden darunter, dass sie weder Ankaufs- noch Ausstellungsetat haben. Wie gehen Sie damit um?

Im Haushaltsentwurf für 2020/21 sind für die Museen Programmmittel vorgesehen. Ich habe also Hoffnung. Auch wenn es weiterhin keinen wirklichen Ankaufsetat gibt, so stehen doch die Karl und Emy Schmidt-Rottluff-Stiftung und der Förderverein an meiner Seite. Es gibt aber auch andere wichtige Förderer für Ankäufe in Deutschland, wie die Ernst von Siemens Kunststiftung. Da wir so viele tolle Sachen im Depot haben, die noch nie gezeigt wurden, richte ich den Fokus auf das Ausstellen, Bewahren und die Aufarbeitung.

Wie positionieren Sie sich in der Stadt?

Berlin hat großartige Sammlungen, aber in Deutschland sind die Museen oft noch stark dem 19. Jahrhundert verhaftet. In anderen Ländern, zum Beispiel Holland oder England, dürfen Museen viel mehr Spaß machen. Das sollen sie auch: In einer guten Atmosphäre, lernt man am besten. Wir arbeiten hier daran. Das Frans-Hals-Museum im niederländischen Haarlem besitzt nur eine Handvoll Werke des Künstlers, aber mit seinem Internetauftritt weist es selbstbewusst darauf hin und informiert anhand einer Weltkarte, wo es noch Bilder von ihm gibt, ohne den Mangel zu beklagen. Diese Vernetzung gefällt mir, deshalb kooperieren wir so stark mit Hochschulen und Schulen und holen junge Leute ans Haus.

Das Gespräch führte Nicola Kuhn.

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