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Auch in Deutschland längst zu haben. Südkoreanische College-Studentinnen mit einem ausziehbaren Stativ für das Selfie.

© dpa/Yonhap

Digital ist freiwillig: Fröhliche Sünder im Beichtstuhl

Der südkoreanische, in Berlin lebende und lehrende Kulturphilosoph Byung-Chul Han attackiert in seinem Buch "Psychopolitik" die freiwillige Unterwerfung unters digitale Joch.

Haben Sie ein Handy, wollen aber kein Smartphone? Benutzen Sie das Internet zu Recherchezwecken, verbieten sich aber das Surfen? Laden Sie zwar Freunde per Mail zu sich nach Hause ein, wollen aber nicht in sozialen Netzwerken mit ihnen verkehren? Wenn Sie alle drei Fragen mit einem beherzten Ja beantworten, fallen Ihnen bestimmt ein paar gute Argumente ein, warum Sie sich so verhalten, auch wenn Sie diesen Argumenten selbst nicht trauen.

Wer versucht, das eigene Verhältnis zu technischen Medien als einigermaßen plausible Entscheidung darzustellen, gerät schnell in Erklärungsnot. Muss man nicht stets den Verdacht gegen sich hegen, dass man etwas als souveränes Verhalten darzustellen versucht, was einfach nur eine Folge von Alter, Bequemlichkeit, Geldmangel oder Unkenntnis ist? Es wäre sicher am einfachsten, nur die Dinge zu benützen, die man braucht. Aber was braucht man schon? Und vor allem: Was bekommt man dazu, von dem man gar nicht wusste, dass man es sich wünschen könnte? Das ist die Logik vieler technischer Errungenschaften und erst recht die der elektronischen Überbietungs-Innovation.

Der in Südkorea aufgewachsene, heute an der Universität der Künste in Berlin Kulturwissenschaft lehrende Philosoph Byung-Chul Han hat sich als ein Autor etabliert, der das diffuse Unbehagen an der gegenwärtigen Situation eingängig darzustellen vermag. In seinem vor vier Jahren bei Matthes & Seitz erschienenen Büchlein „Müdigkeitsgesellschaft“ legte er dar, wie die Zunahme beruflicher Anforderungen und bis in die Freizeit hineinregierende Kommunikationsappelle zur Erschöpfung führen. In Krankheitsbildern wie Burnout und Depression sieht er die Zeichen der Zeit: das Individuum bricht unter Überlastungen zusammen, die es zum Teil freiwillig eingeht.

Es ist der Anschein von Freiheit, der die Sache seiner Meinung nach so infam macht. Der Kapitalismus der Gegenwart diszipliniert die Individuen nicht, indem er ihnen etwas verbietet oder sie zu etwas zwingt. Er diszipliniert sie, indem er sie dazu verführt, etwas für Freiheit zu halten, was ein Zwangssystem eigener Art ist: die Angst, nicht mithalten zu können oder etwas zu verpassen, verlegt die Leistungsanforderung ins Innere des Individuums. Je mehr es kann, desto mehr fordert es sich ab. „Die Freiheit des Könnens“ erzeugt „mehr Zwänge als das disziplinarische Sollen“, schreibt er in seinem neuesten Buch, „Psychopolitik – Neoliberalismus und die neuen Machttechniken“.

Darin finden sich eine Menge schmissiger Sätze. Beispielsweise dieser: „Jedes Dispositiv, jede Herrschaftstechnik bringt eigene Devotionalien hervor, die zur Unterwerfung eingesetzt werden. Sie materialisieren und stabilisieren die Herrschaft. Devot heißt unterwürfig. Das Smartphone ist eine digitale Devotionalie, ja die Devotionalie des Digitalen überhaupt. Als Subjektivierungsapparat fungiert es wie ein Rosenkranz, der in seiner Handlichkeit auch eine Art Handy darstellt. Sie dienen beide zur Selbstprüfung und Selbstkontrolle. Die Herrschaft steigert ihre Effizienz, indem sie die Überwachung an jeden Einzelnen delegiert. Like ist digitales Amen. Während wir Like klicken, unterwerfen wir uns einem Herrschaftszusammenhang. Das Smartphone ist nicht nur ein effektiver Überwachungsapparat, sondern auch ein mobiler Beichtstuhl. Facebook ist die Kirche, die globale Synagoge (wörtl. Versammlung) des Digitalen.“

Das „digitale Panoptikum“ kennt nicht nur unsere äußeren Lebensumstände, sondern kann direkt in unsere Seele blicken

Man muss den Stakkato-Stil des Autors nicht mögen, seine Art, aus sprachlichen Analogien Schlüsse zu ziehen, seinen Eklektizismus und die seltsame Eigenart, gerade jene Autoren – etwa Jean Baudrillard, Michel Foucault, Giorgio Agamben, Eva Illouz, Alain Ehrenberg – abzukanzeln, von denen er Gedanken übernimmt. In „Topologie der Gewalt“ (2011) hat er seine Überlegungen etwas ausführlicher entwickelt und die neuen Krankheitsbilder als Vorzeichen eines bevorstehenden System-Kollapses gedeutet, ohne allerdings zu erwägen, ob es sich dabei nicht um eine intellektuelle Form des Romantizismus handelt.

Doch auch sein neuestes Buch ist nicht nur das Schlagwortarsenal und Thesensammellager, als das es auf den ersten Blick erscheint. Auch wenn seiner Sprache „jede Ambivalenz fehlt“, sie also genau jener „maschinellen, funktionellen Sprache“ gleicht, die er in „Topologie der Gewalt“ und „Transparenzgesellschaft“ (2012) als eine Sprechweise kritisiert, die sich ganz dem Diktat beschleunigter Kommunikation unterwirft, ist seine zentrale These bedenkenswert.

Durch all die Daten, die wir elektronisch zur Verfügung stellen, lautet sie, sei es in Form freiwilliger Selbstentblößung in sozialen Netzwerken oder als Folge von Unkenntnis und Unachtsamkeit, entsteht ein „digitales Panoptikum“, das nicht nur unsere äußeren Lebensumstände kennt, sondern direkt in unsere Seele blicken kann. Unsere Privatsphäre wird auf eine früher nicht vorstellbare Weise zerstört, wenn wir Big Data erlauben, dort Dinge zu erkennen, von denen wir selbst nichts wissen. So werden nicht nur „unsere Wünsche lesbar, deren wir uns nicht eigens bewusst sind“, um in Rechenzentren von Konzernen oder Geheimdiensten jenseits unserer eigenen Zugriffsmöglichkeiten explizit gemacht zu werden. Es lässt sich auch eine „Psychopolitik“ denken, die uns auf eine bis vor kurzem nicht vorstellbare Weise ausbeutbar macht. Dass man unter dem Deckmantel vermeintlicher Freiheit in eine Lage gerät, die man wohl diabolisch nennen müsste (Han macht das nicht), sollte Grund genug sein, über den Umgang mit den eigenen Daten ernsthaft nachzudenken und innere Widerstände eher zu kultivieren als aus dem Weg zu räumen.

Es gibt gewiss kenntnisreichere Kritiker des fatalen Zusammenspiels von elektronischer Datenverarbeitung und allgegenwärtiger Kontrolle, etwa Julian Assange, Edward Snowden oder den amerikanischen Internet-Pionier Jaron Lanier, der in diesem Herbst mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wird. Es gibt auch gewichtigere Philosophen, die über seelische Resonanzverhältnisse nachgedacht haben, allen voran Peter Sloterdijk, an dessen Karlsruher Hochschule für Gestaltung Byung-Chul Han eine Zeitlang gelehrt hat. Doch vielleicht erreicht die Stimme eines Popularisierers auch Digital Natives, die gern mit einem „So what“ reagieren, wenn man ihnen allzu kompliziert die Folgen ihrer elektronischen Selbstentblößung darlegen will – auch wenn es fraglich ist, ob sie gerade mit dem guten alten Begriff der „Seele“ zu ködern sind.

Wem echte Kontemplation lieber ist als schmissige Formulierungen über ihre Notwendigkeit, der greife besser gleich zu einem Buch, auf das Byung-Chul Han hinweist, um eine Figur zu profilieren, die sich der ständigen Kommunikation entzieht: den „Idioten“. Die Rolle, die in „Müdigkeitsgesellschaft“ Peter Handke zukam, nämlich mit seinem „Versuch über die Müdigkeit“ (1989) eine Form der Müdigkeit zu beschreiben, die nicht Ermattung, sondern Empfänglichkeit ist, spielt dieses Mal Botho Strauß. Sein letztes Jahr im Diederichs Verlag erschienenes Buch „Lichter des Toren. Der Idiot und seine Zeit“ enthält unzählige Denkbilder einer Existenzweise jenseits des Konsum- und Kommunikationszwangs.

Wie sich die Einsamkeit einer solchen Lebensform allerdings mit dem verträgt, was Byung-Chul Han im Anschluss an Marx als positiver Begriff von Freiheit vorschwebt, der zugleich ein „Synonym für die gelingende Gemeinschaft“ ist, bleibt sein Geheimnis – und ist einer der Widersprüche, die sein rasch auf den Markt geworfenes Buch nicht auflöst.

Byung-Chul Han: Psychopolitik. Neoliberalismus und die neuen Machttechniken. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014. 130 S., 19,99 €.

Meike Feßmann

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