zum Hauptinhalt
Fans im Viertelfinale des DFB-Pokals, Bayer Leverkusen gegen 1. FC Union Berlin.

© Federico Gambarini/dpa

Dietmar Hopp, der DFB und die Fans: Warum wir alle den Fußball kaputt machen

An der Kommerzialisierung des Fußballs in Deutschland sind nicht bloß Einzelne schuld – sie ist die Konsequenz unserer ökonomischen Wirklichkeit. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hannes Soltau

Sie wollen sich nicht unterkriegen lassen. Auch an diesem Wochenende nicht. In einer Stellungnahme des Zusammenschlusses „Fanszenen Deutschlands“, in dem zahlreiche deutsche Ultra-Gruppen organisiert sind, drohten Anhänger am Freitag sogar damit, Spielabbrüche in Kauf zu nehmen. Unterzeichnet ist der Brief mit den Worten: „Fick dich, DFB!“. Daraus spricht ein Unbehagen, das schon lange spürbar ist. Nicht erst seit dem vergangenen Wochenende, als die Fans des FC Bayern den Hoffenheimer Mäzen Dietmar Hopp auf Transparenten beleidigten und der Schiedsrichter das Spiel im Sinsheimer Stadion unterbrach.

Milliardäre kaufen sich ganze Vereine, als seien sie Spielzeuge. Einige, wenige finanzstarke Vereine dominieren die europäischen Ligen. Die Spirale bei Transfersummen und Spielergehältern kennt kein Ende. Spieltage werden nach TV-Interessen zerstückelt. Stadionkarten können sich oft nur noch gehobenere Einkommensklassen leisten. Immer wieder tauchen Berichte über Geldwäsche, Korruption und organisierte Kriminalität auf. Wer kann Fußballfans da ihren Frust verübeln?

Die Schmähungen gegen Hopp sind nur ein weiterer Tiefpunkt in einem langen Prozess der Entfremdung zwischen Anhängern und Funktionären des deutschen Fußballs. „Ihr macht unseren Sport kaputt“, schallt es schon seit Jahren durch die Stadien. Im Song „Gegen den modernen Fußball“ des Rappers M.I.K.I. heißt es: „Und sie schmeißen mit Geld und sie denken nicht nach / Fußball wird ein Event und das Stadion ein Park / Nur noch geldgeile Stars / Mann wir müssen jetzt die Faust heben / Dürfen unsern Sport nicht einfach aufgeben.“ Es ist eine binäre Weltsicht, die da ausgerollt wird: die bösen Geschäftsmänner und die ausgebeuteten Fans. Das greift zu kurz.

Gesichter der seelenlosen Herrschaft des Geldes

Für viele Anhänger sind Mäzene wie Dietmar Hopp in Hoffenheim oder Dietrich Mateschitz in Leipzig die Gesichter der seelenlosen Herrschaft des Geldes, die personifizierten Sinnbilder der kapitalistischen Durchdringung des Sports. Dabei sind Leipzig und Hoffenheim keine Einzelfälle, sondern längst Ausdruck einer ökonomischen Normalität – vielleicht sogar die ehrlichsten Repräsentanten des modernen Fußballs. Denn auch in Bayern sind Allianz, Adidas und Audi Anteilseigner, in Dortmund sind große Teile des Vereins in eine börsennotierte Gesellschaft umgewandelt, und Hertha BSC gehört jetzt zur Hälfte dem Unternehmer Lars Windhorst. Profifußball ist ein Investitionsversprechen, die Bundesliga längst ein Schauplatz des Kommerzes.

Das kann frustrieren. Doch auf der Suche nach einem Ventil für die eigene Frustration führt das menschliche Bedürfnis nach Unmittelbarkeit leicht auf Abwege. Dann werden fassbare Oberflächenphänomene wie das Konterfei eines Geldgebers isoliert herangezogen und – im Falle Hopps – wortwörtlich als Zielscheibe anvisiert. Die Geschichte kennt genug Beweise dafür, was passieren kann, wenn diffuse Aggressionen gegenüber abstrakten Problemstellungen an konkreten Individuen ausgelebt werden.

Karl Marx war sicherlich kein Fußballexperte – der Breitensport existierte zu seinen Lebzeiten noch nicht –, aber schon der Vater aller Kapitalismuskritiker warnte davor, „den Einzelnen verantwortlich (zu) machen für Verhältnisse, deren Geschöpf er sozial bleibt, sosehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag“.

Hass auf den DFB. Anhänger von Borussia Dortmund halten auf der Südtribüne ein Transparent hoch.
Hass auf den DFB. Anhänger von Borussia Dortmund halten auf der Südtribüne ein Transparent hoch.

© Guido Kirchner/dpa

Es droht der eigene, sportliche Niedergang

Hopp und Mateschitz handeln nicht aus moralischer Niedertracht. Sie folgen lediglich einer Rationalität, die die sie umgebenden ökonomischen Verhältnisse widerspiegelt. Das Streben nach dem großen Reibach, die Unterwerfung unter Marktmechanismen – sie haben sich das nicht ausgedacht. Der Fußball wird nicht als isoliertes Phänomen immer marktkonformer, er ist Schlichtweg ein Spiegelbild der ihn umgebenen ökonomischen Wirklichkeit.

Warum nimmt ein Verein wie Bayern München Geld aus Katar an, obwohl die islamische Monarchie die Menschenrechte mit Füßen tritt? Warum tragen die Stadien hierzulande bescheuerte Namen wie „Schauinsland-Reisen-Arena“? Weil Vereine Unternehmen sind. So unterliegt jeder Profiverein dem unausweichlichen Sachzwang mit der Konkurrenz „mithalten zu können“ und international „auf Augenhöhe zu bleiben“. Sonst droht Saison für Saison die Strafe des eigenen wirtschaftlichen und sportlichen Niedergangs. Und wie in der Wirtschaft, führt der Wettbewerb auch im Fußball zur Monopolisierung, die nur einigen wenigen großen Akteuren dauerhaft Erfolg garantiert. Die Konzentration von Finanzmitteln auf wenige Vereine verhindert zunehmend eine sportliche Konkurrenz, der Wettbewerbsgedanken strebt auf seine Selbstaufhebung hin.

Der Unmut der Fanszene ist dann aber letztlich ein Ausdruck des Unbehagens an der kapitalistischen Gesellschaft selbst – und einer Logik, in dem ein Lebensbereich nach dem anderen dem Warenwert unterworfen wird. Wenn Fans den Funktionären des Deutschen Fußball-Bundes vorwerfen, dass sie den Ausverkauf vorantreiben, gleicht das den hilflosen Vorwürfen von Politikern, wonach Banker und Investoren Schuld an Finanzkrisen sind. In diesem personalisierenden Denken wird eine Clique von bösen Herrschenden konstruiert, die mittels Repression die alternative Fankultur niederhalten will.

Beleidigung Dietmar Hopps während des Spiels TSG Hoffenheim gegen FC Bayern München.
Beleidigung Dietmar Hopps während des Spiels TSG Hoffenheim gegen FC Bayern München.

© Daniel Roland/AFP

Jeder Ultra hält das Rad am Laufen

Doch diejenigen, die auf Distanz gehen, sind ebenso verstrickt wie die Personen, auf die ihre Spottlieder zielen. Die gute Stimmung in deutschen Stadien, die maßgeblich auf Choreographien und lautstarke Fangesänge organisierter Gruppierungen zurückzuführen ist, wird als Teil des Fußballevents vermarktet. Umgekehrt ist das millionenfach eingeschaltete Pay-TV die Bühne für Fankultur. Auch jeder Ultra hält das Rad am Laufen – wenn er ein Ticket fürs Stadion kauft, wenn er kostenlose Werbung betreibt, in dem er die Vereinsinsignien auf Stickern verteilt oder wenn er ein Abo bei einem Streamingdienst abschließt.

Die Transparente gegen Hopp wirken, als wollten Fans mit Mitteln des Exorzismus den unerwünschten Geist aus dem Stadion austreiben – ohne zu merken, dass sie selbst Teil der Besessenheit sind. Bei aller Beschwörung von Tradition und Stolz: Der moderne Fußballfan schenkt seine Liebe einem Konzern. Und so lange der Sport Teil der Warengesellschaft ist, bleibt dem kritischen Anhänger wohl einzig das Aushalten des Widerspruchs. Oder der radikale Verzicht auf das Erlebnis im Stadion, das Gemeinschaftsgefühl in der Kurve und den qualitativ hochwertigen Spitzenfußball dieser Tage. Und somit als letztes Mittel: der Gang zum Kreisklassekick auf dem Dorfbolzplatz.

Zur Startseite