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Dieter Moebius, Michael Rother, Hans-Joachim Roedelius von der Band Harmonia.

© promo

Dieter Moebius im Interview: "Und über uns eben Peter Steins Schaubühne"

Dieter Moebius ist tot. 2007 feierte der Berliner Elektronik- und Krautrock-Pionier mit seinen Bands Cluster und Harmonia Comebacks. Hier ein Interview aus jener Zeit.

Im Alter von 71 Jahren ist Dieter Moebius gestorben. Der gebürtige Schweizer hat mit seinen Bands Cluster und Harmonia die Elektronik mit in die Rockmusik eingeführt und damit Generationen von Musikern beeinflusst. Er gehörte wie auch Edgar Froese und Tangerine Dream zur frühen Berliner Elektronikszene. Der "Guardian" würdigt Moebius in einem Nachruf als "einflussreichen Elektronik-Pionier". Hier dokumentieren wir ein Interview, dass der Tagesspiegel im Jahr 2007 mit Dieter Moebius und seinem langjährigen kreativen Partner Hans-Joachim Roedelius geführt hat.

Herr Moebius, Herr Roedelius, nach zehn Jahren Pause lassen Sie nicht nur Ihr Elektronik-Duo „Cluster“ wiederauferstehen. Auch Ihre früher als „Krautrock-Supergroup“ bezeichnete Band „Harmonia“ mit dem Neu!-Gitarristen Michael Rother spielt heute zur Eröffnung des Worldtronics-Festivals. Ist das Altersmilde – oder waren sie die ständigen Anfragen leid?

DIETER MOEBIUS: Beides. Mit der Cluster-USA-Tour 1996 hatten wir uns übernommen, da lagen die Nerven blank. Aber im Zuge der wiederveröffentlichten Platten häuften sich die Konzertanfragen, und irgendwann war auch der Groll verflogen.

Ihre analog erzeugten Klangkreationen haben das digitale Zeitalter vorweggenommen und Generationen von Elektronik-Musikern beeinflusst. Die Spur wurde in West-Berlin gelegt. Wo haben Sie sich kennengelernt?

ROEDELIUS: Wir trafen uns 1968 im „Zodiak Arts Lab“, einem Club, der sich im Keller der Schaubühne am Halleschen Tor befand. Betrieben wurde das „Zodiak“ von einer AG namens Human Being, der ich ebenfalls angehörte: ein bunter Haufen von Leuten auf dem Weg zu sich selbst und in die Kunst hinein. Dies äußerte sich meistens in gutturalen Lauten oder auf selbst gebauten Flöten. Den Anstoß für Cluster gab dann Konrad Schnitzler. Als Schüler von Beuys hatte er uns mit dem Gedanken infiziert, dass man eine Gruppe gründen müsste.

MOEBIUS: Im Zodiak traten auch Bands wie Tangerine Dream, Freejazzer und Off-Theatergruppen auf. Und über uns eben Peter Steins Schaubühne.

ROEDELIUS: Wir hatten quasi im Untergrund den Boden für sein neues Theater mit bereitet. Doch irgendwann regte sich das Schaubühnen-Publikum über die im Garten rumlümmelnden Kiffer auf und der Laden wurde 1969 dichtgemacht. Zu dem Zeitpunkt hatten wir mit Cluster aber ohnehin schon andere Pläne.

Sie wollten weg?
MOEBIUS: Berlin war eben diese kleine Insel, und in den meisten Bands ging das Gefühl um, mal raus zu müssen, wenn man weiterkommen will. Nach einem Zwölfstundenkonzert in der Galerie Hammer brachen wir mit einem umgerüsteten Postauto in Richtung Düsseldorf auf. Dort haben wir in Kunstvereinen und Kirchen gespielt.

Kamen so die ersten Cluster-Platten zustande, die bei einem Verlag für neue Kirchenmusik erschienen?

MOEBIUS: Ja, derselbe Kantor, der uns bei einem Konzert an der Orgel begleitet hatte, schickte uns mit Sprechern, die religiöse Lyrik rezitierten, ins Studio. Der dort angestellte Toningenieur hieß Conny Plank und sollte von da an fast alle unsere Platten aufnehmen.

Weshalb wurde kurz darauf aus dem Trio Cluster ein Duo?

ROEDELIUS: Konrad Schnitzlers Konzept war sehr vom Fluxus geprägt, er liebte es, bei unseren Konzerten abrupt die Stimmung zu brechen. Wenn wir etwas aufgebaut hatten und ihm das dann plötzlich zu viel wurde, …

MOEBIUS: … dann stach er schon mal mit der Gabel in den Federhall, dass es nur noch laut zischte.

ROEDELIUS: Er betrieb musikalischen Aktionismus. Aber das war nicht unser Ziel. Und so trennten wir uns.

Als akademieferne Autodidakten hatten Sie Ende der Sechziger keinen Zugang zu erschwinglichen Synthesizern. Wie wurden die Cluster-Klänge, die später für die Genres „Industrial“ und „Ambient“ wichtig wurden, erzeugt?

ROEDELIUS: Wir haben mit Tongeneratoren gearbeitet, also mit Elementen, die in den Synthesizern drinstecken. Die bauten uns meistens Freunde zusammen.

MOEBIUS: Oder wir verfremdeten Orgeln mit Wah-Wah-Pedalen und nahmen alle möglichen Instrumente – von Kniegeige bis Kesselpauke – mit Haftmikrofonen auf. Zu unseren Konzerten mussten wir unsere geliehene Anlage immer selbst mitschleppen, da gehörte die PA noch nicht zum Clubinventar. So durchstreiften wir ganz Westdeutschland und nisteten uns immer so lange irgendwo ein, bis wir den Gastgebern auf den Keks gingen.

Wie stießen Sie schließlich auf den Alten Weserhof im niedersächsischen Forst, wo Sie nicht nur mehrere Jahre wohnten, sondern auch die meisten Ihrer Platten aufnehmen sollten?

ROEDELIUS: Ein Antiquitätenhändler hatte das leer stehende Gehöft entdeckt und bearbeitete die Behörde so lange, bis ihm der Weserhof verpachtet wurde. Als er uns fragte, ob wir mit einziehen wollten, wurde das unser Utopia. Ich lebe seit 1978 mit meiner Familie in Österreich, doch Moebi und Michael Rother verbringen den Sommer immer noch dort.

Wann ist Michael Rother, der Gitarrist des seinerzeit ungewöhnlich erfolgreichen Experimental-Duos Neu!, in Ihr Utopia aufgenommen worden?

ROEDELIUS: So Anfang 1973, als wir dort schon eine Weile wohnten, luden wir ihn ein, mit uns zusammen zu spielen. Das erste Konzert fand in unserer Scheune statt. Das harmonierte auf Anhieb – daher auch der Name. Die erste Platte hieß: „Musik von Harmonia.“

Da wähnt man sich mal am Froschteich, mal in einer Wiese voll zirpender Grillen. Erreichten Sie mit Ihren Klangflächen die urbanen Neu!-Fans oder blieben Harmonia Kritikerlieblinge?

ROEDELIUS: Als Michael Rothers Neu!-Partner Klaus Dinger merkte, dass sein Kollege zu uns abdriftete, reiste er ebenfalls nach Forst, um die Idee einer Supergroup mit je zwei Keyboardern, Gitarristen und Schlagzeugern einzubringen. Das hat er aber so intensiv vorgetragen, dass wir zurückschreckten und lieber bei Harmonia blieben. Auch wenn so eine Fusion vielleicht mehr kommerzielles Potenzial gehabt hätte.

Mit dem zweiten Harmonia-Album „De Luxe“ von 1975 machten Sie beinahe schon Popmusik. Die Instrumentals hatten Songcharakter, und auf zwei Stücken fanden sich sogar Paarreime im Stil von Kraftwerk. Sorgte deren Welthit „Autobahn“ für den Kurswechsel?

ROEDELIUS: Der Schritt ging von Michael Rother aus. Auf „De Luxe“ finden sich viele Stücke, die er allein schrieb, während „Musik von Harmonia“ und der gerade erschienene Konzertmitschnitt von 1974 vom Improvisationscharakter her noch mehr mit Cluster gemein hat. Wenn wir den Ideen, die Michael Rother aus seiner Vergangenheit mit Kraftwerk und Neu! einbrachte, strikt gefolgt wären, hätten wir mit Harmonia vielleicht auch Geld verdienen können. Wir versuchten, diese elaborierten Stücke auch lebendig auf die Bühne zu bringen, aber solch ein Wiederkäuen war für Moebi und mich eher eine Überwindung, und so währte diese Konstellation auch nur zwei Jahre.

MOEBIUS: Das war uns einfach zu anstrengend. Wir mussten ja dann auch üben, was nicht unser Ding ist. Wir üben lieber live, so wie wir das nun als Cluster auch wieder machen.

Und als Harmonia? Sind für den Auftritt im Haus der Kulturen der Welt keine Proben angesetzt?

MOEBIUS: Für uns ist es jedenfalls das Beste, aus dem Bauch heraus zu arbeiten: Wir haben unser vorbereitetes Material und unsere kleinen Keyboards, mit denen wir Spontanes entwickeln. Wer aber nun mit welchen Stücken den Anfang macht, bleibt völlig offen.

Das Gespräch führte Markus von Schwerin.

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