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Pillip Schönthaler hat sich maschinellem Schreiben verschrieben.

© Julia von Vietinghoff

Die Zukunft des Schreibens: Was kann der Mensch dem Computer noch entgegenhalten?

Computergenerierte Texte werden zunehmend besser. Und trotzdem ist es nicht egal, wer spricht.

Zu Beginn seines Essays zum „Tod des Autors“ fragt der Literaturwissenschaftler Roland Barthes 1967: „Wer spricht hier?“ Ist es der Autor, der den Text geschrieben hat, ist es der Erzähler – oder spricht der Text selbst, weil er sich den Leser:innen nie auf die gleiche Weise offenbart?

Das Programm dichtet auf der Basis von Zufallsdaten

Liest man etwas, das ein Computer generiert hat, stellt sich auch diese Frage: „Das Denken der Maschinen: Maschinen dürfen lernen. / Sie lernen automatisch und flau. / Sie vergessen grau und froh. - - Automatisch! / Automatisch lernen die Maschinen,/automatisch und froh.“

Das Gedicht stammt aus der Feder von „Poetron“, einem Gedichtgenerator im Internet. Vier Wörter in freie Textfelder tippen, dann erzeugt das Programm auf Basis von Zufallszahlen und Reimstrukturen ein Gedicht. Doch wer dichtet: Das Programm, die Person vor dem PC oder der Erfinder von Poetron, Günter Gehl?

Die Grenze zwischen Programmieren und Schreiben verschwimmt. Denn Poetron setzt zwar das Gedicht zusammen, muss dazu aber mit Wörtern gefüttert werden. Noch kniffliger wird es, wenn der „Generative Pre-trained Transformer“, kurz „GPT-3“, das Feld betritt. Das auf KI basierende Sprachprogramm kann Oscar Wilde nachahmen und Programmcode wie CSS schreiben. Als die US-Firma OpenAI mit „GPT-3“ 2020 an die Öffentlichkeit ging, glaubten einige, dass der Autor und die Programmiererin nun wirklich tot seien.

Schon die Dadaisten experimentierten mit Schreibtmechaniken

Phillip Schönthaler glaubt das nicht. Der Autor hat sich mit dem Verhältnis von Schreiben und Programmieren befasst. Anstatt feste Definitionen anzubieten, erforscht er ihr Wechselspiel, indem er zurück auf die Automatisierung des Schreibens blickt. Das Ergebnis ist ein 575 Seiten langer Essay (Matthes & Seitz, 38 €). Zu Beginn widmet er sich den Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts: Die Dadaist:innen experimentierten etwa mit mechanisierten Schreibtechniken, um sich von der bürgerlichen Literatur abzugrenzen. In der Nachkriegszeit versuchten manche, das Schreiben ganz dem Computer zu verantworten. Der Informatiker Theo Lutz schrieb 1959 etwa ein Programm, das Wörter aus „Das Schloss“ von Franz Kafka neu zusammensetzt.

Schönthaler betont die Differenzen zwischen Nichtmechanischem und Mechanischem, er löst die wechselseitige Abhängigkeit aber nicht einseitig auf. Denn so wie unbewusste Einflüsse und die Grammatik der Sprache den Text einer Autorin prägen, kann computerisiertes Schreiben menschliche Vorurteile reproduzieren: Ein Forscher hat herausgefunden, dass „GPT-3“ Muslime mit Gewalt assoziiert. Die Maschine bleibt dem Makel des Menschen verhaftet.

Schreiben ist verfahrensoffen, Programmieren gehorcht einer Logik

Das Team von OpenAI fütterte „GPT-3“ unter anderem mit der Wikipedia. Auf dieser Basis kann das Programm die Verteilung und Auftrittswahrscheinlichkeit von Wörtern und Buchstaben errechnen, damit Muster reproduzieren – nicht aber Sinn verstehen.

Der Unterschied zwischen Schreiben und Programmieren liegt darin, dass ein Programm einer vorgegebenen Schaltlogik gehorcht, während das Schreiben verfahrensoffen ist. Der Vollzug des Schreibens speist sich aus „einem Wechselspiel von spezifischen Techniken und Automatismen, konkreten Regeln und blinden Handlungsvollzügen“, schreibt Schönthaler. Dies stelle Bedingungen bereit, um „subjektiv handlungsfähig zu werden“.

Aber kann ein Computer nicht auch die Fähigkeit zum kreativen Schreiben entwickeln? Aljoscha Burchardt, Forscher am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, sagt, dass schon die Frage falsch sei: „Im Ergebnis ist das gut möglich, aber wir unterstellen den Systemen dabei menschliche Eigenschaften. Das ist zumindest bei der heutigen Technologie Quatsch.“ Denn: „Eine Maschine erlebt die Welt nur sekundär aus unseren Texten. Man könnte es simuliertes Erleben nennen. Auf alles, was da nicht drinsteht, kann sie nur sehr bedingt zugreifen.“

Wo bleibt in der Daten durchsetzten Welt das Individuum?

Programme erfassen Sprache somit aus einem medial vermittelten Blickwinkel. Das wäre nicht weiter erklärungsbedürftig, hätte das Prinzip der Automatisierung mit dem Computerzeitalter nicht ein planetarisches Ausmaß angenommen: Satelliten umrunden die Erde und multinationale Techkonzerne dringen immer tiefer in unsere Lebenswelt ein. Die Datenmenge, aus der sich computerisiertes Schreiben speist, ist simultan explodiert und intimer geworden.

Fraglich ist also, wo angesichts einer von Daten durchsetzten Welt noch freie Nischen für das Individuum bleiben. Schönthaler sucht nach der Handlungsfähigkeit der Autor:in, und findet sie bei Verknüpfungen: Diese sind für ihn zunächst die Berührungspunkte zwischen den Welten. Sie finden sich sowohl beim Schreiben als auch beim Programmieren, weil beide Techniken Zeichen und Symbole miteinander verknüpfen.

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Doch im Gegensatz zum Computer sind Verknüpfungen, die Menschen knüpfen, nicht neutral – das zeigt schon das Beispiel von der Übernahme rassistischer Vorurteile. Der Philosoph Jean-François Lyotard verwies darauf, dass Verknüpfungen zwischen Sätzen und Diskursen kritische Punkte darstellten.

Menschliches Schreiben folgt keiner Statistik

Folglich ist das „Wie“ des Verknüpfens eine politische Frage: Im menschlichen Schreiben kann eine Verknüpfung gut oder schlecht sein, sie folgt nicht statistischen Regeln. Während der Computer nach einer automatisierten Verkettungslogik vor sich hin prozessiert, bleibt „das Verhältnis von Verknüpfung, Regel und Text im Schreiben mehrdeutig, sodass es bewertet werden muss und verhandelbar bleibt“, schreibt Schönthaler.

Eine politische Frage ist dann auch der kritische Punkt zwischen Mensch und Maschine. Die Sprachassistentin „Alexa“ kann an der Stimme der Benutzer:in erkennen, ob diese krank oder depressiv ist. Den Menschen reduziert das auf objektiv beobachtbares Verhalten. „Die Pointe ist dann, dass das datenbehavioristische Subjekt schwerer als das sprachbegabte wiegt“, sagt Schönthaler.

Würde die Nutzer:in etwa dem Urteil von Alexa widersprechen, hätte dies eventuell kein Gewicht. Denn eine Depression kann anhand der Tonalität der Stimme diagnostiziert werden. Schönthalers Studie ist auch ein Plädoyer gegen diese objektivistische Sichtweise. Wenn es nach ihm geht, muss der Autor unbedingt leben.

Roland Barthes schwächte den Autor, um die Literatur zu demokratisieren

Ironischerweise hat Roland Barthes den Autor genau deshalb beerdigt. Das Individuum stellt für ihn ein Phantasma dar: Menschen leben in Beziehungen – über die Sprache vermittelt –, daher können einzelne Personen nicht vollständig durch objektiv messbare Verfahren erfasst, ihre Handlungen nicht auf direkte Kausalketten zurückgeführt werden. Indem Barthes den Autor schwächte, konnte er die Literatur demokratisieren. Mit dem Tod des Autors waren die Leser:innen geboren. Sie deuten den Text.

Aus dem sprachbegabten Subjekt soll ein Konsument werden

Allerdings konnte Barthes nicht voraussehen, dass der digitale Kapitalismus die Frage nach Autorschaft grundlegend neu aufwirft. Es ist eben nicht egal, wer spricht; insbesondere dann nicht, wenn Digitalunternehmen die Sprache computerisieren, um aus dem sprachbegabten Subjekt einen Konsumenten zu machen.

Ob der Autor nun lebt oder nicht, ist auch eine Frage der Perspektive. Ein literarischer Text kann nicht zweifelsfrei entziffert werden, auch dann nicht, wenn ein Mensch ihn mit einer konkreten Absicht verfasst hat. Computer können Texte generieren, doch auch sie bleiben interpretationsbedürftig. Dass automatisiertes Schreiben auf Feedbackschleifen und statistischen Regeln basiert, hebt die Relevanz der Schriftsteller:in im Digitalzeitalter hervor. Das Schreiben lässt sich nicht als reiner Automatismus verstehen – in ihm findet sich stets das Potenzial für Autonomie.

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