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Schön geschnäbelt. Iryna Dziashko als Papagena und Bernhard Hansky als Papageno.

© Foto Kammeroper/Henry Mundt

"Die Zauberflöte" in Rheinsberg: Auf dem Papagenomobil

Brandenburger Pastorale: Kay Kuntze inszeniert Mozarts „Zauberflöte“ bei der Kammeroper Schloss Rheinsberg, einige der jungen Sänger erobern die Herzen des Publikums.

Für Abende wie diesen wurden Freiluftaufführungen erfunden. Im goldenen Abendsonnenlicht leuchtet die Fassade des Rheinsberger Schlosses, still und schön liegt der Grienericksee, schattige Alleen locken zum Flanieren im weitläufigen Park. Sofort durchströmt das Pastorale-Gefühl den Besucher aus der Hauptstadt: „Erwachen heiterer Empfindungen bey der Ankunft auf dem Lande“. Dabei geht es gar nicht um Beethoven an diesem Freitag, sondern um Mozart. Als letzte Premiere des Sommers wird „Die Zauberflöte“ im barocken Heckentheater gezeigt: Klug kontrapunktiert Johanna Maria Burkhardt die strengen Geometrie der historischen Anlage, setzt in ihrer Ausstattung Expressionistisches gegen die kunstvoll zu Pyramiden und Quadern gestutzten Buchsbäume. Auf einer asymmetrischen Spielfläche agieren die jungen Sänger, die sich im Wettbewerb gegen 450 Bewerber durchgesetzt haben. Die grotesken Masken der wilden Tiere sind aus Holz gesägt, das Bildnis der Pamina zeigt eine Odaliske im Stil der Berliner Brücke-Maler.

Kay Kuntze inszeniert mit leichter Hand ein Sommermärchen, macht Volkstheater, das darum dennoch kunstvoll ist, weil es wie improvisiert wirkt. Er erlaubt sich Slapstick, weiß aber auch, wann es Zeit ist, die Komödie auszubremsen, um tieferen Gefühlen Raum zu geben. Wenn Tamino auf seinem Prüfungsweg zur Weisheit ein „heilsames Schweigen“ auferlegt bekommt und darum seiner Pamina die kalte Schulter zeigen muss, inszeniert Kuntze das Schwanken des jungen Mannes zwischen Pflicht und Angst um seine Liebe so bewegend, wie man es selten sieht: Während Marija Mitic als Pamina ihr „Ach, ich fühl’s, es ist entschwunden“ singt, vermag sich Goran Cahs Tamino noch zu zügeln. Als sie dann grußlos abgeht, zerreißt es ihn innerlich fast – zu spät setzt sich sein Körper in Bewegung, um ihr nachzulaufen. Dicke Tränen quellen dem kroatischen Tenor aus den Augen, als er in der Bewegung erstarrt. Vielleicht kommt da auch einfach nur zu viel zusammen – dieser Premierenabend ist für Goran Cah nämlich gleichzeitig die Abschlussprüfung für sein Studium an der Berliner Universität der Künste.

Regisseur Kay Kuntze weiß, wie er im Heckentheater die Natur effektvoll in Szene setzen kann

Kay Kuntze ist ein erfahrener Rheinsberg-Regisseur, fünf Produktionen hat er hier schon gemacht – und kennt darum die Kniffe, mit denen sich im Heckentheater die Natur effektvoll ins Spiel einbeziehen lässt. Er weiß, wie man lichttechnisch den Übergang von der blauen Stunde in die für Großstädteraugen so ungewohnte ländliche Finsternis unterstützt. Und wann der beste Moment ist, um die Hintergrundvegetation durch Strahler von unten zu plastischen Baumriesen zu veredeln. Dass sich der Abendstern just in dem Moment blitzend zeigt, als Sarastro (Erik Ginzburg) zur „Isis und Osiris“-Arie ansetzt, ist aber ebenso ein Geschenk des Himmels wie das Gezirpe der Grillen, das dieser Brandenburger Sommernacht eine mediterrane Note gibt.

Erinnerungen werden wach an die allererste Rheinsberger Premiere, an jenen 17. August 1991, als der Komponist Siegfried Matthus sein Förderprogramm für Nachwuchssänger startete, mit einem eigenen Werk. Auf der damals noch verwilderten Seeterrasse vor dem Schloss wurde seine „Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ angestimmt, bei ebenso perfekten Temperaturen, mit einem pyrotechnischen Finale, das die bröckelnde Fassade in kriegerisches Blutrot tauchte. 350 000 Besucher haben seitdem die Aufführungen der Kammeroper erlebt, 10 000 Nachwuchskünstler konnten hier Bühnenerfahrungen sammeln. So manchem Namen begegnete man später in den großen Opernhäusern wieder.

Dem Bass Mikhail Timoshenko wünscht man eine Weltkarriere

Unter den Solisten der neuen „Zauberflöte“ wünscht man vor allem Mikhail Timoshenko eine Weltkarriere: Als „Sprecher“, der die Pforte des Weisheitstempels bewacht, hat er nur wenige Sätze zu singen – sein schlanker Bass aber ist von solch seltener Klangschönheit, kraftvoll und balsamisch zugleich, ja geradezu von einem inneren Leuchten, dass er noch lange im Ohr bleibt.

Mit angemessener Diven-Attitüde gibt Larissa Alice Wissel die Königin der Nacht. Dass einige Koloraturspitzen nicht perfekt sitzen, ist der Premierennervosität geschuldet, in den weniger exponierten Passagen jedoch, den eindringlichen Beschwörungen der rachsüchtigen Mutter, wird klar, dass hier eine Belcanto-Könnerin heranreift. Szenisch wie vokal äußerst agil wirkt Bonko Karadjovs Monostatos, Ilona Krzywicka, Hasti Molavian und Karina Repova harmonieren bestens als Anstandsdamen der sternflammenden Königin.

Dass Kay Kuntze den drei Knaben die Rolle der Spielmacher überträgt, nutzen Anna-Lena Kaschubowski, Georgia Tryfona und Eunkyoung Sul, um als androgyne Kobolde in Malerkitteln zu punkten. Der begabteste Singschauspieler der Truppe aber ist Bernhard Hansky, Absolvent des Opernstudios der Komischen Oper, ein Baritonbuffo von unwiderstehlichem Frohsinn, dem schon beim ersten Auftritt alle Herzen zufliegen, wenn er auf seinem Papagenomobil hereingerollt kommt – einem Fahrrad der Marke „Mustang“.

Mit sicherer Hand führt Michael Helmrath die jungen Solisten durch die Partitur – und auch der Rheinsberger Festivalchor, der sich aus musikbegeisterten Laien zusammensetzt. Helmrath, Generalmusikdirektor der Brandenburger Symphoniker, war Solo-Oboist der Münchner Philharmoniker, bevor es ihn aufs Dirigentenpult zog. Er weiß, wie man mit Sängern atmet. Dazu dringt vom Orchester ein angenehmer, lebendiger Mozart-Sound aus den Lautsprechern, so leicht und zum Genius Loci passend wie der Weißwein, der in den Pausenzelten ausgeschenkt wird.

Am 31. August, wenn die letzten Sänger abgereist sind und die Scheinwerfertürme am Heckentheater abgebaut, wird der 80-jährige Siegfried Matthus die Leitung der Kammeroper Schloss Rheinsberg an seinen Sohn Frank übergeben, einen Schauspieler in den besten Jahren, der seit 1996 im benachbarten Netzeband einen eigenen „Theatersommer“ organisiert. Als Freiluftproduktion für 2015 hat er bereits Giuseppe Verdis „La Traviata“ angekündigt. Eine abwegige Wahl? Immerhin spielt der zweite Akt des Pariser Kurtisanendramas draußen auf dem Lande, en plein air, vor dem Toren der französischen Hauptstadt.

„Die Zauberflöte“, wieder am 12., 13. 15. und 16. August, Informationen: www.kammeroper-schloss-rheinsberg.de

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