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Zerberusse. Drei riesige Monstertiere bevölkern die Bregenzer Seebühne.

© dpa

"Die Zauberflöte" bei den Bregenzer Festspielen: Die Höllenhunde vom Bodensee

David Pountney findet bei den Bregenzer Festspielen verblüffende Antworten auf die ewigen Fragen der „Zauberflöte“.

Papageno ist verzweifelt: Ein tiefschwarzer Nachthimmel wölbt sich über ihm, Freund Tamino ist verschwunden und egal, in welche Richtung er sich wendet, wird er von Sarastros Drachenhunden angefaucht. Es sind aber auch drei wirklich höllische Zerberusse, die sich da rund um die Bregenzer Seebühne erheben: jeder einzelne 20 Tonnen schwer, 27,3 Meter hoch an der Spitze der gebogenen Hörner, mit glühenden Augen und einem reißzahnbewehrten Riesenrachen aus dem milchiger Rauch quillt wie fauliger Atem.

Sie umzingeln ein grünes Eiland, das sich als Riesenschildkröte erweisen wird. 125 baumstammdicke Urzeitgräser wachsen dem Reptil auf dem Rücken, die sich – gefertigt aus Schlauchbootfolie – in Sekundenschnelle aufblasen lassen. Mehr als sechs Meter recken sich dann die höchsten der Halme empor – und werden vom sanften Abendwind geschaukelt, der am Mittwochabend über den südöstlichen Bodensee streift.

„Dem Licht entgegen“ lautet das Motto der 68. Bregenzer Festspiele – und passend dazu strahlt die Sonne am Premierentag der „Zauberflöte“ mit voller Kraft. Wie gemein: Vor zwei Jahren, als Intendant David Pountney mit Umberto Giordanos „André Chenier“ mal richtig mutig eine unbekannte – aber absolut freiluftspektakeltaugliche – Oper angesetzt hatte, goss es bis kurz vor Vorstellungsbeginn wie aus Kübeln, eisiger Wind ließ Darsteller wie Zuschauer bei 13 Grad zittern. Jeweils zwei Sommer lang wird jede Bregenzer Produktion gezeigt, in den beiden, wettermäßig suboptimalen Spielzeiten zusammen kamen nur 230 000 Besucher, beim Vorgänger „Aida“ waren es 348 000 gewesen. Eine Riesenenttäuschung für Pountney, der darauf gesetzt hatte, dass nach Jahrzehnten des Erfolgs das Stammpublikum mehr Vertrauen in die Programmauswahl haben würde.

Weil dem nicht so war, weil sich vor allem die Busreiseunternehmer massiv gegen „André Chenier“ sperrten, musste Pountney den Plan aufgeben, zum Abschluss seiner Intendanz den Musical-Klassiker „Showboat“ auf dem See zu inszenieren. Schließlich will er 2015 seiner Nachfolgerin, der früheren Operndirektorin der Berliner Staatsoper und jetzigen Grazer Theaterchefin Elisabeth Sobotka, keine Schulden hinterlassen. Weil die staatlichen Zuschüsse in Höhe von 5,7 Millionen Euro seit fast zwei Jahrzehnten stagnieren, muss das Festival mittlerweile 80 Prozent des 20-Millionen-Etats durch den Kartenverkauf erwirtschaften. Also griff David Pountney zur „Zauberflöte“ – und natürlich glühten bald die Telefone der Vorverkaufskasse: 6800 Personen fasst die Tribüne beim „Spiel am See“, alle 28 Vorstellungen sind jetzt schon nahezu ausverkauft. Wer Mozart in Bregenz sehen will, sollte sich Karten für den kommenden Sommer sichern.

Monostatos wird förmlich aus Sarastros Schoß heraus geboren

Es zeugt von der künstlerischen Integrität des britischen Regisseurs, dass Pountney keine technisch hochgerüsteten Shows hinklotzt, um die Massen zu bespaßen, sondern dass er eine radikale Interpretation anbietet, die selbst Stückkenner verblüfft. Weil er zusammen mit seinen Ausstattern Johan Engels und Marie-Jeanne Lecca ganz neue Antworten auf die ewigen Fragen der „Zauberflöte“ findet – und sie szenisch bildmächtig umzusetzen versteht. Warum beispielsweise duldet Sarastro, der allwissende Humanismusprediger, einen sexbesessenen Sadisten wie Monostatos in seiner Nähe? Weil dieser Monostatos seine eigene dunkle Seite darstellt, sagt Pountney: Er lebt die Fantasien aus, die sich Sarastro verbietet. Wenn er den Diener mit „77 Sohlenstreich“ bestraft, züchtigt er also sich selber und sein unterdrücktes Triebleben.

In einer atemberaubend bebilderten Ouvertüre wird Monostatos förmlich aus dem Schoße des Hohepriesters heraus geboren. Eine schwarze Barke erscheint, darauf Pamina, die zusammen mit ihrer Mutter, der Königin der Nacht, den Tod des Familienoberhaupts beweint. Mit an Bord ein Freund der Familie, Sarastro. Aus dessen rotem Mantel rollt Monostatos heraus, greift sich vom Sarg den siebenfachen Sonnenkreis, stürmt ans Ufer, gefolgt von Sarastro, der im Geknalle von Feuerwerkskörpern Pamina entführt.

Die kammermusikalische Mozartmusik kommt der Technik in Bregenz wenig entgegen

Pountney vertraut dem salbungsvoll singenden Bass ebenso wenig wie der furienhaften Koloratursopranistin. Beide sind in seinen Augen Repräsentanten alter Herrschaftsstrukturen. Am Ende vernichten sie sich in einem letzten dynastischen Krieg gegenseitig. „Die Strahlen der Sonne vertreiben die Nacht“, röchelt Sarastro, bevor er tot neben seiner Widersacherin zusammensinkt. Tamino und Pamina aber verlassen die Zauberinsel. Weil nun die Lenkung des Weltgeschehens an die beseelten Sterblichen übergangen ist – „Mann und Weib und Weib und Mann reichen an die Gottheit an!“ –, gesellen sie sich zu ihren Mitmenschen auf die Tribüne.

Rainer Trost als Tamino in den Fängen der Schlange.
Rainer Trost als Tamino in den Fängen der Schlange.

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Nachhaltig ist die Wirkung dieser Interpretation, virtuos das Gewusel der 40 Stuntmen, Puppenspieler, Tänzer, die sich von den Hängebrücken zwischen den Drachenhunden herabstürzen, auf dem Schildkrötenrücken Dinosauriervögel beleben, bei der Feuerprobe durch hoch auflodernde Flammen schreiten und auf Nimmerwiedersehen in den Seefluten verschwinden. Nur „Bregenz Open Acoustics“, die festivaleigene Soundanlage, entlockt dem Zuhörer diesmal nicht den Ruf des Erstaunens, den die Abkürzung BOA nahelegt. Bei den romantischen Opern der vergangenen Jahre drang ein prachtvoller Mischklang aus den Boxen, die verstärkten Stimmen schienen mit den Protagonisten auf der Szene mitzuwandern. Die kammermusikalische Mozartmusik kommt der Technik weniger entgegen, besonders die Männerstimmen bleiben dumpf, Alfred Reiters orgelnder Sarastro scheint gar aus einem muffigen Pappkarton zu kommen. Auch die von Patrick Summers souverän geleiteten Wiener Symphoniker, die aus dem Festspielhaus zugespielt werden, haben wenig räumliche Tiefe, klingen derber als gewohnt.

Ebenfalls von dort kommt der Gesang der drei Damen und der drei Knaben, der Geharnischten wie des Chores. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit, bis in Bregenz alle Solisten ihre Partien aus dem Festspielhaus einsingen, während draußen Doppelgänger agieren, die stumm ihre Lippen bewegen. Angesichts der Entfernungen zwischen Sitzplatz und Seebühne würde es den meisten Zuschauern wohl gar nicht auffallen.

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