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Kultur: Die Welt braucht jetzt Liebe Dionne Warwick im Berliner Admiralspalast

Kennen Sie den Weg nach San José? Ahnen Sie, was die Welt jetzt ganz dringend braucht?

Kennen Sie den Weg nach San José? Ahnen Sie, was die Welt jetzt ganz dringend braucht? Und wissen Sie, was zu tun ist, wenn Ihre Exliebe Ihnen auf der Straße begegnet, mit Tränen in den Augen? Genau: schnell weitergehen.

Seit einem halben Jahrhundert ist Dionne Warwick jetzt schon ein Popstar, und unter ihren Hits wie „Do You Know the Way to San José?“, „What the World Needs now“ oder „Walk On By“ sind einige der herzerwärmendsten, traurigschönsten und größten Lieder der jüngeren Musikgeschichte. In den Songs, die der Komponist Burt Bacharach und der Texter Hal David in den sechziger und siebziger Jahren für sie schrieben, geht es um ganz großen Gefühle. Doch die Euphorie ist immer schon durchtränkt von Melancholie. Alles, das verkünden Warwicks in samtige Orchesterarrangements gebettete Soulballaden, endet irgendwann. Selbst die Liebe.

Oder doch nicht? Als die 71-jährige Diva die Bühne des ausverkauften Berliner Admiralspalastes betritt, erheben sich die Zuhörer zu Standing Ovations. Minutenlanger Jubel für eine Entertainerin, mit deren bittersüßen Ohrwürmern bereits mehrere Generationen groß geworden sind – das muss Liebe sein. Warwick trägt einen mintgrünen Hosenanzug, ihre weißen Haare sind streng zurückgekämmt, an den Ohren funkeln Juwelen. Hinter ihr: die fünfköpfige Band in klassischen Las-Vegas-Smokings.

Warwick singt „Walk On By“ in einer Barjazzversion, den zwischen Trotz und Trauer balancierenden Liebesabgesang einer Verlassenen, die ihren Geliebten um einen letzten Gefallen bittet: Schnell vorüberzugehen – „walk on by, don’t stop“ –, wenn sie ihn trifft. Es folgt, thematisch passend, „I’ll Never Fall in Love Again“.

„Warm memories“ verspricht Warwick. Doch der Liederabend schafft das Kunststück, in Erinnerungen zu schwelgen, ohne in der Nostalgie zu versinken. Dafür ist Warwick zu ironisch. „I Say a Little Prayer“ singt sie in einer neuen, elegant federnden Fassung. Es geht um ein Mädchen, das jedes Mal ein Gebet spricht, wenn sie an ihren Schwarm denkt – „I run for the bus, dear / While riding I think of us, dear“ – hoffend, dass er ihre Gebete erhören wird. Ein Teenagerdrama aus dem Jahr 1967. Warwick kiekst und giggelt sich durch die Zeilen, die Band verwandelt Bacharachs Soulpop in lässigen Latinjazz. Ernst nehmen lassen sich die unterwürfigen Verse nicht mehr. Bei „Heartbreaker“ hält die Sängerin ihr Mikrofon in den Saal und fordert die Zuschauer auf, ihr den Titel zuzurufen: „Why do you have to be a – HEARTBREAKER?!“ Erst beim fünften Versuch ist sie zufrieden mit der Lautstärke. So wird das Diskostück, das die Bee Gees 1982 für Warwick geschrieben haben, zu einer Verbeugung vor dem am Sonntag verstorbenen Robin Gibb.

Der Abend hat Höhen und Tiefen. Ein Brazil-Medley aus Samba- und Bossa-Nova-Klassikern wirkt wie eine lustlos erfüllte Routine. Und dass der Keyboarder auf seinem Instrument neben Streichern und Bläsern auch noch Xylofon und Panflöte imitiert, hätte nicht sein müssen. Denn Warwicks Stücke funktionieren auch im kleinen Arrangement. Bei „Alfie“, dem Titelsong eines Films mit Michael Caine als Cockney-Casanova, sitzt die Sängerin auf einem Barhocker. Sie spricht mehr als dass sie singt, begleitet vom Piano und dem Schneebesen des Schlagzeugers: „What’s it all about, Alfie? / Is it just for the moment we live?“ Das Konzert endet nach 80 Minuten mit „That’s what friends are for“. Dionne Warwick nimmt Blumen entgegen, winkt und verschwindet. Keine Zugabe. So tritt eine Königin ab. Christian Schröder

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