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Raus hier. Im Disney-Film „Ralph reicht’s“ will ein Computerspiel-Bösewicht endlich das echte Leben kennenlernen.

© Disney

Die Weihnachtssaison im Kino: Träume ohne Bäume

Augenfutter für die globale Gemeinde: Welche Strategien hinter den Weihnachtsfilmen von Disney und Dreamworks stecken.

Mehr geht wirklich nicht. Der Weihnachtsmann, der Osterhase, Sandmann und die Zahnfee: Die fantastischen vier aus dem Reich der Kinderfolkore kämpfen in „Hüter des Lichts“ gegen das Böse. Gerade war Thanksgiving, heute ist 1. Advent, bald Weihnachten. Im Kino tobt sie schon, die Schlacht um die Feiertage.

Holiday season ist Hauptsaison. Es ist die Zeit, in der die Filmstudios viele ihrer wichtigsten Filme ins Rennen schicken. Sie wissen, dass die erfolgreichsten Filme aller Zeiten, „Titanic“ und „Avatar“, beide im Dezember starteten. Und dass von den letzten 30 Gewinnern des Oscars für den besten Film ebenfalls fast die Hälfte Dezember-Filme waren. Allein an Thanksgiving wurden dieses Jahr 288 Millionen Dollar an den Kinokassen ausgegeben – ein neuer Rekord.

„Hüter des Lichts“, so scheint es, macht das Buhlen um Aufmerksamkeit sogar selbst zum Thema: Die Märchenhelden kämpfen um ihre Bekanntheit bei den Kindern der Welt. In Santas Kommandozentrale am Nordpol gibt es daher nicht etwa einen Weihnachtsbaum, sondern einen riesenhaften Globus mit unzähligen Lichtern: Jeder Punkt markiert ein Kind, das an Osterhasen oder Zahnfeen glaubt. Doch immer mehr Lichter gehen aus. Der böse Butzemann will alle Aufmerksamkeit für sich.

Das Dreamworks-Studio jedenfalls hat sich die erhoffte Aufmerksamkeit für seinen Film etliches kosten lassen. 200 Millionen potenzielle Kinogänger will man mit der größten Social-Media-Kampagne in der Geschichte des Studios erreicht haben. Und diese Aufmerksamkeit braucht es auch.

Jedes Jahr im November geht sie los, die Parade der Schwergewichte. Da ist diesmal Peter Jackson mit „The Hobbit“, da ist die Musicalverfilmung „Les Misérables“, da ist Ewan McGregor mit dem Tsunami-Spektakel „The Impossible“. Nicht zu vergessen: Ang Lees Romanverfilmung „Life of Pi“, vielleicht der besinnlichste Film von allen (im Handel jetzt: Baumschmuck mit Tiger und Schwarztee mit Mango).

Im Sommer gehen zwar auch viele Menschen ins Kino. Da aber genügen Aufgüsse („Spiderman“) und Dutzendware („Madagascar 3“) – das Publikum kommt ja zum Knutschen. An Festtagen braucht es Filme mit Zugkraft. Filme, für die man sich gemeinsam auf den Weg macht.

Ein Weihnachtsmann ist da nicht genug, mag man sich bei Dreamworks gedacht haben, selbst wenn er tätowiert ist wie ein russischer Gangster. „Die Hüter des Lichts“ beruht auf der Kinderbuchserie „Guardians of Childhood“ von William Joyce – eine Vorlage wie maßgeschneidert für das Studio, dessen ironische Melangen aus Pop und Folklore („Shrek“, „Kung-Fu Panda“) zum Markenzeichen geworden sind.

Hier gesellen sich zum säbelschwingenden Santa der Osterhase – ein launischer Krieger mit australischem Akzent –, der Sandmann mit seiner goldenen Traumstaub-Peitsche, die Zahnfee sowie Peter Frost, ein loser, jederzeit zu Schneeballschlachten aufgelegter Peter Pan on Ice. Letzteren allerdings quälen bohrende Zweifel, denn seit 300 Jahren fragt Frost sich, was er eigentlich ist und warum. Schlimmer noch: Für Kinder ist er unsichtbar, weil niemand an ihn glaubt.

„Hüter des Lichts“ formt aus Märchenfolklore einen Pop-tauglichen, bunten Heldenmythos – und Regisseur Peter Ramsey schlägt durchaus Funken daraus: Der Film ist großartig animiert und voller hinreißender Details. Was fehlt, ist eine flüssige Erzählung. Das Tempo ist gleichförmig hoch, wie erschlagen wankt man aus dem Kino.

Was hat Disney dem entgegenzusetzen? Einen Film ohne Fest. Die großen Jahresendfilme müsse eben auch in Indien, China oder der Türkei gut laufen. Und wer, wenn nicht Disney, hätte erfolgreich gezeigt, dass man mit Prinzessinnen und sprechenden Tieren allein schon festlich genug daherkommt? Seit „Schneewittchen“ (1937), Disneys erster abendfüllender Animation, wurden Trickfilme zum festen Bestandteil der Feiertage. Auch ohne Baum. Früher allerdings gab es nur einen solchen Film im Jahr. 2012 stehen etwa 20 Titel auf den Auswahllisten für eine Oscar-Nomminierung in der Kategorie Animation.

Disneys „Ralph reicht’s“ hat es heute also ungleich schwerer, herauszustechen – zumal mit einer Geschichte, die auf den ersten Blick ausschließlich auf den Abverkauf von Spielzeug ausgelegt scheint. Der Film spielt in der Welt der Computerspiele: Ralph ist seit 30 Jahren der Bösewicht eines Arkade-Spiels. Jetzt hat er genug. Auf der Suche nach Anerkennung verschlägt es ihn in andere Spielwelten. Dort trifft er auf die trotzige Möchtegern-Rennfahrerin Vanellope von Schweet, einen Programmierfehler, der ebenfalls sehnsüchtig nach Anerkennung ist. Sie werden zu Verbündeten.

Außenseiter als Hauptfiguren – das ist neu bei Disney, wo bislang jeder noch irgendwie vom Adel abstammte. Der neue Mut ist sicher dem Einfluss des Pixar-Studios („Findet Nemo“) zu verdanken, das man sich 2006 einverleibte, um Disneys kreative Dürrezeit zu beenden. Mit Erfolg: „Ralph reicht’s“ ist herrlich komisch und hat viel mehr Herz als „Hüter des Lichts“. Aber er hat das gleiche Problem: Es ist einfach zu viel drin.

Beide Filme sprechen geschickt Sehnsüchte und Ängste von Kindern und Jugendlichen an – unsichtbar sein, anders sein, akzeptiert werden –, sie mischen Geheimbünde, Zauberei, Abenteuer dazu. Sie sind erwachsenentauglich, clever und ironisch, dennoch ausreichend naiv. Sie sind weltweit vermarktbar und nehmen Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Fans ihrer Vorlagen. Dadurch aber tragen sie keine erkennbare Handschrift mehr, sondern wirken wie in Brainstorm-Meetings zusammengetragen.

Während man großen Produktionen im Spielfilmbereich vorwerfen kann, dass zu viel abgeschliffen wird, um niemanden zu vergraulen (und nichts erklären zu müssen), scheint man an Animationsfilme dieser Größenordnung umgekehrt alles herantragen zu wollen, was irgendwo irgendwie Anschluss finden könnte. Es ist die falsche Liebe zum Detail. Das Branchenblatt „Variety“ schrieb über „Hüter des Lichts“, der Film habe zwar zauberhafte Momente. Als Ganzes aber ähnele er eher einer explodierenden Spielzeugfabrik als dem Versuch einer echten Verzauberung.

„Hüter des Lichts“ und „Ralph reicht’s“ sind beide herrlich ausgelassen – aber eben nur noch das. Keinen der beiden wird man so lieben können wie „Schneewittchen“ oder „Findet Nemo“. Und das Schlimmste ist: Sie sind beide so gut, dass man sich wünschte, sie wären besser.

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