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Die Walküren in der Beautyfarm, mit Iréne Theorin als Brünnilde (blauer Blazer), Lise Davidsen als Sieglinde (liegend) und Igor Schwab als Babybetreuer Grane.

© Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

"Die Walküre" bei den Bayreuther Festspielen: Ein Gott dankt ab

... und Regisseur Valentin Schwarz verweigert auf der Bühne Walkürenritt, Feuerzauber und andere Wagner-Hits: der zweite Abend des neuen Bayreuther "Rings".

Als Wotan auf seinem Eames-Sessel nach hinten kippt, glaubt man erst an einen Regieeinfall von Valentin Schwarz. Dieser Gott kann sich kaum noch halten, derart getrieben von der eigenen Lüsternheit und zur Einhaltung von Gesetz und Moral genötigt von Ehefrau Fricka. Jetzt soll er Siegmund, den eigenen Sohn, wegen Ehebruch mit dem Tod bestrafen. Lady Macbeth ist eine harmlose Figur gegen Christa Mayers erneut unerbittlich auftretende Göttergattin.

Kein Wunder also, wenn mit schwindender Macht gleich der ganze Machtmensch zu Boden fällt.

Aber es handelt sich um eine abgebrochene Lehne, um einen Bühnenunfall. Wotan-Bass Tomasz Konieczny singt den zweiten Aufzug von Richard Wagners „Walküre" noch tapfer zu Ende, schlägt auch leisere, ins Risiko gehende Töne an. Er hat sich jedoch offenbar so sehr verletzt, dass er im dritten Aufzug von Michael Kupfer-Radecky ersetzt werden muss, dem Sänger des Gunther in der „Götterdämmerung“.

Der beherrscht die Rolle zum Glück sowohl stimmlich wie darstellerisch, gibt in der schmerzlichen Lossagung von Lieblingstochter Brünnhilde einen unwirschen, aggressiven Wotan und ist zugleich das einsamste Wesen der Welt. Mutterseelenallein auf leerer Bühne liegt er da, nachdem er Brünnhilde die Gottheit von der Stirn geküsst hat.

Ein Gott dankt ab und es fällt ihm verdammt schwer. Am zweiten Abend des neuen „Rings“ in Bayreuth sind es solche Augenblicke, in denen man plötzlich wieder gewillt ist, der so krude erscheinenden Regie zu folgen. Augenblicke des Innehaltens, der Verweigerung von Wagner-Gewohnheiten.

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Es stimmt ja, wie Dramaturg Konrad Kuhn im Programm ausführt, dass es für den „Ring“ heutzutage keinen Speer, kein Schwert, keine Riesen oder Drachen braucht. Und dass auf der Bühne nicht ständig verdoppelt werden muss, was die Musik oft überdeutlich erzählt.

Also enthält Valentin Schwarz dem Publikum nicht nur den Walkürenritt vor, sondern sogar den finalen Feuerzauber. Während Brünnhilde von schützenden Flammen eingeschlossen wird, züngelt und lodert es im Orchestergraben – und anders als im „Rheingold“ kommt das Orchester unter Cornelius Meister aus der Deckung, lässt Klänge aufblühen und ersterben, kostet den gestischen wie den Betörungs-Reichtum der Partitur aus. Auf der Bühne brennt derweil – eine Kerze.

Fricka hat sie angezündet, zum Versöhnungsdrink mit Wotan, weil er ihr ja gehorcht hat. Er jedoch wirft nur seinen Ring ins Glas, nimmt seinen Wandererhut und geht ab. Im Publikum bricht ein Buhsturm los.

Verweigerung kann heilsam sein, der Entzug der Droge Wagner. Aber das Gegengift müsste kräftig, der Kontrast zwischen musikalischer Erregung und theatraler Ernüchterung erhellend sein. Dafür fehlt es allerdings an Personenregie, ausgerechnet, wo Schwarz doch das trauma-durchwirkte Beziehungsgeflecht des Nibelungen-Clans ergründen will.

Vater-Tochter-Konflikt: Wotan (hier noch Tomasz Konwieczny) und Brünnhilde (Iréne Theorin) ringen miteinander.
Vater-Tochter-Konflikt: Wotan (hier noch Tomasz Konwieczny) und Brünnhilde (Iréne Theorin) ringen miteinander.

© Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Angefangen hatte die „Walküre“ in Hundings Hütte, in der die Weltesche als hölzerne Ast-Krake vor sich hin kümmert und sich Hunding, offenbar Walhall- Hausmeister, im Sturm um die Sicherungen kümmern muss. Auch hatte der Abend als Sängerfest begonnen, mit Georg Zeppenfeld sowie Klaus Florian Vogt und Lise Davidsen als Siegmund und Sieglinde, alle drei textverständlich und charakterstark.

Vogts Verlässlichkeit und sein unverwechselbarer, metallischer Schmelz paaren sich mit dem immensem Ausdrucksspektrum von Davidsens glutvollem Sopran. Sie kostet die Süße aus, den Überschwang, kann Töne zum Gleißen bringen und im nächsten Moment melancholisch verschleiern, es ist eine Wonne. Mehr als später bei Iréne Theorins Brünnhilde, die ihre Partie souverän absolviert, aber wenig ausgestaltet, trotz Cowgirl-Outfit und dem hübschen Detail, dass ihr treuer Gefährte Grane kein Pferd ist, sondern ein Mann.

Die Walküren kämpfen nicht, sie lassen sich auf der Beautyfarm liften

Keine Wonne ist es, dass Sieglinde ausschließlich Opfer sein darf. Bereits in der Hütte hochschwanger, also garantiert nicht von Siegmund, kann sie kaum laufen vor lauter Beschwerden. Seit wann ist Schwangerschaft eine Krankheit? Als Vater Wotan in der zweiten Szene einen Vergewaltigungsversuch unternimmt, liegt sie nur reglos da. Musikalisch hat Wagner sie keineswegs als Wehrlose gezeichnet: Sieglindes Wahnsinnsruf, das berühmte Liebeserlösungsmotiv, als sie erfährt, dass sie die Mutter von Siegfried ist (der schon im dritten Aufzug, also vor der Zeit, als Baby in Brünnhildes Armen liegt), lässt einen schaudern.

Um so enttäuschender, dass sich die bewegendste, mit Cello-Kantilenen und singenden Holzbläsern kammermusikalisch gestaltete Liebesszene im „Ring“ weniger auf das in Liebe entbrennende Zwillingspaar konzentriert als auf Jugendfotos der beiden, und auf eine Kindheits-Rückblende. Die Musik bangt, ahnt, schlägt in Ekstase um, die Regie wird unvermittelt geschwätzig. Dabei spinnt Schwarz eigentlich seinen roten Faden fort: Zwillinge, Geschwisterbande als zentrales Motiv.

Kein Inzest, Siegfrieds Vater ist Hunding. Was das wohl zu bedeuten hat?

Die bisher größten Aufreger bei Valentin Schwarz' Familiensaga-„Ring“ sind die Pistolen und die Beautyfarm. Schon im „Rheingold“ wurde ständig mit Knarren herumgefuchtelt, und Siegmund erliegt nun keinem komplizierten Kampf mit Hunding, sondern einem plumpen Schuss aus Wotans Waffe. Auch die schrille Karikierung der Walküren-Schar als bandagierte, affektierte Beautyfarm-Klientinnen sorgt für Empörung. Hier wird nicht gekämpft, hier lässt frau sich liften: Zugegeben, die populärsten Powerfrauen der Opernliteratur handeln auch laut Libretto immer nur auf Wotans Geheiß. Will Valentin Schwarz etwa Wagners gut versteckten Sexismus freilegen?

Der Cliffhanger zum „Siegfried“ ergibt sich jedoch aus der Vaterschaftsfrage. Kein Inzest, keine Blutschande: Wenn Drachentöter Siegfried nicht vom Traumpaar abstammt, sondern zur Hälfte von Hunding, einem der bad guys, was hat das nun wieder zu bedeuten? Dass die Guten und die Bösen engstens miteinander verwandt und nabelschnur-verbandelt sind, hatte der Regisseur ja bereits mit dem Mutterleib-Video zum „Rheingold“-Vorspiel verraten.

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