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Eine Mischung aus Expressionismus und Neuer Sachlichkeit: Die Villa Buchthal, wie sie heute aussieht.

© Ringo Paulusch

Die Villa Buchthal: Vom Kristall zum Kubus

Im Westend steht ein helles Haus, eher schlicht. Man könnte es für einen Neubau halten. Doch die Geschichte dieser Villa ist voller Überraschungen, wie eine Ausstellung im Aedes zeigt.

Kapitel eins. Das Bauherrenehepaar traut sich was. Mitten im noblen Westend lassen sich Thea und Eugen Buchthal 1922 eine expressive Villa errichten, die zwischen den gediegenen Wohnhäusern rundum wie ein Paradiesvogel wirkt. Im Musikzimmer leuchten grüne Pfeiler vor knallgelben Wänden, nebenan im Wohnzimmer taucht man in blaues Farbfluidum, während die Speisen vor orange-violett getünchten Wänden im Essraum serviert werden. Nach außen faltet sich der Baukörper in V-Form mit kristallinen Kanten und Ecken auf. Hingucker ist eine rasant expressionistische, mehrfach gestufte Giebelfront, mit symmetrischem Brunnen davor. Den Entwurf für dieses extravagante Stück Berliner Architekturgeschichte lieferten die jungen Brüder Wassili und Hans Luckhardt mit ihrem Büropartner Franz Hoffmann.

Zwar hatten sie noch nie zuvor einen Bau realisiert, aber in einer Berliner Galerie mit kristallinen Architekturvisionen aus Glas, Licht und Farbe für Aufsehen gesorgt. Der Konfektionskaufmann Buchthal und seine kunstsinnige Frau entschieden: Genau so wollten sie wohnen. Mit Gemälden von Feininger, Nolde, Pechstein und Erich Heckel komplettierten sie ihr Domizil, schafften Skulpturen von Lehmbruck und Emy Roeder an. Sogar der Garten wuchs sich mit pfeilförmig auf das Haus weisenden Blumenrabatten zu einem Kunstwerk aus. Arnold Schönberg, Max Beckmann, Lou Andreas-Salome und andere kamen zu Gast. Doch der Expressionismus überstand den Praxistest nicht.

1922. In Berlin-Westend lassen sich die Buchthals eine expressive Villa bauen. Die Baustelle ist auf diesem Foto festgehalten.
1922. In Berlin-Westend lassen sich die Buchthals eine expressive Villa bauen. Die Baustelle ist auf diesem Foto festgehalten.

© Akademie der Künste,Berlin,Luckhardt-und-Anker- Archiv

Kapitel zwei. Kaum fünf Jahre wohnte das Paar mit seinen drei Kindern in dem gewagten Objekt, dann reichte es der Familie. Buchthals engagierten einen neuen Architekten. Als Ernst Freud, Sohn des Psychoanalytikers, sein Umbauwerk 1928 vollendet hatte, war die expressionistische Villa Buchthal praktisch aus dem Stadtbild verschwunden. Statt schräger Winkel, Kanten und Ecken dominierten nun glatte weiße Mauern und schlichte Rechteckfenster. Im Inneren wurden die komplexen Grundrisse vereinfacht, soweit möglich. Zusätzliche Obergeschossräume und eine üppige Dachterrasse erweiterten die Wohnfläche. Nicht wiederzuerkennen, das Haus!

Der Witz dabei: Der nun strenge, neusachliche Baukörper zeigte sich stilistisch wiederum topaktuell. Denn in den Jahren seit Kriegsende hatte sich der Architekturgeschmack gewandelt, angesagt waren jetzt die weißen Kuben der Bauhaus-Moderne. Den Brüdern Luckhardt selbst waren ihre frühen, expressiven Formexzesse offenbar peinlich. Sie strichen die Villa Buchthal aus ihren Werkverzeichnissen. Nur Fachleuten war bekannt, dass sich im Westend ein Luckhardt-Frühwerk verbarg. Berühmt wurden die Brüder mit ihren weißen Villen am Rupenhorn, lupenreinen Meisterwerken des Neuen Bauens.

Fünf Jahre später erfolgt der Umbau - im Stil der Neuen Sachlichkeit, wie hier zu sehen ist.
Fünf Jahre später erfolgt der Umbau - im Stil der Neuen Sachlichkeit, wie hier zu sehen ist.

© RIBA Collection London

Familie Buchthal konnte nicht lange austesten, ob es sich in neusachlichem Ambiente tatsächlich besser wohnte als im Expressionismus. Ab 1933 waren die Buchthals als jüdische Bürger von Nazi-Repressionen betroffen, mussten ihr Haus und peu á peu ihre Kunstsammlung verkaufen. 1938 entkamen sie ins Exil. Nach dem Zweiten Weltkrieg mieteten Studenten sich ein. Einer davon war der Kammersänger Dietrich Fischer-Dieskau: Er erwarb das Haus und behielt es fast ein halbes Jahrhundert.

Kapitel drei. 2015 steht ein Besitzerwechsel an. Sanierungsbedürftig ist das Haus Lindenallee 22 mittlerweile, ein unscheinbarer Bau mit schnödem Rauputz und Kunststofffenstern. Architektin Ursula Seeba-Hannan beugt sich über die alten Grundrisse, stutzt, staunt und gräbt sich tiefer in die Baugeschichte. Animiert vom neuen Besitzer, der selbst in Archiven nachforscht, schält sie die Vergangenheit des Hauses Schicht um Schicht heraus. Farbspuren in Gelb, in Grün kommen innen zum Vorschein. Außen stoßen die Bauarbeiter hinter der glatten Eingangsfassade auf die größte Überraschung: die expressionistisch gestufte Portalumrahmung des Luckhardt-Baus existiert noch. Ernst Freud hatte nur eine flache Wand davorgeblendet. Seeba-Hannan beschließt, die kostbare Originalsubstanz freizulegen und zu erhalten. Die zuständige Denkmalpflegebehörde gibt ihr Okay. Denn expressionistische Architektur ist in Berlin rar.

2015. Die Sanierung wird begonnen. Sie versucht einen Kompromiss aus Original und Umbau.
2015. Die Sanierung wird begonnen. Sie versucht einen Kompromiss aus Original und Umbau.

© Ringo Paulusch

Man einigt sich auf ein ungewöhnliches Sanierungskonzept: Haus Buchthal durchläuft eine weitere Metamorphose. Jetzt präsentiert sich das Bauwerk so, wie es niemals zuvor aussah: als Kombination aus expressionistischen Elementen und sorgsam wiederhergestellter Neuer Sachlichkeit. Nicht Fisch und nicht Fleisch, ließe sich einwenden. Aber immerhin! Schade nur: Seinen Garten, der in alten Entwurfsplänen überliefert ist, wird Haus Buchthal nicht wiedergewinnen. Wo er einst blühte, klafft jetzt bereits eine Baugrube. Hier entsteht ein klotziges Mehrfamilienhaus, ebenfalls nach Seeba-Hannans Entwurf, und rückt dem wiedererstandenen Luckhardt-Freud-Bau arg auf die Pelle. Diesen unschönen Aspekt spart die Ausstellung im Architekturforum Aedes, die das Baudenkmal Haus Buchthal vorstellt, dezent aus.

Aedes Architekturforum, Christinenstr. 18, bis 6. Dezember 2016, Di-Fr 11-18.30 Uhr
So-Mo 13-17 Uhr, Katalog 10 €.

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