zum Hauptinhalt
Die Gesichter von Ray, Georg und Berthold Mann sind ein Mix aus den Gesichtern der Türen-Gründer.

© Staatsakt

Die Türen, der Mann und das Album "Wir sind der Mann": Sehnsucht klebt

Diskurspop-Schlager: Die Berliner Band Die Türen hat unter dem Namen Der Mann ein spannend-spinnertes Album veröffentlicht

Es fängt ganz harmlos an. Ein paar Klavierakkorde, ein bisschen Schlagzeug und Gesang. Doch als nach einer knappen halben Minute der Bass und dann das „Ahh“ des Backgroundchors hinzukommt, wird allmählich klar, was hier im Gange ist. Ein als Ballade getarnter Angriff auf die Tränendrüsen der Zuhörerschaft:„Dann legt der Abend sanft seinen Arm um dich/ Doch ständig redet jemand auf dich ein/ Und am Ende wird niemand bei dir sein/ Denn über uns gibt’s keinen Gott und im Grund keine Hölle/Du lebst dein Leben nur für dich allein“

Gesungen so lakonisch und anrührend, dass es tatsächlich schwerfällt, nicht in den nassgrauen Novembernachmittag hineinzuweinen. Man könnte jetzt natürlich eine kleine Abwehrmauer bauen und das kitschig, schlageresk oder hyperironisch finden. Oder einfach zugeben: „Nur für dich allein“ ist eines der schönsten Klagelieder, die in diesem Jahr auf Deutsch gesungen wurden.

Es befindet sich auf dem Album „Wir sind der Mann“ der Gruppe Der Mann. Dass es sich dabei eigentlich um die drei Ur-Mitglieder der Berliner Band Die Türen handelt, ist vor Veröffentlichung auf dem bandeigenen Label Staatsakt kaum kaschiert worden. Allerdings muss man schon zwei Mal hinschauen und hinhören, um es zu bemerken. So verschmelzen etwa auf dem von Helmut Kraus gemalten Männerporträt, das das Plattencover ziert, die Augen von Bassist Ramin Bijan (jetzt: Berthold Mann) mit der Stirnpartie und den Haaren von Maurice Summen (Ray Mann) sowie dem Mund von Gunther Osburg (George Mann). Weitere Kombinationsmöglichkeiten dieses Physiognomie-Puzzles sind im Platteninneren sowie einem Trickvideo zur ersten Single zu finden. Durch das Geschnipsel entsteht quasi ein Durchschnittsmann, die Schnittmenge Mann. Ob das Trio damit irgendwas aussagen oder vielleicht sogar einen Kommentar zur Gendertheorie abgeben möchte, bleibt wie so vieles auf dieser faszinierenden Platte ein Rätsel.

Es gibt auch eine an die Türen erinnende rockige Kreativprekariatsnummer: "Alles keine Arbeit“

Im Stück „Wo fängt Mann an“ ist eigentlich „man“ gemeint, was bestenfalls als subtile Sprachkritik verstanden werden kann. Auch „Ich bin ein Mann“ lässt in seiner monoton zu reduzierter Drum-Bass- Claps-Begleitung vorgetragenen Litanei der Abscheu einen weiten Interpretationsspielraum. „Was mich an Begräbnissen stört, ist der Tod/ Was mich am Winter stört, ist die Kälte/ Was mich am Papst stört, ist das Heilige“, heißt es hier. Wo die Ablehnung so allumfassend ist, entzieht sich die Refrainzeile „Ich bin ein Mann“ jeglicher stereotyper Aufladung. Alles, was hier stört – Partygäste, Apfelkerne, Internetprovider – könnte auch von Frauen, Kindern oder Intersexuellen gehasst werden. Wenn man oder frau so will, wird hier eine Antithese zum rosa-hellblauen Mario- Barth-Kosmos besungen. Oder geht es doch nur um den Mann als Misanthropen und Dauernörgler?

Das Stück, das ein wenig an „Dieses Lied“ vom letzten Türen-Album „ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ“ erinnert, orientiert sich am bekannten Türen-Sound. Ähnlich die rockige Kreativprekariatsnummer „Alles keine Arbeit“, die ebenfalls von Summen gesungen wird. Doch vor allem, wenn Gitarrist Osburg am Mikrofon steht, wird der für die Türen typische Wortspiel- und Humorfaktor kleiner. Irritationen gibt es dafür um so mehr. Auch musikalisch. Die brillante Single „Menschen machen Fehler“ beispielsweise weckt Udo-Jürgens-Assoziationen, und bei dem mit Cello, Klavier und viel Hymnen-Pathos ausgestatteten „Jeder Mensch“ gerät die Band gefährlich nah an die Schmalzrockkollegen von Pur. Ohne in den Text eingebaute Abstandhalterzeilen – „Ich hab ’ne Prepaid-Karte gekauft“ oder „Dann sitzt du in deinem Auto und die Sehnsucht klebt an dir“ – könnte man fast auf die Idee kommen, das Trio meinte das doch irgendwie ernst.

Vielleicht ist es aber auch nur ein Zeichen des fortschreitenden Anything goes in der Popwelt. In Zeiten, in denen eine lange als Geschmacksverirrung verachtete Stilrichtung wie Yacht Rock eine umjubelte Renaissance erlebt und Helene Fischer ihren Sound technofiziert, kann eben auch eine aus dem Diskurspop-Umfeld stammende Combo mal mit dem Schlager flirten und einen herzzerreißenden Chor anstimmen: „Oh Gott, ich bin, bin, bin so verlassen, oh nein/ Keiner der redet, niemand der zuhört“. Blumfeld sind ja schließlich auch irgendwann in ein tausend Tränen tiefes Tal der Naturlyrik geraten. Was an der Platte „Wir sind der Mann“ so verwirrt: Sie entzieht sich jeglicher Festlegung. Gefühliges steht neben Rotzigem, Spaß trifft auf Schwulst. Ein eklektizistisches Experiment, das munter durch die deutschsprachige Poptradition tanzt.

Besonders witzig ist der Schlenker zu Liedermachern wie Reinhard Mey und Wolf Biermann am Ende des Albums. Ramin Bijan alias Berthold Mann singt „The rise of the reforming house“ zu schnellem Akustikgitarren-Picking in einem extra-ernsthaften Bardenmodus. Zunächst geht es um Brottrunk, Stuhlgang und gedörrte Pflaumen. Dann steigert sich das Ganze immer weiter in einen Reformhaushass hinein: „Doch selbst das Reformhaus braucht eine Reform. Und das Leben ist keine Pusteblume, das Leben ist kein Dinkelbrot. Das Leben ist nicht grob geschrotet und wäre das Leben ein Reformhaus – wäre ich lieber tot.“ Allein schon wegen dieser kurzweiligen Biospießerverarschung aus der Metaphernhölle kann man und frau nur hoffen, dass Der Mann ihrem (oder seinem?) Debütalbum noch ein weiteres Werk folgen lassen.
„Wir sind der Mann“ erscheint bei Staatsakt. Die Türen spielen Der-Mann- Konzert: 20.2., Lido Berlin

Zur Startseite