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Von wegen blind. Carl Spitzwegs „Justitia“ aus dem Jahr 1857.

© Christian Mitko

Die tragische Reise eines Spitzwegs: Von den Nazis geraubt, dann vom Bund einbehalten

Ein Gemälde des Künstlers Carl Spitzweg hing Jahrzehnte beim Bundespräsidenten. Bis man entdeckte, dass es Raubkunst ist. Die Geschichte einer Aufarbeitung.

Die Geschichte klingt nicht gut. Da müssen die Nachfahren eines jüdischen Sammlers 13 Jahre lang warten, bis sie ihr längst zur Restitution vorgesehenes Werk wiederbekommen. Dabei war schon 1945 bekannt, dass es aus dem Bestand des „Führermuseums“ in Linz stammt und höchstwahrscheinlich Raubgut ist.

Stattdessen hing das Bild seit Anfang der sechziger Jahre bis zur Entdeckung seines Vorbesitzers in der Villa Hammerschmidt, dem Bonner Amtssitz des Bundespräsidenten. Damals erfuhren die Erben durch eine dürre Meldung, dass ihnen das Gemälde wieder zugesprochen war.

Die Übergabe aber fand erst im November 2019 statt, fast anderthalb Jahrzehnte danach. Der Fall erinnert an den Kokoschka im Büro des Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, auch an Nolde bei Angela Merkel.

Mit der Restitution aus der Villa Hammerschmidt geschah in mehrfacher Hinsicht späte Gerechtigkeit, denn der Titel des Bildes lautet „Fiat Justitia“, gemalt von Carl Spitzweg. Immer wieder wurde das Hauptwerk des Biedermeier-Künstlers vom Bund in Ausstellungen entliehen.

Bei genauerer Betrachtung ist schnell zu erkennen, dass die Personifizierung der Justiz in ihrer derangierten Erscheinung keineswegs die Werte von Recht und Gerechtigkeit verkörpert, sondern eher deren Vernachlässigung darstellt. Nur die von damals?

Erst die jüngere Generation brachte Licht ins Dunkel

Spitzwegs „Justitia“ erzählt mehrere Geschichten, auch jene des Ortes, an dem das Bild nun versteigert wird: das Münchner Auktionshaus Neumeister. Es spielte während des Nationalsozialismus eine entscheidende Rolle beim Verkauf von Kunst, die jüdischen Sammlern geraubt worden war. Zu den Einlieferern gehörte die Gestapo.

Bis in die jüngste Zeit wollte diese Hintergründe niemand so genau wissen, erst die Übergabe an die nächste Generation 2008 brachte Licht ins Dunkel. Die heutige Besitzerin Katrin Stoll beauftragte ein Jahr nach Übernahme der Geschäfte von ihrem Vater, der 1957 bei Neumeister eingestiegen war und wenige Monate nach dem Tod Adolf Weinmüllers sämtliche Anteile erworben hatte, eine Provenienzforscherin mit der Klärung der eigenen Vorgeschichte.

Ein Zufallsfund in einem unbeachtet gebliebenen Kellerschrank brachte den Durchbruch. Darin tauchten 44 persönliche Exemplare der Auktionskataloge zwischen 1936 und 1944 mit schriftlichen Notizen Weinmüllers zu Ergebnissen und Käufern auf.

Fall Gurlitt löste damals einen internationalen Skandal aus

Bei Verhören durch die Alliierten hatte der seit 1933 amtierende Vorsitzende des Bundes der deutschen Kunst- und Antiquitätenhändler immer wieder beteuert, alle Unterlagen seien im Krieg verbrannt.

Ähnlich wie Hildebrand Gurlitt: Der einstige Chefeinkäufer in Frankreich für das Linzer „Führermuseum“ gab ebenfalls zu Protokoll, seine Akten wären dem Dresdner Feuersturm zum Opfer gefallen – um weitere Nachfragen, mögliche Rückgabeansprüche zu vermeiden und ungestört an alte Verbindungen wieder anknüpfen zu können.

Auch bei ihm stellte sich diese Behauptung später als Lüge heraus, nachdem 2013 seine Sammlung als „Schwabinger Kunstfund“ in der Wohnung des Sohnes wieder aufgetaucht war.

Gurlitts Fall löste damals einen internationalen Skandal aus, eine Taskforce wurde eingerichtet, um die Sammlung auf Raubkunst überprüfen zu lassen. Der Fall Neumeister wirbelte weniger Staub auf, obwohl sich hier erstmals der Kunsthandel freiwillig seiner Vergangenheit stellte.

Diskretion als das höchste Gut im Kunsthandel

Katrin Stoll machte sich geradezu unbeliebt, als sie die Kataloge ihres Vorvorgängers auch noch digitalisieren und auf Lost Art einstellen ließ, damit Provenienzforscher zurückverfolgen können, wohin die geraubte Kunst ihrer Klienten gelangt war.

Diskretion sei das höchste Gut im Kunsthandel, ähnlich wie bei Ärzten und Rechtsanwälten, wurde ihr zum Vorwurf gemacht. Bis heute hat sich Stoll als Einzige ihrer Branche der Aufarbeitung gestellt.

Doch die Auktionatorin lebt gut mit dem Ruf einer Nestbeschmutzerin, ihre Haltung öffnete andere Türen. Dass die „Justitia“ bei ihr versteigert wird, liegt nicht nur an der Spezialisierung ihres Hauses auf das 19. Jahrhundert und einen Spitzweg-Rekord, sondern auch am Vertrauen, das sie sich bei den Nachfahren jüdischer Sammler erworben hat.

Immer wieder stößt auf Unverständnis, dass die restituierten Werke wenig später weiterverkauft werden. Ein häufiger Grund sind Recherche- und Anwaltskosten oder die Notwendigkeit einer finanziellen Teilung unter den Erben. Letztlich verbietet sich jegliche Kritik angesichts des zuvor begangenen Unrechts.

Die Witwe des Eigentümers wartete bis zu ihrem Tod auf Entschädigung

Die Geschichte von Leo und Else Bendel, denen die „Justitia“ zuvor gehörte, offenbart die ganze tragische Dimension. Bis 1935 Generalvertreter bei einer Berliner Tabakfabrik und der Firma „Job“ Zigarettenpapier, wurde Bendel als Jude entlassen.

Sein Versuch, sich den Verfolgungen zwei Jahre später durch Umzug nach Wien zu entziehen, scheiterte wenig später durch den Anschluss Österreichs. Nach dem Überfall auf Polen gehörte Bendel zu den ersten Verhafteten, die ins Konzentrationslager Buchenwald deportiert wurden.

Der 71-Jährige überlebte dort kein halbes Jahr. Als seine verarmte Witwe nach dem Krieg bei den Berliner Behörden „Entschädigungsleistung“ beantragte, dauerte die Bearbeitung so lange, dass sie 1957 darüber verstarb.

Spitzweg erweist sich mit dem Bild als erstaunlich politisch

Zu diesem Zeitpunkt befand sich die „Justitia“ bereits beim Bayerischen Ministerpräsidenten, der sie vom Central Collecting Point übernommen hatte, der Sammelstelle für im Krieg herrenlos gewordene Kunst.

Konnten dort keine früheren Eigentümer ausfindig gemacht werden, ging sie an die Bundesfinanzbehörde. Dass auf einer Restitutionskartei Bendels Name stand, der das Bild zur Finanzierung seines Umzugs nach Wien einer Münchner Galerie verkauft hatte, ließ damals niemanden aufmerken.

Zu dem Zeitpunkt hatte sich der Bildtitel in „Fiat Justitia“ modifiziert. Es werde Gerechtigkeit!

[Podiumsgespräch am 2.3. (18.30 Uhr) in der Berlinischen Galerie mit Uwe Hartmann, Monika Tatzkow, Katrin Stoll, Peter Raue zum Thema Provenienzforschung und Restitution. Moderation: Nicola Kuhn. Anmeldung: sfischer@goldmannpr.de]

Ein frommer Wunsch angesichts einer Justitia mit gebrochenem Sockel, unbrauchbarer Waage und hochgerutschter Augenbinde, unter der die üppige Frauengestalt hervorlugt. Spitzweg erweist sich hier als erstaunlich politisch.

Der für humorvolle Szenen bekannte Maler übt indirekt Kritik an den Verhältnissen seiner Zeit, an Zensur und Spitzelei. Bis vor Kurzem glaubte man noch, der bissige Kommentar habe sich unfreiwillig in die Malerei geschlichen.

Das wird heute anders gesehen. Die historischen Ablagerungen, die Jahrzehnte später hinzugekommenen Geschichten, machen seine „Justitia“ zu einem noch vielschichtigeren Werk. Es legt Zeugnis ab über die Zeit seiner Entstehung, das tragische Schicksal seiner Vorbesitzer und die Defizite in der Provenienzforschung und Restitution.

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