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Treppauf. Heute leiten Marie-Blanche und Ulrich Gebauer gemeinsam die Galerie. Zum Gallery Weekend zeigen sie in ihren Räumen in der Markgrafenstraße 67 Tarik Kiswanson und Emily Wardill. Eröffnung ist am 30. April zwischen 11 und 19 Uhr. Die Ausstellung ist auch am Samstag und Sonntag zu sehen. Besuch nur nach Voranmeldung und mit einem negativen Corona-Test.

© Stephanie Kloss

Die Stationen der Galerie Carlier/Gebauer: Fünf Umzüge, 30 Jahre – eine Berliner Erfolgsgeschichte

Die Galerie Carlier/Gebauer feiert Jubiläum. Ein Stadtspaziergang mit Ulrich Gebauer zu den wechselnden Standorten seit der Gründung, vom Loft bis zum Gewerbebau.

Irgendwie scheint er es selbst nicht glauben zu können: Da oben, im zweiten Stock, soll die erste Station der Galerie gewesen sein? Und 30 Jahre ist das alles her? Ulrich Gebauer steht im Hof der Pfuelstraße 5, von dem aus ein Durchgang den Blick auf die Spree freigibt. Die Oberbaumbrücke ist einen Katzensprung entfernt. 1991 musste sie noch rekonstruiert werden, als Verbindung zwischen den Ufern auf West- und Ostberliner Seite.

Die Stimmung war damals eine andere in der Stadt, die sich erst langsam daran gewöhnte, wiedervereinigt zu sein. Auch in der Pfuelstraße, wo heute Start-ups, Agenturen, Yogaschulen die Lofts bezogen haben, ging es anders zu. Eine Tour mit Gebauer zu den fünf Orten seiner Galerie ist wie eine Reise in die jüngere Vergangenheit Berlins, nicht nur der Stadt, sondern auch ihrer Kunstszene.

„Jedes Wochenende war der Hof voll, wurde gefeiert“, erinnert sich Gebauer inmitten des heute strahlenden Jugendstilgemäuers. Wer seine Galerie besuchte, musste am türkischen Barbier und Gemüseladen vorbei, darunter eine Moschee.

Zwischen deren Besuchern und dem Kunstpublikum kam es immer mal zu Kollisionen. Mit einer gewissen Naivität hatte Gebauer die Galerie gestartet. Ein Schulfreund aus Dresden, der Erfolg im Antiquitätenhandel hatte, war sein Kompagnon. Gebauer selbst studierte noch Kunstgeschichte an der TU und fuhr nachts Taxi, um das Abenteuer zu finanzieren.

Ein Auslöser für die Galeriegründung war die Sonderausstellung „Ambiente Berlin“ auf der Biennale in Venedig. „Eine Katastrophe“ laut Gebauer, die Kunstszene der Stadt hatte schließlich mehr zu bieten. Die Schau „Jetzt Berlin“ in der Kunsthalle Malmö bot die Alternative mit Anne Katrine Dolven, Axel Lieber, Thomas Florschuetz, Simone Mangos, Else Gabriel, Sissel Tolaas, Hans Hemmert, Via Lewandowsky und Georg Zey. Hier rekrutierte Gebauer seinen Künstlerstamm. Kein leichter Start, denn einen Markt gab es nicht, den Kreuzberger Hinterhof fanden zwar Künstler, aber kaum Sammler.

Vor dem Mauerfall war Kreuzberg der Hotspot der Kunst

Gebauer ließ sich nicht entmutigen, obwohl die ersten fünf Jahre wirtschaftlich ein Desaster waren, wie er sagt. Als Jugendlicher in Dresden hatte er zwar das Handeln mit Schallplatten geübt und gut verdient, aber das Galeriegeschäft musste erst gelernt werden. Die beiden Jahre in der Pfuel-, die nächsten zwei in der Oranienstraße wurden zur Lehrzeit.

Kreuzberg als Standort aber war für diese Etappe die richtige Entscheidung, dazu steht Gebauer weiterhin und gerät ins Schwärmen, wenn er von der Performance Asta Grötings neulich in einem Eckladen nahe seiner zweiten Adresse erzählt. Vor dem Mauerfall war Kreuzberg, neben Schöneberg, der Hotspot auch der Kunst, noch heute lebt der Kiez von den Kontrasten, anders als der durchgentrifizierte Prenzlauer Berg. In der ersten Hälfte der 1990er befanden sich im Umkreis von 200 Metern die interessantesten Adressen: das Künstlerhaus Bethanien, die Galerien Vincenz Sala, Zwinger, nebenan gleich die NGBK.

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Doch bald lockte Mitte, die Kunst Werke in den Auguststraße entwickelten Strahlkraft, die auch auf eine ambitionierte Galerie anziehend wirkte. Nachdem Stefan Günther als Partner aus- und Barbara Thumm für eineinhalb Jahre eingestiegen war, suchte das Unternehmen in Mitte ein neues Quartier. Schon damals kennzeichneten Wanderungsbewegungen die Szene. Wo sich neue Orte eröffneten, von denen es reichlich gab, zog es erst die Künstler, dann die Galeristen hin.

Heute weiß man, dass wie in Downtown Manhattan als Nächstes Boutiquen und teure Restaurants die Auguststraße übernahmen. Vielleicht ahnte Gebauer die Tendenz des Scheunenviertels zum Schickimicki, als er mit einigem Abstand zum Epizentrum eine Etagenwohnung in der Torstraße bezog, die damals rau war.

Die Galerie wird endlich wirtschaftlich erfolgreich

Schön ist sie noch immer nicht. Auch das Treppenhaus des Altbaus, in den die Galerie zog, wirkt unverändert. Vor der Tür der einstigen Galerie erzählt Gebauer lachend von der Nachbarin, die sich immer lautstark beschwerte, wenn Vernissage war. Da kommt zufällig ein Lieferservice mit Essen vorbei, die neuen Bewohner öffnen – und ja, wir dürfen spontan eintreten und uns umschauen, wie es hier heute aussieht.

Eine fünfköpfige WG wohnt jetzt darin; die Miete für die möblierten Zimmer ist horrend. Gebauer erinnert sich, wie er hier nach dem Auszug einer Elektro GmbH mit einer russischen Brigade sanierte und unter dem Linoleum mit Parkettimitat feinstes reales Parkett mit Intarsien entdeckte, das rettungslos verklebt war.

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In der Torstraße arbeitete die Galerie endlich wirtschaftlich erfolgreich, die Einladung zur Art Basel erfolgte; ab 1997 stieg Marie-Blanche Carlier als Partnerin ein. Die erste Ausstellung mit Gary Hume kaufte das Kunstmuseum Wolfsburg komplett. Das wiederholte sich mit Luc Tuymans. Doch lieber hätte Gebauer das Tuymans-Gemälde „Speer fährt Ski“ nach Berlin verkauft, es hätte in die Stadt gehört, wie er meint. Stattdessen mobilisierte der Dresdner Albertinums-Direktor Ulrich Bischoff seinen Freundeskreis.

Die Macht der Messen

Gebauer schüttelt den Kopf über die vertane Chance. Für solch Berliner Sturheit hat er keine Erklärung, auch unter Künstler:innen. Warum seine erste Künstlermannschaft die nächsten Schritte nicht weiter mit ihm ging, lieber die Aussteigerpose pflegte, versteht er nicht. Die Entscheidung wurde den Zauderern abgenommen durch die Zuzügler aus Köln, Galerien, die eine andere Stimmung verbreiteten: marktorientiert, konkurrenzbewusst, knallhart im Geschäft.

Via Art Basel wurden Ränke geschmiedet, Berliner Kollegen zur nächsten Messe nicht mehr eingeladen. Heute, auch durch die Erfahrung von Corona, weiß Gebauer, dass so viel Macht den Messen eigentlich nicht zusteht. Sie sollten vor allem Service bieten, Struktur bereitstellen; stattdessen stürzten sie Galerien durch aberwitzige Standgebühren in den Bankrott.

Nach fünf Jahren in der Torstraße war es wieder Zeit zu gehen, das nächste Quartier fand sich in den S-Bahn-Bögen in der Holzmarktstraße, eine pittoreske Location zwischen Spree und BVG-Hochhaus gemeinsam mit Max Hetzler, Mehdi Chouakri, Atle Gerhardsen und Waling Boers.

Carlier/Gebauer waren da längst internationale Player geworden, die Ausstellung mit Santiago Sierra, der durch die Fenster schwere Stahlträger herausragen ließ, erregte nicht nur bei der Wasserpolizei Aufsehen. Aernout Miks Videoinstallation „Middleman“, Julie Mehretus vor Ort aufgespannte Mega-Leinwand, Mark Wallingers Performance – all dies habe nur hier stattfinden könne, sagt Gebauer. „Aber irgendwann nutzt sich ein so prägnanter Raum auch ab“, so der Galerist. „Diese Art Industrieromantik hält man nicht lange durch.“

Gerade findet wieder ein Wechsel statt

2008 ging es deshalb in die Markgrafenstraße in einen schlichten Gewerbekomplex, der nach dem Mauerbau entstand. Bis zur Pandemie wurde über Carlier/Gebauer jedes Wochenende türkische Hochzeit gefeiert, „Gloria Event“ ist der größte Anbieter weit und breit; der spanische Supermarkt und Caterer nebenan schließt demnächst.

Gerade findet wieder ein Wechsel statt. Werbefilmstudios ziehen ein. Gebauer gefällt die Bewegung rundum, nur bleibt er diesmal, wenn auch verkleinert seit dem Marktcrash 2008. Danach nahm der Deutsche Künstlerbund einen Teil der Fläche ab. Dafür besitzt die Galerie seit 2019 eine Dependance in Madrid.

Zum Jahresende wird Jubiläum gefeiert mit allen 60 Künstler:innen, die je dabei waren – als Begleiter der fünf Stationen. Fünf Kurator:innen dürfen dann ihre Wahl treffen für jeweils eine Ausstellung. Die Wanderung der Galerie durch die Stadt findet damit an einem Ort statt.

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