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Eingeschlossen im Mädchenklo. Roland Wolf und Alessa Kordeck in dem Stück von Milena Baisch.. Folto: drama-Berlin

© Barbara Braun/drama-berlin.de

Kultur: Die Spülwütigen

Uraufführung im Grips-Theater: „Die Prinzessin und der Pjär“.

Was ist schlimmer, als versehentlich auf der Schultoilette eingeschlossen zu werden? Sich zusammen mit Pierre in dieser Notlage wiederzufinden. Ausgerechnet Pjär, der Bär. Dieser Schultrampel, der auf Lisasophies Haarspange gelatscht ist, der sie andauernd so komisch anglotzt in der Klasse, der vielleicht ein Perverser ist. Apropos: Was macht Pjär überhaupt auf dem Mädchenklo? Und wie zum Teufel sollen sie hier wieder rauskommen, zumal am Freitagnachmittag?

Mit diesen existenziellen Fragen beginnt das Stück „Die Prinzessin und der Pjär“ für Menschen ab acht im Grips Podewil. Die Autorin Milena Baisch – bekannt geworden vor allem mit ihrem Familienroman „Anton taucht ab“ – gibt damit ihr Theaterdebüt. Und hat auch gleich den Berliner Kindertheaterpreis 2013 gewonnen, den das Grips-Theater zusammen mit der Gasag verleiht. Eine ziemlich rühmenswerte Auszeichnung. Schließlich gibt es ungezählte Preise und Stipendien für Nachwuchsdramatiker, die ihren Mangel an Lebenserfahrung zu verquerer Bedeutungshuberei aufblasen. Aber das echte Kindertheater wird noch immer zu wenig gewürdigt und mit frischem Stoff versorgt.

Milena Baisch macht vor, welche Fantasiesprünge, Pointen und Erkenntnisse sich aus einer vermeintlich simplen Boy-meets-Girl-Variante für die Jüngsten zaubern lassen. Zumal, wenn das Screwballspiel auf dem Klo stattfindet. Alessa Kordeck spielt Lisasophie, eine musizierende Einserkandidatin, die in der Schultheateraufführung selbstredend die Hauptrolle übernimmt und deren Vater schon mal das Studio für die CD-Aufnahme ihrer Geigenkünste gebucht hat – zunächst nur zum Verschenken an die Verwandtschaft. Ein Prachtexemplar. Die Eltern von Pjär haben dagegen weniger Grund zum Stolz auf ihren Sprössling. Denkt er selbst zumindest. Pjär, gespielt von Roland Wolf, versagt trotz Logo- und Ergotherapie regelmäßig in der Schule. Weswegen es ihn übrigens auch aufs Mädchenklo verschlagen hat: Er wollte in der Stille des Örtchens seine mangelhafte Mathearbeit dem Vergessen und der Kanalisation überantworten.

Zwei denkbar ungleiche Kids also. Aber sie entdecken mehr Gemeinsamkeiten als geglaubt. Entsprechend erwächst aus Lisasophies anfänglicher Abneigung gegen den tapsigen Pjär-Bär erst zaghaftes, sehr mädchenhaft geäußertes Interesse („Du, wie fühlt sich das an, so eine Fünf?“). Und schließlich freunden sich die zum Überleben wild entschlossenen Klokerker-Insassen („Wir haben Wasser, wir haben eine Heizung!“) in ausbruchsfreudigen Rollenspielen miteinander an: als Ritter und Prinzessin, als Plus-Woman und Minus-Man.

Regisseurin Grete Pagan inszeniert diese Kalamitätenkomödie vor grüner Waschbecken-Wand (Ausstattung: Lena Hinz) sehr einfühlsam, mit niemals plumpem Witz und angemessener Nachdenklichkeit. Es berührt ohne Kitschanflug, wenn Alessa Kordeck und Roland Wolf (beide toll!) sich als Coming-of-Klo-Gefährten die geheimen Wünsche und Ängste offenbaren. Das Gefühl, den Ansprüchen der Eltern nicht zu genügen, kennen sie zur Genüge. Wohin mit dem Druck? Am besten einfach wegspülen.

Grips im Podewil. Wieder am 9., 15. und 16.10., weitere Vorstellungen im November (vorerst sämtlich ausverkauft).

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