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Ausstellung: "Der fruehe Vermeer". Im Dresdner Zwinger sieht man das Gemaelde "Bei der Kupplerin", daneben hängen die Gemälde "Christus bei Maria und Martha", (l.) und "Diana und ihre Gefaehrtinnen".

© Norbert Millauer, ddp

Die Sphinx in der Dresdner Bildergalerie: Der frühe Vermeer

In der Dresdner Bildergalerie werden die Frühwerke Johannes Vermeers untersucht. Später wird man sie auch in Edinburgh und Den Haag bestaunen können.

In Dresden begann es, in Dresden findet alles wieder zusammen. 1859 stand der französische Kunsthistoriker Etienne Joseph Théophile Thoré, genannt ThoréBürger, vor dem „Brieflesenden Mädchen“ der Gemäldegalerie und entschied: Das ist ein Vermeer. Da war Johannes Vermeer, der erst durch den Ankauf der „Ansicht von Delft“ durch das Mauritshuis ins öffentliche Interesse gerückt war, durchaus noch ein Unbekannter. Und ThoréBürger suchte in ganz Europa nach neuen Bildern der „Sphinx“, wie er den rätselhaften Künstler mit seinen stillen Bildern nannte. In Dresden sollte er gleich zweimal fündig werden: Neben dem „Brieflesenden Mädchen“ entdeckte er noch ein zweites Bild, „Bei der Kupplerin“.

Das „Brieflesende Mädchen“ ist eins der berühmtesten Vermeer-Bilder überhaupt. Die junge Frau im gold-schwarz gewirkten Gewand mit dem feinen Profil, die am offenen Fenster einen Brief liest, ist eins der ersten Bilder, in denen der Maler aus Delft seine unnachahmliche Lichtführung, die Konzentration und leuchtende Stille zur Vollendung gebracht hat. Röntgenaufnahmen haben gezeigt, wie stark er noch experimentiert hat, mit einem großen Cupido-Bild an der Wand, das er später wieder übermalt hat, mit einem Römerglas im Vordergrund, das auch wieder weichen musste. Auch der mächtige grüne Vorhang kam erst später hinzu. Was diese Attribute an dem Bild verändert hätten, kann man in der Gemäldegalerie nun selbst ausprobieren: In Zusammenarbeit mit der Hochschule für Bildende Künste hat man, im Rahmen eines museumspädagogischen Projekts, den Raum nachgebaut, um Perspektive, Lichtwirkung, Standort zu untersuchen – und das „Brieflesende Mädchen“ gleichzeitig in ein holländisches Interieur zurückversetzt, mit Kastenschrank, Armlehnenstuhl und einem schlichten Holzrahmen, wie ihn die Bilder zu Vermeers Zeiten trugen.

Die Hauptaufmerksamkeit in Dresden gilt jedoch der „Kupplerin“. Das Gemälde, signiert und auf 1656 datiert, ist ein Frühwerk, das den Forschern von jeher Rätsel aufgegeben hat. Ein prachtvolles Bild, keine Frage. Doch deutlich großformatiger als die bekannten Vermeers und entschieden deftiger im Ton. In der Szene, die einen jungen Adligen beim Besuch im Bordell zeigt und den Moment der pekuniären Transaktion festhält, den Meister der stillen Mädchenporträts zu erkennen, kostet schon einige Überwindung.

Die „Kupplerin“ steht im Zentrum einer Ausstellung, die Vermeers früheste Werke nun in Dresden zusammenführt. Drei Bilder nur, vor einer prächtig grünseidenen Wand, das ist schon (fast) die ganze Ausstellung. Dazu einige Werke aus eigenem Bestand, Delfter Malerei, Vermeers Umfeld, und einige Vergleichsbilder anderer Künstler, die ähnliche Motive behandeln. Drei Bilder: Das ist bei Vermeers schmalem Oeuvre von nur 36 Bildern schon viel, was sich auch daran zeigt, dass es diese verhältnismäßig kleine Ausstellung bis in die „Tagesschau“ gebracht hat. Das komplette Frühwerk hat man so, wird man so wahrscheinlich nicht mehr zusammen sehen. Vermeer-Bilder werden selten und ungern ausgeliehen. Hier haben sich nun die drei Museen, die Dresdner Gemäldegalerie, das Mauritshuis in Den Haag und die National Gallery in Edinburgh zusammengetan. Die Ausstellung ist an allen drei Stationen zu sehen.

Keines der drei Bilder würde man für einen Vermeer halten, auf den ersten Blick. Weder besagte „Kupplerin“ noch „Diana und ihre Gefährten“ aus Edinburgh noch „Christus bei Maria und Martha“ aus Den Haag. Mythologische oder biblische Szenen, Historienbilder, das war zwar zu Vermeers Lebzeit die Königsdisziplin, mit der sich auch am meisten Geld machen ließ. Für Vermeer, den Meister der Interieurs, sind solche Motive jedoch eher überraschend. Anscheinend hat sich hier ein junger Maler, in Riesenschritten, durch die Genregeschichte gemalt. Wer Vermeers Lehrer, wer seine ersten Auftraggeber waren, man weiß es nicht. Doch dass mit ihm das Interieur das Historienbild in der Gunst der Auftraggeber abgelöst hat: Das weiß man, und begreift es in Dresden noch einmal neu.

Denn auf den zweiten Blick sind es natürlich doch Vermeers – auf dem Weg zu Vermeer. Alle Szenen hätten Stoff für Dramatik und expressive Handlung geboten: Diana mit ihren Gefährtinnen, von denen eine, Callisto, bald als schwanger entlarvt werden wird. Der Streit zwischen Maria und Martha darüber, ob das tätige oder das kontemplative Leben das richtige sei. Und natürlich die Bordellszene mit Kupplerin und Zuschauer. Doch Vermeer hat die Dramatik herausgenommen, hat Diana und ihre Freundinnen zu stillen, sinnenden Frauen gemacht, die Gesichter gesenkt und verschattet. Selbst der sommerlich blaue Himmel stellte sich bei der Restaurierung als nicht original heraus. Nun trägt das Bild wieder den dunklen Hintergrund, der die fünf Frauen wie in einem Innenraum einschließt.

Auch bei „Maria und Martha“ finden sich Anklänge an Vermeer’sche Interieurs: der Teppich auf dem Tisch, das Brot im Korb, vor allem Marias mit einem Tuch verhüllter, halb abgewandter Kopf, der an das berühmte „Mädchen mit dem Turban“ erinnert. Dazu schon die klaren Farben, das Zitronengelb, das leuchtende Rot. Die „Kupplerin“ schließlich, eine zeitgenössische Genreszene, markiert vollends den Übergang in die Alltagswelt. Beim ersten typisch Vermeer’schen Interieur, dem „Schlafenden Mädchen“ aus New York, hat der Maler den begleitenden Mann und einen Hund später übermalt.

Wie eng die drei Bilder verknüpft sind, zeigt auch die Zuschreibungsgeschichte. Seit dem Vermeer-Skandal aus den Dreißigern, als „Die Emmausjünger“ aus Rotterdam als eine Fälschung von Han van Meegeren entlarvt wurden – das Bild war ursprünglich mit dem Verweis auf „Christus bei Maria und Martha“ anerkannt worden –, waren immer wieder Zweifel an den frühen Vermeers aufgekommen. Ein weiteres Bild, die „Heilige Praxedis“, das noch 1995 in der großen Vermeer-Ausstellung präsentiert wurde, gilt heute nicht mehr als sein Werk. Die drei nun in Dresden gezeigten Gemälde jedoch stützen sich gegenseitig.

Diana, das wohl erste Bild, trug lange die Signatur von Nicolaes Maes. Erst bei Untersuchungen kam Vermeers Signatur zum Vorschein. Das Christus-Bild hingegen trägt zwar seinen Namen, wurde jedoch lange einem Vermeer von Utrecht zugeschrieben – wie zeitweilig auch das Diana-Bild. Erst der Vergleich mit der Dresdner „Kupplerin“ brachte die Zuschreibung an Vermeer von Delft.

So kann man in Dresden nun nachvollziehen, wie Vermeer zu Vermeer wurde: in drei Schritten, drei Bildern, drei Jahren. Was könnte spannender sein?

Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister, bis 28. Nov., Katalog (DKV) 29,90 Euro

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