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Vom Kitsch überwältigt. Dan Stevens und Emma Watson im Märchenmusical „Die Schöne und das Biest“. Der Film startet am Donnerstag, den 16. März, im Kino.

© Disney

"Die Schöne und das Biest": Disneys strategische Wiederentdeckung des Märchenfilms

Disney baut sein Geschäft mit der Nostalgie aus. Jetzt kommt "Die Schöne und das Biest" ins Kino – mit Schauspielern.

Von Andreas Busche

Eine Frage drängt sich nach der in der vergangenen Woche entflammten Kontroverse um die, so Regisseur Bill Condon, „exklusiv schwule Szene“ im neuen Disney-Film „Die Schöne und das Biest“ auf. Was hätte der 1967 verstorbene Firmenpatriarch wohl zu dem Film gesagt, den der familienfreundliche Unterhaltungskonzern am Donnerstag in die Kinos bringt? Bekanntlich ist auch Märchenonkel Walt zu Lebzeiten nicht unbedingt für seine Toleranz bekannt gewesen.

Bestenfalls muss man Walt Disney attestieren, dass er – wie es Neal Gabler in seiner Biografie „The Triumph of the American Imagination“ diplomatisch formuliert – „wenig sensibilisiert für den gesellschaftlichen Rassismus“ gewesen sei. Ein Blick in die Disney-Geschichte offenbart jedoch eine Vielzahl von offen rassistischen („Dumbo“, „Fantasia“) beziehungsweise antisemitischen („Die drei kleinen Schweinchen“) Stereotypen, das historisch hochgradig problematische Plantagenmusical „Song of the South“ aus dem Jahr 1946 wurde vom Disney-Konzern sogar aus dem Verkehr gezogen.

Bewusstsein für kulturelle Vielfalt

Man braucht die – wenn man ehrlich ist – allerhöchstens homoerotisch prickelnde Tanzszene zwischen LeFou (Josh Gad) und Gaston (Luke Evans) in „Die Schöne und das Biest“ also nicht gleich zum Inbegriff eines westlichen Werteverfalls hochzujazzen, wie es Vitaly Milonov, Wladimir Putins Sprachrohr im Kampf gegen „schwule Propaganda“ in Russland, gerade getan hat. Es reicht schon anzuerkennen, dass auch Disney langsam in der Realität anzukommen scheint.

Ein afroamerikanischer Stormtrooper (John Boyega) in „Star Wars: The Force Awakens“, eine gebürtige Hawaiianerin (Auli'i Cravalho) in der Hauptrolle des Südseemärchens „Vaiana“ – bei Disney kehrt ein Bewusstsein für kulturelle und gesellschaftliche Vielfalt ein. Die traditionelle Vorstellung der All-American-Family hat, auch wenn das aktuelle politische Klima in den USA anderes suggeriert, als Wertemodell ausgedient.

Aber das neu entdeckte gesellschaftliche Bewusstsein im Haus Disney ist nicht zuletzt einem kommerziellen Kalkül geschuldet. Bill Condons Aussage, dass mit LeFou die „erste homosexuelle Figur“ in einer Disney-Produktion zu sehen sei, zielt auch auf die sich rasant verändernde Demografie des Kinopublikums ab. Dass „Die Schöne und das Biest“ abgesehen von dem kurzen Intermezzo zwischen LeFou und Gaston am Ende doch nur brave heteronormative Unterhaltung bietet – geschenkt. Auch in Russland wird der Film nach einigem hin und her nun in die Kinos kommen, allerdings mit der Freigabe „ab 16“. Womit sich die These, es gebe keine schlechte Publicity, erneut bestätigt.

Märchen sind die neuen Blockbuster

„Die Schöne und das Biest“ belegt vor allem eins: Disneys Strategie der Diversifizierung ist seit jeher Teil des Geschäftsmodells. 2015 kündigte Disney-Präsident Robert Iger erstmals eine Reihe von Realfilmadaptionen populärer Animationsfilme aus der letzten „goldenen Zeichentrick-Ära“ in den neunziger Jahren an. Damals hatte Disney unter Michael Eisner den klassischen Kanon noch einmal mit Klassikern wie „Arielle die Meerjungfrau“, „Mulan“, „König der Löwen“ und „Aladdin“ bereichert.

„Die Schöne und das Biest“ ist die erste Neuverfilmung aus dieser sogenannten Disney-Renaissance und er folgt in der irren Erfolgsspur von „Alice in Wunderland“, „Maleficent“ und „The Jungle Book“, die weltweit jeweils über eine Milliarde Dollar einspielten. Kulturelle und ökonomische Vielfalt gehen bei Disney Hand in Hand.

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Die Entscheidung, den eigenen Zeichentrickkatalog erneut zu verwerten, verspricht doppelten Ertrag. Der Rückgriff auf bekannte Stoffe, die dem Disney-Repertoire durch frühere Adaptionen ohnehin schon einverleibt sind, weckt die Nostalgie eines der Zielgruppe längst entwachsenden Publikums (die diese popkulturelle Erinnerung wiederum der nächsten Generation vermacht haben), die überfällige Modernisierung des Stoffes ist dem technischen Begriff des „Reboot“ gewissermaßen eingeschrieben.

Die Logik hinter dieser Verwertungskette ist verblüffend. Die computergenerierten Animationen von Pixar, ebenfalls eine Tochter des Disney-Konzerns, lösten mit dem Erfolg von „Toy Story“ Mitte der neunziger Jahre sukzessive die klassische Zeichentricktechnik ab, gleichzeitig emulierten die Bilder dank immer besseren CGI-Technik (computer generated images) eine naturalistische Ästhetik.

Monolithen der Popkultur

Heute, da Rechnerleistungen, was Bildtiefe und -details der Animationen angeht, immer weniger Innovationsspielräume bieten, kehrt der Animationsfilm konsequenterweise zum Realfilm zurück (nicht ohne Hilfe von CGI-Technik). Die Folgen ließen sich schon an „The Jungle Book“ beobachten. Balu, Baghira und Shir Khan wirkten gerade naturalistisch genug, um die Illusion glaubwürdig zu machen, doch ihnen fehlt das letzte Quäntchen Realismus, so dass sich beim Anblick der sprechenden Tiere ständig ein latentes Unbehagen einstellt. In der Robotik nennt man dieses Paradox uncanny valley.

Mit der Ankündigung, einen Großteil des Zeichentrickkatalogs durch Realverfilmungen erneut in die Wertschöpfung einzuspeisen, erschließt Disney das letzte asset seines umfangreichen Portfolios. Dieses expandierte seit der Übernahme von Robert Iger im Jahr 2005 zu einem Monolithen der Popkultur. Durch die Einverleibung von Pixar (2006), Marvel (2009) und Lucasfilm (2013) ist Disney heute der umsatzstärkste amerikanische Unterhaltungskonzern, der die Lizenzen für die kommerziell erfolgreichsten Franchises besitzt. Die Kinoauswertung macht längst nicht mehr das Hauptgeschäft aus. Disneys Finanzchef Jay Rasulo erklärte dem „Wall Street Journal“ vor einigen Jahren, dass „jeder Aspekt des Konzerns an Marken und Franchises ausgerichtet ist“.

Die Strategie ist ganz im Sinne Walt Disneys, der früh ein Geschäftsmodell umsetzte, das ihm nicht nur die künstlerische Kontrolle über die Produktion, sondern auch die ökonomische Kontrolle über die Verwertungskette sicherte. Die ikonischen Mickey-Mouse-Ohren prangten damals auf allen möglichen Merchandise-Produkten. Ihnen verdankten die Walt Disney Studios, wie die Firma damals noch hieß, ihren hohen Wiedererkennungswert. Das Image ist das Produkt.

Die Disney-Idee eines Familiengefühls

Im Zentrum dieser vertikal integrierten Unternehmensstruktur standen von Anfang an die Disney-Figuren als gut geölte Geldmaschine – heute kommen die Charaktere der „Star Wars“-Filme und aus dem Marvel-Universum dazu. Mit der Animationsklitsche von damals hat die globale Unterhaltungskrake nichts mehr gemein. Walt Disney entwarf in den fünfziger Jahren eine Unternehmenstheorie, die 1971 zur Eröffnung des ersten Freizeitparks in Florida führte. Diese Parks und Resorts, von denen es heute weltweit elf gibt, erzielen etwa ein Drittel des jährlichen Umsatzes. Sie sind die perfekte Verkörperung der Disney-Idee eines allumfassenden Familiengefühls.

Insofern überrascht es nicht einmal, dass Disney mit „Die Schöne und das Biest“ und „Maleficent“ gerade wieder sein traditionelles Kerngeschäft, den Märchenfilm, entdeckt. Die Figuren und Geschichten sind bereits fest in die Freizeitparks integriert. Die Hauptmarke Disney hat in den letzten Jahren unter dem Erfolg der kassenträchtigeren Labels Star Wars, Pixar und Marvel arg gelitten. Die Freizeitparks sind mit ihren unterschiedlichen Themenwelten der letzte Ort, an dem die einzelnen Marken im Disney-Portfolio noch zusammenfinden. Im Kino führen die Franchises dagegen längst ein (durchaus lukratives) Eigenleben.

Disneys Nostalgie-Offensive hat gerade erst begonnen. Derzeit sind neun Filme in Planung, darunter die Realverfilmung des Klassikers „Dumbo“. Tim Burton soll dem fliegenden Elefanten – und Disneys Geschäften – Flügel verleihen.

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