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Kultur: Die schöne Lust der Anarchie

Jagd nach Schmetterlingen: Der georgische Filmregisseur und stoische Skeptiker Otar Iosseliani feiert seinen 70. Geburtstag

Seine Filme sind wie Schmetterlinge, aber Vorsicht, sie setzen sich auch auf die Blumen des Bösen. Doch die Poesie des Herzens und die Prosa der Verhältnisse, nach Hegel das Grundthema der Kunst, stoßen sich in seinen bislang neun Spielfilmen hart im Raum.

Beinahe wäre Otar Iosseliani, der heute seinen 70. Geburtstag feiert, Matrose geworden. 1961, als sein Abschlussfilm „April“ am Moskauer WGIK, wo der Georgier bei Alexander Dowshenko das Regiehandwerk lernte, nirgendwo gezeigt werden durfte, heuerte er auf einem Schiff an. Mit einem Kurzfilm, der vorgibt, die Welt der Arbeit zu besingen, in Wahrheit aber in den Stahlwerkern von Rustawi Spaßvögel erkannte („Die Gießerei“), meldete er sich drei Jahre später zurück. Zwischen 1966 bis 1976 schuf er, fern von Moskau, jene georgische Trilogie, die den Namen Iosseliani an den Festivalhimmel von Cannes und Berlin schrieb: „Blätterfall“, „Es lebte einmal eine Singdrossel“, „Pastorale“. Ihr Stil passte gut in eine Zeit, wo der Einzelne, in Prag wie Paris, das Bedürfnis nach Freiheit wiederentdeckte. In der DDR, wo der Film im Kino lief, löste die „Singdrossel“ tiefes Nachdenken aus. Ist der Orchestermusiker Ghia zu verurteilen, weil er alles anfängt und nichts zu Ende bringt, oder soll man diesen Taugenichts lieben? Darf man sich von der schönen Lust an der Anarchie anstecken lassen oder bleibt nichts anderes übrig als sich den ehernen Gesetzen des Lebens zu unterwerfen, will man nicht wie Ghia unter die Räder kommen?

Der georgische Regisseur unterwarf sich niemandem, schon gar nicht der sowjetischen Kulturbürokratie, sondern siedelte Anfang der Achtzigerjahre nach Paris über. Beim gründlichen Rundumblick geriet der Emigrant schnell über das in den freien Lebensverhältnissen tickende Uhrwerk ins Lachen. „Favoriten des Mondes“ von 1984 preist die Ungebundenheit der Diebe, registriert mit Sympathie gewisse anarchistische Anschläge auf das System und gießt Spott über eine Bourgeoisie aus, die den Besitz eines kostbaren Sèvre-Tafelgeschirrs verspielt.

Im vergleichsweise angenehmen Westen sah der stoische Skeptiker die Abenddämmerung heraufziehen. Japanische Bankiers und neureiche Russen übernehmen die Chateaus, und niemand pflegt mehr die „Jagd nach Schmetterlingen“, wie er seinen schönen Film von 1992 um zwei alte Schlossdamen nannte. 1996 folgte die Abrechnung mit der Diktatur des Georgiers Stalin: „Briganten. Kapitel VII“. Das System funktioniert wie eine geölte Maschine, auch die Folterungen, der Verrat an der eigenen Familie. Die böse Schärfe des Films soll Iosseliani manche linke Freundschaft gekostet haben. Der von Kriege und Unterdrückung erfüllten Geschichte Georgiens hatte er schon 1994 eine vierstündige Dokumentation gewidmet.

„Georgien ist ein Traum. Es existiert gar nicht“, sagte der Regisseur vergangenen Herbst bei der Retrospektive seiner Arbeiten auf dem Filmfestival von Thessaloniki. Für „Georgien“ könnte er die Wörter „Poesie“ oder „Freiheit“ einsetzen. Im vorerst letzten Film „Montag Morgen“ von 2002 beschließt ein in der französischen Provinz lebender Georgier eines Tages, statt wie gewohnt in die Fabrik zur Arbeit lieber nach Venedig zu fahren. Dort erleichtert man ihn zwar um sein Geld, und mittellos kehrt der Mann nach Hause zurück. Aber er hat sich einen Traum erfüllt, und das Leben geht nun weiter: eine ebenso treurige wie tröstende Botschaft.

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