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Nixenblick. Jenny König, Jahrgang 1986, spielt an der Schaubühne gleich zweimal die Ophelia.

© Doris Spiekermann-Klaas

Die Schauspielerin Jenny König: Die Untergeherin

Was macht Ophelia, wenn Hamlet nicht da ist? Jenny König spielt an der Schaubühne erneut Hamlets lebensmüde Ex. Ein Treffen vor der Premiere.

Für eine Wasserleiche sieht sie ausgesprochen blühend aus. Zierlich, aber zielstrebig stapft sie durch die weiße Leere des Foyers der Schaubühne. Dann steht sie da und hebt das von der Bühne wohlbekannte Stummfilmgesicht. In der Schaubühnen-Inszenierung von Shakespeares „Hamlet“ ist Jenny König vier Köpfe kleiner als Lars Eidinger in der Titelrolle und doch weist alles an ihr nach oben: Augenaufschlag, Nasenflügel, Wangenknochen, der Schwung der schmalen Oberlippe. Im Verein mit blasser Haut und rotblondem Wallehaar ergibt das eine idealtypische Ophelia. Die berühmteste Wasserleiche der Theatergeschichte, die Jenny König bereits im „Hamlet“ und ab dem heutigen Dienstag auch in dem Stück „Ophelias Zimmer“ von Alice Birch und Katie Mitchell spielt.

40 Mal hat Jenny König die Figur an der Schaubühne schon gespielt

Das muss doch schmerzen, dieses ewige Untergehen. Dieses Versinken, Verschwinden, dem Tod und den Kräften der Natur dahingegeben. Entfremdet dem Geliebten, den Menschen, auf ewig nur als hingebungsvolle entseelte Liebende bekannt. Jenny König winkt ab. „Sieht brutaler aus, als es ist“, sagt sie über ihren nur vermeintlich feuchten Tod, der im „Hamlet“ hinten auf der Bühne unter Folien inszeniert und per Videogroßprojektion übertragen wird – mit vom Plastik verzerrten Gesichtszügen. Ein bei Shakespeare sonst unsichtbarer, nur berichteter Theatertod, der seit Jahrhunderten die Fantasie beflügelt. Die des Publikums, aber vor allem die von Malern und Lyrikern.

Seit September 2014 spielt Jenny König die Ophelia, rund 40 Vorstellungen bislang. Sechsmal habe sie die Inszenierung von Thomas Ostermeier gesehen, seit sie 2011 vom Nationaltheater Mannheim in das Ensemble der Schaubühne wechselte, erzählt sie, und immer gedacht, „so eine geile Show!“. Vier Jahre später war sie dann selber dabei, als Nachfolgerin von Judith Rosmair. „Wow!“, freut sich Jenny König. Dass die 1986 in Eisenach geborene und aufgewachsene Schauspielerin längst ein wichtiges Mitglied des Schaubühnen-Ensembles ist, kommt ihr selbst immer noch erstaunlich vor. Wo doch dieses das Haus ist, an das sie unbedingt wollte, nachdem sie im Fernsehen die „Hedda Gabler“-Inszenierung von Ostermeier mit Katharina Schüttler in der Titelrolle sah. „Da wusste ich, das ist mein Theater!“

Jenny König in "The Forbidden Zone", inszeniert von Katie Mitchell für die Salzburger Festspiele 2014.
Jenny König in "The Forbidden Zone", inszeniert von Katie Mitchell für die Salzburger Festspiele 2014.

© dpa

Wie sie da so im Café sitzt, ist sie ganz Körperspannung gewordene Begeisterung. Da ist es passend, von „Show“ zu sprechen statt von „Vorstellung“. Ihre durch die eben absolvierte achtstündige Probe auf Deutsch und Englisch getrimmte Sprache ist prononciert, der Blick konzentriert. Das Tassengeklapper und Wortgeschepper der Theatergänger, die auf den Einlass zu einer Vorstellung warten, lenkt sie kein bisschen ab. Im wirklichen Leben wie auf der Bühne wirkt ihre Blässe mal anrührend durchlässig wie als unglücklich liebende Ophelia oder kühl und beherrscht wie als Königin Gertrud.

Im „Hamlet“ verkörpert König beide in einer Doppelrolle, was ihr eine kontrastreiche Bühnenpräsenz beschert. Als junge Naive, die sich aus verschmähter Liebe dem suizidalen Wahn ergibt, will sie sich als Hamlets Ex nicht verstanden sehen. Auch wenn sie in der Theaterzeitung wie das von Ophelia inspirierte romantische Ideal der schönen Wasserleich’ posiert: auf türkis gemaltem Wasserspiegel ruhend, umflossen von rotem Meertang aus Haar. „Nur weil Ophelia wirklich liebt, ist sie weder schwach noch naiv.“

Ophelia soll immer vor allem schön sein. Das ärgert Jenny König

Aber ohne eine Chance, aufzubegehren, der väterlich-brüderlichen Hierarchie von Polonius und Laertes ausgeliefert, das ist sie schon. Und mit Hamlets frauenverachtender Gewalttätigkeit konfrontiert, seinem lauten Wahnsinn, an dem sich ihre leise Verzweiflung bricht. Die Ophelia als jungfräuliches Opfer, als liebeskranke Hysterikerin, aber auch als erotische Amazone und in der Natur aufgehende Todessehnsüchtige – das sind populäre Motive der Kulturgeschichte. Besonders im Fin de Siécle entstand ein richtiger Opheliakult. Bis heute wird um die weibliche Wasserleiche viel ästhetischer und philosophischer Lärm gemacht, wie die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen feststellt, die sich in ihrem Buch „Nur über ihre Leiche. Tod, Weiblichkeit und Ästhetik“ ausführlich mit der Figur befasst hat. Und Jenny König erzählt empört, dass ein britischer Kritiker über eine „Hamlet“-Inszenierung mit Benedict Cumberbatch jüngst geschrieben habe, die Ophelia sei nicht schön genug und folglich nicht gut.

Regisseurin Katie Mitchell will den Mythos Ophelia freilegen

All das wollen die britische Regisseurin Katie Mitchell und ihre Dramaturgin Alice Birch über Bord werfen. „Wir wollen die Ästhetisierungen, Glorifizierungen, die Aufladungen des Mythos freilegen“, sagt Jenny König, „und uns fragen: Wie verlebt der Charakter Ophelia seine Tage?“ Gerade dann, wenn keiner, vor allem kein Hamlet, guckt. Klingt ein bisschen wie das Prinzip „Rosenkranz und Güldenstern sind tot“, aus dem Tom Stoppard bereits in den Sechzigern eine quicklebendige, für die Hamlet-Nebenfiguren leider unverändert tödlich ausgehende Farce gezimmert hat. Jenny König nickt. Die Assoziation sei schon möglich, auch wenn die Ergebnisse der Versuchsanordnung ganz unterschiedlich ausfallen. An Ophelias Ende ändert sich allerdings auch bei Mitchell nichts. Auch wenn sie vorher in mehr als hundert Miniepisoden von der Last des männlichen Blicks befreit wird, wie es Spezialität der auf feministische Perspektiven geeichten Regisseurin ist.

Mit der erklärten Gesellschaftskritikerin hat Jenny König bereits mehrfach gearbeitet – in den Inszenierungen „Atmen“ und „The Forbidden Zone“. Weil sie beide Feministinnen sind? König schüttelt den Kopf. „So bezeichne ich mich nicht, aber ich teile Mitchells Ansichten.“ Und sie teilt die Sehnsucht jeder Zuschauerin, die will, dass es endlich mal ein Ende hat mit Ophelias hehrer Duldsamkeit. Ihre Verwandlung in eine Kämpferin wie Jeanne D’Arc, das wär’s doch! Jenny König reißt den Schwertarm hoch. „Den plakativen Befreiungsschlag wünscht man sich.“ Erst im zweiten Schritt hat sie begriffen, dass es Mitchells Strategie der Irritation entspricht, genau den zu unterlassen. „Sehr viele Frauen, die Gewalt ausgesetzt sind, tun nichts dagegen – gerade diese Passivität macht wahnsinnig.“

Die zweite Klingel ruft zur Vorstellung. Plötzlich ist das Theatercafé menschenleer. Die Stille steckt an. Jenny König hat alles gesagt. Kühl weht Zugluft durchs Foyer und nimmt das verheißungsvoll im Raum stehende Bild einer Ophelia mit der erhobenen Faust mit. Die Tür zu Saal A steht offen. Dort wird ein Wassertank auf die Bühne gebaut.

„Ophelias Zimmer“: 8./9.12., 14.-16.12.; „Hamlet“: 31.12. und 2.-3.1.16

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