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Wenn’s denn sein muss. Der führende Akademie-Maler Ilja Repin porträtierte 1895 Zar Nikolaus II.

© Staatliche Eremitage, St. Petersburg

Die Romanows und die Revolution: Der Zar, der keiner sein wollte

100 Jahre Russische Revolution: Die Eremitage Amsterdam zeigt den Untergang des Hauses Romanow in einer kulturhistorischen Ausstellung.

Geschichte erschließt sich von ihrem Ende her. Die Nachgeborenen sind immer schlauer. Die Ausstellung, die die Amsterdamer Dependance der Petersburger Eremitage zum Schlusskapitel der Zarenherrschaft unter Nikolaus II. zeigt, kulminierend in der doppelten Revolution des Jahres 1917 und der Ermordung der Zarenfamilie im Jahr darauf, liefert dazu ein Paradebeispiel.

Denn der Untergang des 300 Jahre lang herrschenden Hauses Romanow unter seinem letzten Kaiser, dem 1894 inthronisierten Nikolaus II., ist so folgerichtig wie nur wenige Hauptereignisse der Weltgeschichte – weit zwingender als die Machtergreifung der Bolschewiki, unter deren Gewehrkugeln und Bajonetten die längst entmachtete Zarenfamilie in Jekaterinburg in der Nacht vom 16. auf den 17. Juli 1918 buchstäblich verreckte.

Die brutale Mordaktion hat jedenfalls in westlich-antikommunistischer Betrachtungsweise die späte Zarenherrschaft stets etwas verklärt. Ältere werden sich noch der immer wieder aufflammenden Gerüchte um eine angeblich lebende Zarentochter Anastasia erinnern, die erst nach der Exhumierung der verscharrten Leichen 1991 durch DNA-Tests als Fantasterei entlarvt werden konnten. In der Amsterdamer Ausstellung bestürzen Objekte wie das letzte Tagebuch der Kaiserin Alexandra Fjodorowna, aufgeschlagen mit der Eintragung vom Vortag ihres Todes, oder eines der Bajonette, mit dem die bereits am Boden liegenden Kinder des Zaren erstochen wurden. Derlei präsentiert die Ausstellung nicht als Schockeffekt, sondern als unvermeidliche Dokumentation.

Nikolaus II. ließ alles geschehen

Überhaupt ist diese eher kulturhistorische Ausstellung mit knapp 400 Objekten aus den unerschöpflichen Sammlungen des Petersburger Stammhauses wie auch des Staatsarchivs der Russischen Föderation und anderer Institutionen wirkungsvoll inszeniert. Das Gegengewicht zu den Preziosen und Luxusgegenständen, die über weite Strecken den Eindruck bestimmen, bilden die Fotografien, die die historische Realität in die Feenwelt der abgeschirmten Zarenfamilie hineintragen. Unabdingbar ist der reich illustrierte Katalog, der die gebotene Information zu den Objekten und zum Gang der Ereignisse liefert.

Nikolaus II. und seine innig geliebte, willensstarke und doch mit fürchterlichen Folgen beeinflussbare Ehefrau, die Kaiserin Alexandra Fjodorowna, eine gebürtige Prinzessin von Hessen-Darmstadt, sind das erste Herrscherpaar der russischen Autokratie, deren Leben beinahe lückenlos fotografisch dokumentiert wurde. Doch anders als ihr deutscher Verwandter, Kaiser Wilhelm II. – ein Vetter des Zaren–, nutzten sie die neuzeitlichen Medien nicht und schon gar nicht offensiv zur Propaganda. Sie ließen es eher geschehen, wie Nikolaus überhaupt alles geschehen ließ.

Er handelt erst, als er im Krieg allein über Wohl und Wehe des Landes entscheiden muss – und entscheidet sich grundsätzlich, beinahe tragisch schon für das Falsche. So, als er sich im Weltkrieg zum Oberkommandierenden der Armee macht und sich fortan den Schlachtenverlauf persönlich anrechnen lassen muss. Was nach dem Scheitern der zunächst erfolgreichen Brussilow-Offensive 1917 zu jener unaufhaltsamen Abwärtsspirale führt, in der die Macht der russischen Autokratie auf geradezu lächerliche Weise zerbröselt. Als die Februarrevolution ausbricht, noch von gemäßigten Monarchisten eingeleitet und befördert, ist der Zar nicht in Petrograd, wie die Stadt im Kriege seit 1915 heißt, sondern sitzt in seinem persönlichen Eisenbahnzug fest. Die Ereignisse rollen über ihn hinweg.

Der Wunderheiler Rasputin soll's richten

Vom Ende her gesehen, wirken dann all die Amsterdamer Vitrinen mit kostbaren Kleidern – wie sorgsam doch alles bewahrt wurde! –, mit Schmuck, prächtigen Uniformen, mit all dem Nippes, den sich Fürstens so schenkten, wie eine einzige, missglückte Operettenaufführung.

Allerdings hatte es das Schicksal nicht gut gemeint mit dem jungen Nikolaus, der ums Verrecken nicht Zar werden wollte, nachdem sein Vater Alexander III. zeitgleich mit der eigenen Liebesheirat verstarb und schon von diesem Moment an verächtliche Sprüche im Volk kursierten. Und dann kam, nach vier bildhübschen Töchtern, 1904 endlich der ersehnte Thronfolger zur Welt – und Alexej war Bluter, von der Natur daran gehindert, jemals ein Amt, schon gar das des Kaisers zu bekleiden. Das will die Mutter, seit ihrer hessischen Jugend „Alix“ genannt, um keinen Preis wahrhaben.

Ihre bemerkenswerte Energie richtet sie darauf, den Jungen doch noch fit zu bekommen für die erhoffte Thronfolge, und mit dieser idée fixe verfällt sie einem plötzlich auftauchenden sibirischen Wanderprediger, dem als ur-russischen „Heiligen“ verehrten Rasputin. Einen größeren Gegensatz zur verfeinerten Hofgesellschaft von Sankt Petersburg, dieser unrussischsten aller Städte, als den groben, schmutzigen, ausschweifenden Rasputin kann man sich gar nicht vorstellen.

Ein melancholischer, teilnahmsloser Gesichtsausdruck

Die Fotografien des Mannes mit dem stechenden Blick schrecken den heutigen Betrachter ab, doch die Damen der Gesellschaft verfallen ihm reihenweise – und nicht alle nur im Geiste. Böse Gerüchte sogar über die Zarin machen die Runde. Ob die Ereignisse tatsächlich so verliefen, wie sie der englische Erfolgs-Historiker Simon Sebag Montefiore in seinem grandiosen Sittenbild „Die Romanows“ (2016) ausgemalt hat, mag dahingestellt bleiben; hier wie in allem zeigt sich die Amsterdamer Ausstellung als wohltuend nüchterne, im besten Sinne aufklärerische Veranstaltung.

Kriege und Revolutionen kann man nicht ausstellen, es bleiben immer nur die Begleitobjekte, vor allem die der Propaganda. Russland verliert 1905 überraschend den Krieg gegen die aufstrebende Seemacht Japan, nachdem es schon im Januar zum fürchterlichen „Blutsonntag“ mit Hunderten von Toten gekommen war – ein böses Omen in der an bösen Omen so reichen Biografie des Zaren. Ihm klebt buchstäblich das Pech an den Füßen.

Und immer wieder sucht er sich, unter Rückgriff auf die glanzvolle Tradition des Zarentums, zu inszenieren, gerne auch in – erschreckend mediokren – Gemälden. Doch der melancholische, bisweilen auch nur teilnahmslose Gesichtsausdruck auf eigentlich allen Fotos verrät die als untragbare Last empfundene Bürde des Amtes. Ihr entflieht die Familie, wo sie nur kann, am liebsten auf die Krim; die Töchter kommen überhaupt nie in ihrem kurzen Leben mit russischer Realität in Kontakt. Der stets vom Krankheitstod bedrohte Zarewitsch wird immerhin an die Weltkriegsfront geschleppt, um so etwas wie die Kontinuität der Monarchie zu simulieren, einer Monarchie, von der die Großfürsten am Hofe schon 1914 fürchten, ja wissen, dass sie dem Untergang geweiht ist. Alle außer dem Zaren selbst wissen es.

Die Dynastie auf dem Weg in den Abgrund

Ein kleines Kapitel ist dem Schicksal der Eremitage gewidmet, die ja ursprünglich nur den musealen Annex zum Winterpalast bildet, aber nach und nach den ganzen gewaltigen Gebäudekomplex meint. Kunstwerke wurden evakuiert, die linksbürgerliche Regierung der Februarrevolution zieht ein; bis die Bolschewiki ihren Staatsstreich starten und sich in den endlosen Weinkellern besaufen.

Den Pseudo-Mönch Rasputin hatten Attentäter aus höchsten Kreisen bereits Ende 1916 ermordet. So dilettantisch- brutal, wie später der Mord an der Zarenfamilie verübt wurde. Doch genützt hat es nichts mehr, den im ganzen Land verhassten Einflüsterer und Quacksalber zu beseitigen. Es war, wie immer in der Regentschaft Nikolaus’, too little too late. Von der Thronbesteigung des 26-Jährigen im Jahr 1894 an war die Dynastie auf dem Weg in den Abgrund, und nie hat man während der Chronologie der Ausstellung auch nur den leisesten Eindruck, dass es anders hätte kommen können.

Hermitage Amsterdam, bis 17. September. Tgl. 10-17 Uhr. Katalog (ndl. oder engl.) 29,80 €.

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