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Rock den Fidel. Ronnie Wood, Mick Jagger, and Keith Richards beim Rolling-Stones-Konzert in Havanna.

© Alejandro Ernesto/dpa

Update

Die Rolling Stones auf Kuba: Obama war nur die Vorgruppe

Das sozialistische Kuba gibt es zwei Jahre länger als die Rolling Stones: Jetzt trat die Band erstmals in Havanna auf.

Natürlich ist dies kein normales Konzert. „Hier sind wir endlich“, ruft Mick Jagger auf Spanisch ins Mikrophon und die schier endlose Menge jubelt ihm zu. Die Betonung liegt auf endlich. Die Rolling Stones in Havanna! „Unter Fidel hätte es das nicht gegeben“, sagt der Nebenmann im Publikum beim Warten auf den Konzertbeginn. Die Stones durften auf Kuba bis in den Siebzigerjahre nicht gespielt werden, galten wie auch die Beatles als subversiv. Jugendliche, die ihre Haare über die Ohren trugen oder sich ungewöhnlich kleideten, wurden von Fidel Castro als antisoziale Elemente beschimpft, landeten sogar in Umerziehungslagern. Aber die bleiernen Zeiten sind vorbei.

Nicht mehr der strenge Fidel, sondern sein jüngerer Bruder Raúl hat heute auf Kuba das das Sagen. Der gilt als offener, entspannter, witziger. Und er verhandelt mit den USA über das Ende des Handelsembargos, das Washington vor mehr als einem halben Jahrhundert über Kuba verhängte und das auch Künstler und Kulturgüter betrifft. Das Stones-Konzert ist deswegen auch nicht zu denken ohne das andere Weltereignis dieser Woche in Havanna. Barack Obama besuchte Kuba, als erster amtierender US-Präsident seit 1928. Er versprach das Ende des Embargos und beeindruckte die Kubaner durch seine klare, zugewandte Art und die selbstironischen Sketche, die er mit dem Komiker Pánfilo aufnahm. Kulturdiplomatie. Einige scherzen nun an diesem schwülen Freitagabend schon, dass Obama nur die Vorgruppe von Jagger & Co gewesen sei.

Den ganzen Karfreitag über sind Menschen auf eine Freifläche in Havannas Ciudad Deportiva geströmt. Es ist ein weitläufiges Areal mit verschiedenen Sport- und Trainingsstätten. Die Menschen haben sich auf der Wiese vor der Bühne zum Picknick niedergelassen. Alkohol ist verboten, Polizisten beschlagnahmen die eine oder andere Flasche Rum. Auch Essen gibt es außer Mais- Chips und Popcorn nicht zu kaufen. Als Toiletten dienen je vier rostige Metallwände, die man über die Gitter der Wasserabflüsse in den umliegenden Straßen gestellt hat.

Es ist das meistbesuchte Konzert in der Geschichte Kubas

Als die Stones ihr Set mit „Honky Tonk Woman“ eröffnen, stehen mindestens eine halbe Millionen Menschen vor ihnen. Es ist es das wohl meistbesuchte Konzert in der Geschichte Kubas. Die Show ist gratis – kaum ein Kubaner hätte sich Eintrittskarten leisten können, die anderswo um die 200 Dollar kosten. Familien sind hier, Senioren und all die Subkulturen, die es heute auf Kuba gibt. Am auffälligsten die Punks mit ihren spektakulären Irokesenschnitten. Es darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass auf Kuba unbequeme Künstler immer noch drangsaliert werden, wie etwa Gorki Águila, Frontmann der Punkrock-Band „Porno para Ricardo". Er steht unter Hausarrest.

Dennoch hat dieses Konzert nichts mehr zu tun mit dem berüchtigten Auftritt von Billy Joel und Kris Kristofferson, die 1979 im Karl Marx Theater ausschließlich vor Parteikadern und Mitgliedern kommunistischer Jugendorganisationen spielten. Wer allerdings heute die Jugendlichen fragt, welche Songs sie von den Stones kennen, erhält als Antwort: keinen einzigen. Sie würden sich besser mit Beyoncé und Jay-Z auskennen. Beide spielten schon auf Kuba. Nicht nur deswegen ist die Behauptung Unsinn, Kuba würde sich mit den Stones kulturell endlich der Welt öffnen. Das Land hat selbst weltberühmte Tänzer, Ballerinen, Musiker und Schriftsteller hervorgebracht.

Zwei Phänomene kommen zusammen. Das sozialistische Kuba und die Rolling Stones. Sie haben eins gemeinsam: erstaunliche Langlebigkeit. Als die Stones sich 1962 in London gründeten, war die kubanische Revolution zwei Jahre alt und die USA verhängten ein Wirtschaftsembargo über die Insel, um sie zur Aufgabe ihres sozialistischen Kurses zu zwingen. So wie das Ende des Sozialismus auf Kuba ist auch Ende der Stones immer wieder vorhergesagt worden. Bis heute sind beide recht lebendig, stammen für junge Kubaner aber aus einer vergangenen Epoche, deren Auseinandersetzungen und Konflikte sie nicht mehr erlebt haben.

Die vier schlanken Herren in engen Hosen amüsieren sich

Mick Jagger, Ron Wood, Keith Richards und Charlie Watts sind solche Überlegungen eher Schnuppe. Die vier schlanken Herren in den engen Hosen amüsieren sich, jammen von einem erwartbaren musikalischen Höhepunkte zum nächsten. Mick Jagger tigert wie immer ausgelassen, Arme und Beine von sich schmeißend, über die Bühne und flirtet heftig mit seiner schwarzen Backgroundsängerin. Das Konzert wird auf Großleinwände übertragen, das Equipment kam in 61 Containern und einem vollgepackten Jumbojet nach Havanna. Welch Kontrast zur kubanischen Mangelwirtschaft, in der immer noch Menschen für Brot und Eier anstehen und ihre Nahrungsmittelkarten abzeichnen lassen.

Die Rolling Stones sind keine explizit politische Band. Einmal sagt Jagger auf Spanisch: „Ich glaube, die Dinge ändern sich“. Das kann man natürlich verstehen wie man will. Es ist aber klar, dass die Band keiner Zensur unterliegt. Anders als in China, wo sie 2006 in Schanghai spielten und auf Druck der chinesischen Behörden auf „Brown Sugar“ verzichteten. In Havanna spielen sie das Lied über Heroin ohne Probleme.

Als Zugaben dann „You can't always get what you want“ und ein fünfzehnminütig gedehntes „Satisfaction“. Auf dem Nachhauseweg sagt der Taxifahrer in seinem Chevrolet, dass er beide Lieder oft heimlich gehört habe. Damals! Und nun: „Obama und die Stones in einer Woche. Es tut sich was.“ Was genau, das müsse sich erst noch zeigen.

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