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Dürre in Deutschland. Die Landwirtschaft leidet zunehmend unter dem Klimawandel. Der Boden bricht auf.

© Sebastian Gollnow/dpa

Die Party ist vorbei: Was wir aus der Coronakrise für den Klimawandel lernen sollten

Viele Menschen zeigen in der Coronakrise eine starke innere Haltung. Diese Kraft braucht es auch, um die ökologische Katastrophe abzuwenden. Ein Gastkommentar.

Joachim Bauer ist Arzt, Neurowissenschaftler und Sachbuchautor. Zuletzt erschien 2019 bei Blessing „Wie wir werden, wer wir sind“. Er lebt in Berlin, wo er an der International Psychoanalytic University IPU Gastprofessor ist.

Nach langen Wochen beginnen wir vorsichtig und schrittweise mit der Reduzierung der fast vollständigen sozialen Isolation, die sich unsere Gesellschaft auferlegt hat, um die Pandemie unter Kontrolle zu bekommen. Die Disziplin, mit der die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung dieses Landes die notwendigen Einschränkungen mittrug, war beeindruckend.

Lässt sich die innere Haltung, aus Vernunft das Richtige zu tun und sowohl für sich selbst als auch für die Gemeinschaft Verantwortung zu übernehmen, verstetigen? Lässt sich diese Einsicht in den Dienst der ökologischen Bewahrung des Planeten stellen? Auch wenn uns die weitere Beherrschung der Pandemie gelingen sollte, werden wir in keine heile Welt zurückkehren. Der Globus steht am ökologischen Abgrund.

Die ersten Meldungen, die Ende April in den Nachrichten den wieder frei gewordenen Corona-Raum füllten, waren Berichte über die extreme Trockenheit unserer Ackerböden und über Waldbrände, die mittlerweile immer früher im Jahr ihr Unwesen zu treiben beginnen. Jahre bevor sie bei uns ankamen, haben Trockenheit und Dürren Hunderttausenden von Menschen südlich und nördlich der Sahara den Lebensraum entzogen und eine gewaltige Migration in Gang gesetzt.

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Wo es nicht der Klimawandel war, der Menschen ihrer Lebensgrundlagen beraubte, haben menschengemachte Katastrophen – Kriege und Bürgerkriege – nachgeholfen. Wir helfen der Katastrophe auch anderweitig nach. Die immanenten Gesetze unseres Wirtschaftens hatten und haben eine ungebremste weltweite Landnahme zur Folge: Immer mehr Flächen werden, oft unter Vertreibung der indigenen Bevölkerung, für verschiedene Formen der Intensivbewirtschaftung erschlossen.

Hedgefonds investieren zunehmend in landwirtschaftlichen Grund und Boden. Während die Welt sich dem ökologischen Abgrund nähert, leisteten sich – bis die Pandemie der Entwicklung ein vorläufiges abruptes Ende setzte – die westlichen Gesellschaften ein Leben, das man zugespitzt mit dem Verhalten einer außer Kontrolle geratenen Partygesellschaft vergleichen könnte, die den Garten ihres Gastgebers verwüstet hat und wegen Intoxikationserscheinungen in die Klinik eingewiesen werden musste.

Prominente Merkmale unseres Lebensstils sind ein hoher, gesundheitsabträglicher und ein Übermaß an Müll produzierender Konsumlevel, ein überaus umweltbelastendes Mobilitäts- und Reiseverhalten und ein ständiger Zwang, sich mit seinen Konsum-Trophäen in den virtuellen Räumen des Internets darzustellen.

Haben wir – unter erheblichen Opfern – die schlimmsten Folgen der Pandemie abgewendet, nur um jetzt weiterzumachen wie zuvor? Die Begrenzung der Erderwärmung und die Bewahrung unserer Ressourcen an Wasser, Wald, fruchtbaren Böden und Rohstoffen erfordert einerseits eine Ausschöpfung unserer Kreativitäts- und Intelligenzressourcen, andererseits die Fähigkeit zur Selbstbegrenzung.

Hier bedarf es der Bereitschaft, sinnvolle Verzichtsleistungen einzubringen, nicht erzwungenermaßen, sondern freiwillig und guten Mutes, aus der schlichten Einsicht heraus, dass wir damit nichts weniger tun als die Welt zu retten. Besitzt der Mensch dafür natürliche, ihm anthropologisch mitgegebene Anlagen, die sich, wenn das Wohl des Ganzen auf dem Spiel steht, aktivieren lassen?

Eine in den Nach-Darwin-Jahrzehnten auf den Egoismus eingeengte Anthropologie, die in Richard Dawkins’ „egoistischem“ Gen ihre Wiederbelebung fand, hat den Blick auf die Natur des Menschen vernebelt. Die beiden auf das evolutionäre Erfolgsticket unserer Spezies aufgedruckten Destinationen waren Zusammenhalt und Intelligenz.

Die „Partygesellschaft“ ist kein Indikator dessen, was der Mensch seiner biologischen Bestimmung nach ist, sondern ein Beispiel dafür, wie sich menschliche Verhaltensweisen verändern, wenn die neurobiologischen Suchtsysteme stetig angefüttert und angefixt werden.

Wären unsere Vorfahren im Verlauf der Evolution über längere Zeit einer derartigen Versuchung ausgesetzt gewesen, wäre unsere Spezies heute vermutlich nicht mehr Teil des Spiels. Sind wir derzeit dabei, uns selbst aus dem Spiel zu nehmen? Was den Menschen neurobiologisch auszeichnet, ist die soziale Imprägnation seines Selbst. Die neuronalen Netzwerke, die das eigene Ich kodieren, überlappen sich mit Netzwerken, mit denen wir signifikante andere in uns repräsentieren.

Das menschliche Selbst hat den anderen sozusagen immer mit im Gepäck, es ist ein Mehr-Perspektiven-Selbst. Die zur Beherrschung der Pandemie getroffenen Maßnahmen haben uns spüren lassen, welches Elend diejenigen befällt, die von den sozialen Isolationsmaßnahmen besonders hart betroffen waren.

Die Party ist vorbei

Die Fähigkeit des Einzelnen, über den eigenen Horizont hinaus zu erkennen, was für die Gruppe, für die Bewohner eines gemeinsamen Lebensraumes und schließlich für die Menschheit als Ganzes bedeutsam ist, hat einen Namen: Vernunft. Die Motivation, die wir in uns spüren, Dinge zu tun, die der Conditio humana dienlich sind, nannte Immanuel Kant Pflicht.

Unsere Sprache, die von „Pflichtgefühl“ spricht, verrät es: Die Pflicht ist mehr als ein Kind der Vernunft. Wenn wir spüren, dass wir als Gemeinschaft existenziell gefährdet sind, dann wird die Pflicht zur Herzenssache. Nichts anderes ist jetzt der Fall: Der Globus droht uns ökologisch zu entgleiten. Die Party, mit der wir den Garten des Gastgebers zerstört und uns selbst intoxikiert haben, muss jetzt ein Ende haben, nicht weil es uns aufgezwungen wird, sondern weil wir es nicht anders wollen können.

Nur zwei Beispiele: Unser Mobilitätsverhalten braucht einen radikalen „Reset“. Und der massenhafte Konsum von Tieren muss ein Ende haben. Was wir durch unsere fleischlastige Ernährung anrichten, schadet nicht nur dem ökologischen Gleichgewicht unseres Planeten, wir schaden damit auch unserer Gesundheit. Können die Erfahrungen, die wir mit der Pandemie gemacht haben, unser in den letzten Wochen gezeigtes Verantwortungsgefühl über die Zeit der Pandemie hinaustragen?

Joachim Bauer

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