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Alltagsbegleiter. Mit dem Kofferradio wurde der Hörfunk mobil. Das kleinste Gerät, eine sowjetische "Cosmos M" von 1967 wiegt nur 200 Gramm.

© Bert Bostelmann/Bildfolio Frankfurt am Main 2020/MfK

Die "On Air"-Radio-Ausstellung in Berlin: Achtung, Achtung, hier ist die Sendestelle

Der rebellische Akt des Hörens: eine Ausstellung zum 100. Geburtstag des Radios im Museum für Kommunikation zeigt tolle Geräte und aufschlussreiche Zusammenhänge.

Hausaufgaben raus, Radio an? Die Zeiten, in denen Schülernachmittage ohne die Musik des Lieblingssenders nicht denkbar waren, sind lange vorbei. Aber auch in de Streaming-Ära ist das Radio weiterhin beliebt, wegen Corona sind die Einschaltquoten sogar in die Höhe geschnellt. Vorzugsweise gleich nach dem Aufstehen: Erste Besucher der „On Air“-Ausstellung im Berliner Museum für Kommunikation klebten ihre Punkte auf die Rubrik „Küche und Bad“, von „7 bis 9 Uhr“.

Das Radio, ein Alltagsbegleiter, dieses Jahr feiert es seinen 100. Geburtstag. Am 22. Dezember 1920 schickte die Hauptfunkstelle Königs Wusterhausen erstmals ein Weihnachtskonzert in den Äther. Von wegen „Stille Nacht“, ein Ausschnitt aus der Schepper-Musik ist über Kopfhörer abrufbar, auch über den transportablen „On Air“-Taschenempfänger oder in der Mediathek, zugänglich per QR-Code. Ein Foto zeigt, dass die Reichspostbeamten für die ersten Sonntagskonzerte persönlich zu den Instrumenten griffen. Bis zum regelmäßigen Sendebetrieb am Potsdamer Platz – „Achtung, Achtung, hier ist die Sendestelle im Vox-Haus auf 400 Meter“ – sollte es aber noch drei Jahre dauern.

Die Jubiläumsschau mit Themen-Vitrinen, Hörstationen, leider etwas kleinteiligen Begleittexten und einem Autoradio-Sitzplatz mit Mundart-Tönen von Karl Valentin bis zu den Hesselbachs ist zu 95 Prozent aus eigenen Museumsbeständen bestückt.

Sie versteht sich aber weniger als Chronik der Radio-Geschichte mit ihren immer schlankeren Gerätschaften, vom saalgroßen Sender mit Marmorstellwänden, Messingdrehrädern, mannshohen Röhren und Spulen bis zum Apparat in Handtaschenformat, wie er heute in Krisengebieten eingesetzt wird. Was auf Empfängerseite dem Wandel vom massenhaft vertriebenen Volksempfänger der Nazis über die Phonomöbel der Wirtschaftswunderzeit und das Kofferradio bis zur virtuellen Handy-App entspricht.

Propaganda für die "Goebbels-Schnauze": Mädchen in Uniform mit Volksempfänger, dem Massenkommunikationsmittel der Nazis.
Propaganda für die "Goebbels-Schnauze": Mädchen in Uniform mit Volksempfänger, dem Massenkommunikationsmittel der Nazis.

© Museumsstiftung Post und Telekommunikation

Die Radio-Sportreporter Bernhard Ernst (l.) und Franz Peter Brücker, Köln 1929.
Die Radio-Sportreporter Bernhard Ernst (l.) und Franz Peter Brücker, Köln 1929.

© Museumsstiftung Post und Telekommunikation

Die Organisatoren wollen die Ausstellung „On Air“ vielmehr als Parcours durch das Jahrhundert eines Mediums verstanden wissen, das wegen seiner simplen Technik das Zeug zum basisdemokratischen Kommunikationsmittel hatte, anders als das Fernsehen, und deshalb schon immer vom Staat vereinnahmt wurde. „Radiohören war so gut wie nie unreglementiert und nie kostenlos“, erklärt Ausstellungskurator Florian Schütz. Beim Rundgang verweist er auf die Gegenbewegung, ebenfalls von Anfang an: Noch heute basteln gerade Jungs und Männer selber gerne kleine Empfänger, in der Ausstellung ist eine Adventskalender-Bastelanleitung von 2019 zu sehen. Solche Heimwerker-Baukästen gab schon in der Weimarer Republik.

Detektorenempfänger in einer Zigarettenschachtel, um 1925.
Detektorenempfänger in einer Zigarettenschachtel, um 1925.

© Museumsstiftung Post und Telekommunikation

Im Zuge der Novemberrevolution wurde Radio-Basteln zum subversiven Akt, bald störten sich die Arbeiter-Radio-Bünde am Untertanengeist des Reichspost-Hörfunks. Es gab regelrechte Kämpfe um das junge Medium. In der NS-Zeit setzte sich das fort, mit „Feindsender“-Hören und nervtötenden Störsender-Geräuschen als Gegenmaßnahme sowie niedlicher Zeichentrick-Propaganda: Die Volksempfänger-Armee marschiert in die „Schlacht um Miggershausen“. Andershörende wurden verhaftet, ja sogar hingerichtet. Eins der erschütterndsten Exponate: ein Schuhputzeimer aus dem KZ Buchenwald, den Häftlinge mit heimlich beschafften Volksempfänger-Teilen zum Empfangsgerät umfunktionierten.

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Die Obrigkeit kontrolliert, was die Leute hören sollen, aber die Leute hören, was sie wollen: So ging es auch nach 1945 weiter. Weil der Besitz von Röhrenradios nur mit Bezugsschein der Alliierten erlaubt war, wurde der röhrenlose „Heinzelmann“-Bausatz von Grundig zum Verkaufsschlager - für die Röhren konnten die Leute sich bei den jetzt unbeliebten Volksempfängern bedienen. Gezerre gab es auch um Hans Poelzigs Haus des Rundfunks in der West-Berliner Masurenallee, das in der britischen Besatzungszone unter sowjetischer Regie bis 1950 für den (Ost-)Berliner Rundfunk geführt wurde. „Der Rias lügt, die Wahrheit siegt“, stand auf DDR- Gebührenbescheinigungen. Einmal mehr war das Radio Hoffnung und Gefahr, drohte es doch Grenzen zu sprengen. Co-Kuratorin Anne-Sophie Gutsche spricht vom „Kalten Krieg im Äther“.

Ein Radio in Urnen-Form, es gibt viel zu bestaunen

Zum Publikumsmagneten dürfte die interaktive Vitrine mit 37 kuriosen und coolen Gerätschaften taugen, die von prominenten Radiostimmen und Podcast-Stars vorgestellt werden. Da ist der Perlmuttblumen-Lautsprecher aus den 1920ern, der berühmte Braunsche „Schneewittchensarg“, die HiFi-Stereobar von Wega, Radios im Maggiflaschen- oder im Urnen-Design, eine fantastische Kollektion.

Radios in Urnen-Form, auch das gab's schon.
Radios in Urnen-Form, auch das gab's schon.

© Bert Bostelmann/Bildfolio Frankfurt am Main 2020/MfK

Auch die Produktionsseite kommt nicht zu kurz. Der SWR hat einen ausrangierten analogen Magnetophon-Schneideplatz ausgeliehen, die Bundesliga-Konferenzschalte wird gewürdigt und wer will, kann im schallgedämpften Studio seine eigene Sendung basteln. Der Hörfunk der Zukunft? Wird wohl verschwinden, hat ein Jugendlicher auf einem Umfrage- Zettel hinterlassen. Wenn er die zähe rebellische Kraft des Radios da mal nicht unterschätzt.

Bis 29. 8. 21, Museum für Kommunikation Berlin. Öffnungszeiten zur Zeit: Di–Fr 11–17 Uhr (Di bis 20 Uhr), Sa/So 10–18 Uhr. Für angemeldete Gruppen: Di– Fr ab 9 Uhr. Informationen: www.mfk-berlin.de

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