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Ulrich Michael Heissig als Irmgard Knef.

© Barbara Braun

Die neue Show von Irmgard Knef: Willkommen im Hotel Inkontinental

Wir geben nicht auf, niemals: Ulrich Michael Heissig als Irmgard Knef in der neuen Show "Barrierefrei - mit 95 noch dabei".

Kindchen, wie die Zeit vergeht: Ist es schon fünf Jahre her, dass Irmgard Knef 90. feierte? Doch wer die resolute Dame kennt, die aus dem Leben im Schatten ihrer berühmten Schwester Hildegard eine Kunstform gemacht hat, der weiß: 95 ist das neue 75 – höchstens. Bühne frei also in der Bar jeder Vernunft für Irmgard Knefs neue Show „Barrierefrei – mit 95 noch dabei“ (bis 9. Februar).

Wobei sich der Titel nicht nur auf altersoptimierte Möblierung bezieht, sondern, die Zeiten sind so, auch einen Appell an barrierefreies Denken darstellt. Performer Ulrich Michael Heissig, der die Figur der Irmgard Knef vor 20 Jahren in der Ursuppe von Kreuzbergs Subkultur zusammengebraut hat, ist eigentlich nur noch besser geworden. Mit flüchtigen Skizzen, einigen wenigen Accessoires – Gehstock, autoreifenbreite Brille, volle Haarflut und Rollator als Thronersatz – erschafft Heissig fast en passant eine tief anrührende Figur, eine Grande Dame der Zweitgeborenen, der Vergessenen und Unterschätzten. Die aber, anders als konkurrierende Diven, von Bösartigkeit und Bitternis nichts weiß, die – auch wenn sie das nie zugeben würde – voll Liebe und Sanftmut auf die ulkigen Volten blickt, die die Welt schlägt. Alles mit diesem unnachahmlichen Tremolo in der Stimme, diesem Anflug von tattriger Lalligkeit, der immer dann verschwindet, wenn sie singt. Während ihre Schwester „dank Dietrich“ nach Hollywood ging, kam sie nur „dank Dietrich“ in ihre Wohnung. Na und?

Wieso tragen alle Pfleger Dutt?

Die muss sie sowieso verlassen, denn mit 95 wird’s dann doch mal Zeit fürs Pflegeheim. Wobei Irmgard durchaus im Heute lebt, auf dem Weg ins Heim hätte sie sich uber ein Taxi gefreut, und dass es dann doch ein Bierbike mit Touristen aus Mittelfranken wird, nimmt sie genauso stoisch hin wie die seltsame Tatsache, dass die Pfleger im „Hotel Inkontinental“ Dutt tragen. Ein Lied wie „Über sieben Brücken musst du gehn“ ist nicht das einzige, was in ihrer prothesenfreudigen Umgebung völlig neue Bedeutung erhält.

Sogar das Coronavirus hat Platz gefunden, auch die Themen Whatsapp, AfD, CO2 und Bankzinsen beziehungsweise deren Abwesenheit – das meiste davon im Lied „Unsere Welt“. Jacques Brels „Amsterdam“ wird an den Kottbusser Damm verlegt, Fontanes Gedicht „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ bekommt ein Facelifting, und auch Schwester Hildegard ist natürlich präsent, wenn auch nur als Schatten. Denn rote Rosen sind ausverkauft, Primeln müssen’s tun. Die reale, 2002 verstorbene Hildegard Knef hat einen Platz am Bahnhof Südkreuz, verschwindet aber ansonsten im Nebel der Erinnerung. Während Irmgard helle strahlt. Doch ewig leben wird auch sie nicht – mal schauen, wie lange Heissig das noch treiben kann. Johannes Heesters ist 108 geworden. Da geht noch was.

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