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Landrecht, Nachhaltigkeit, Umweltschutz - Tina Brüderlin holt politische Fragen ins Museum.

© Nassim Rad

Die neue Chefin des Ethnologischen Museums: Tina Brüderlins Herz schlägt in Dahlem

Von Alaska über Freiburg nach Berlin: Die 44-jährigen Ethnologin bringt internationale Erfahrungen mit. Die Artefakte will sie mit der Gegenwart kurzschließen.

Noch sind die Bücherregale leer, es sieht nach Neustart aus – auf gediegen gebeizten Brettern, hinter verglasten Türen. Wer Tina Brüderlin in ihrem Dahlemer Büro besucht, wo auch sonst auf den Fluren mächtig umgeräumt wird, erlebt Aufbruchstimmung.

Seit knapp einem halben Jahr ist die neue Leiterin des Ethnologischen Museums im Amt. Schwung bringt sie mit, wie schon in der lockeren Talkshow beim Jahresempfang der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zu erleben war – und ein erfrischendes Lachen.

Der Start in Berlin war erst einmal anstrengend

Als der Talkmaster bei seiner Befragung der neuen Museumsdirektoren auch von ihr wissen wollte, wie bislang das Ankommen in Berlin verlaufen sei, da antwortete Tina Brüderlin frei heraus: ganz schön anstrengend. Das hatte sie sich offensichtlich anders vorgestellt.

Neben dem Einarbeiten in den neuen Job musste die Ethnologin über Wochen auf Wohnungssuche gehen, obendrein einen Kita-Platz für den fünfjährigen Sohn finden – eine echte Herausforderung in Berlin. Aber inzwischen hat es geklappt und die dreiköpfige Familie in Prenzlauer Berg ein neues Quartier bezogen, in dem nun ebenfalls Regale mit Büchern befüllt werden können.

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Die Bände kommen aus Freiburg, wo Tina Brüderlin die letzten zehn Jahre Leiterin der Ethnologischen Sammlung am Museum Natur und Mensch war – und das sehr glücklich, wie sie betont. Trotzdem warf die auf Ostafrika und Nordamerika spezialisierte Wissenschaftlerin ihren Hut in den Ring, als sie von der Berliner Stellenausschreibung erfuhr.

Der Posten reizte die 44-Jährige, die Ausschreibung kam genau richtig

Auch wenn sie in Freiburg Freiräume genossen habe, so Brüderlin, in ihrer Abteilung innerhalb kürzester Zeit Ausstellungen realisieren konnte, reizte sie der Wechsel dennoch. Auf die Hauptstadt richte sich trotz aller Aktivitäten auch an kleineren kommunalen Häusern eben doch die größte Aufmerksamkeit. Das kann auch frustrierend sein. „In Berlin bewegt sich gerade unglaublich viel“, ergänzt die 44-Jährige. „Für mich war das der richtige Zeitpunkt, um mich einzubringen.“

Für die Ethnologin ist es zugleich eine Rückkehr, denn zwischen 2009 und 2012 beteiligte sie sich an einem Forschungsprojekt der Humboldt Universität, das am Beispiel der Sammlung des Berliner Ethnologischen Museums den Handel mit den Haida und Tlingit an der Nordwestküste Amerikas untersuchte. Dort reiste sie mit ihrem Laptop auf und ab und befragte Native Americans.

Freiburg war der nächste Schritt. Wenn Brüderlin davon erzählt, leuchten ihre Augen. „Die in Berlin geführten Diskurse finden genauso woanders statt, nur werden sie dort weniger wahrgenommen“, bedauert sie. So wurde die Ethnologin gleich zu Beginn ihrer Tätigkeit im Gemeinderat der Stadt zum Thema Kolonialgeschichte einvernommen, da sich in der Ethnologischen Sammlung ebenfalls Benin-Bronzen befinden.

Die Auseinandersetzung mündete in eine Ausstellung zum Thema Kolonialismus. Mittlerweile sind die Objekte online gestellt und werden zur Restitution vorbereitet.

Restitution? Brüderlin setzt vor allem auf Kooperation

Aber immer nur deutsche Kolonialgeschichte? Brüderlin will den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit erweitern. Es gäbe mehr, sagt die halb Brasilianerin, halb Schwarzwälderin und verweist auf ihre eigenen Wurzeln. Durch ihre Forschungsarbeit in Kanada und Alaska ist sie mit dem „Native American Graves and Repatriation Act“ der USA vertraut. Seitdem setzt Brüderlin vor allem auf die Zusammenarbeit mit den Herkunftsgesellschaften, von denen Artefakte in öffentlichen Sammlungen stammen.

Deren Beteiligung an Ausstellungskonzepten sei besonders wichtig, ist sie überzeugt, nicht unbedingt die Restitution von Objekten. Die gesprächsweise Erwähnung von Bénédicte Savoy und ihren vehementen Rückgabeforderungen quittiert sie mit einem Lächeln, das schnell wieder verschwindet, und dem Verweis, dass Museen ebenso eine Verantwortung besäßen, das Kulturerbe zu bewahren.

Ans Humboldt Forum kommt Brüderlin in einem Moment, an dem die Entscheidungen für die Präsentation des Ethnologischen Museums längst gefallen sind – auch wenn der zweite Teil der Dauerausstellung erst im Herbst eröffnet und offen ist, was von den Benin-Bronzen zu sehen sein wird, deren Rückgabe bevorsteht.

Aus der Dauerausstellung im Humboldt Forum hält sie sich zunächst raus

Gut möglich, dass die Exponate trotzdem zunächst in Berlin verbleiben und gezeigt werden können. Die Entscheidung liege bei den nigerianischen Partnern, betonte Stiftungspräsident Hermann Parzinger vor wenigen Tagen am Rande der Übergabe von 23 Objekten ans Nationalmuseum von Namibia.

Tina Brüderlin will jedenfalls nicht mehr in die Gestaltung der Dauerausstellung im Humboldt Forum eingreifen, das sagt sie deutlich. „Dafür habe ich viel zu großen Respekt vor der Arbeit, die in den vergangenen Jahren von anderen geleistet wurde.“ Es könnte also dauern, bis ihre Handschrift für das Publikum sichtbar wird.

Und doch hat sich die Ethnologin vorgenommen, „die Dynamik hinter den Kulissen“, die Ergebnisse der Forschungsarbeit in Dahlem, wo sich das Depot des Ethnologischen Museums befindet, stärker in die Wechselausstellungsbereiche der Museen einzubringen.

Die eigene Forschungsarbeit muss hinten anstehen

Ihre eigene Forschungsarbeit muss derweil ruhen. Als Verantwortliche für einen 25-köpfigen Mitarbeiterstab und rund 500 000 Objekte, die sich in der Sammlung des Ethnologischen Museums befinden – wenn auch nur knapp vier Prozent davon in den Ausstellungen zu sehen sind – kommt sie erst einmal nicht dazu.

Brüderlin sieht sich in ihrem neuen Job vor allem als Ermöglicherin. Dem Publikum aber will sie neue Themen vermitteln, hat sie sich vorgenommen, die einen aktuellen Bezug zu den historischen Objekten besitzen: Landrecht, Politik und Nachhaltigkeit, Umweltschutz.

Die Sammlungen sind das Rückgrat des Museums

Auch wenn ein zweiter Schreibtisch im Humboldt Forum steht, wird man Brüderlin vor allem an ihrem Arbeitsplatz in Dahlem antreffen. Hier bei den Sammlungen schlage ihr Herz, sagt die Ethnologin, sie seien das Rückgrat des Museums. Lebhaft soll es trotzdem auch hier zugehen.

Für den künftigen Dahlem-Campus sind Co-Working-Spaces vorgesehen, Workshops geplant. Und irgendwann werden auch die Bücherregale eingeräumt sein.

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