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Premiere. Michelle, Sasha, Barack und Malia Obama ziehen als erste afroamerikanische Familie ins Weiße Haus, von 2009 bis 2017.

© picture alliance / dpa/Pete Souza

Die Memoiren von Barack Obama: Das Licht im Oval Office

Teamplayer, Kämpfernatur und oberster Staatsdiener: Barack Obama schreibt in seinem Buch „Ein verheißenes Land“ über die ersten 28 Monate seiner Amtszeit.

Ein Buch als Zeitreise. Nach wenigen Seiten ist man wieder im Sound der Obama-Jahre: ein positiver, zupackender Grundton, große Ziele und ein gefestigter Glaube, dass ein besseres Amerika möglich ist, wenn viele daran mitarbeiten. Er beschreibt sein Leben und unser aller Leben als Chance, sich einer Sache zu widmen, die größer ist als man selbst.

Ganz automatisch liest sich das als scharfer Kontrast zur Stimmung in der Amtszeit Donald Trumps, auch wenn Obama den Vergleich nicht explizit zieht. Trump sieht überall Feinde, die die USA ausnutzen wollen. 

Wo Barack Obama versucht, Koalitionen zu bilden, um Mehrheiten für seine Ziele zu gewinnen, verfolgt Trump die Strategie des Spaltens und Polarisierens, appelliert an die nicht ganz so hehren Reflexe der Menschen: Argwohn, Abschottung, Egoismus.

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Schon der Titel setzt den Ton. „Ein verheißenes Land“ überschreibt der 44. Präsident in biblischen Worten den ersten Teil seines Rückblicks auf seine Amtszeit von 2009 bis 2017. Auf den mehr als tausend Seiten geht es um die zwei Jahre und vier Monate bis Mai 2011.

Die Vorabzitate wecken falsche Erwartungen

Das muss man betonen, um Neugierige vor Produktenttäuschung zu bewahren, die an diesem Dienstag gleich zugreifen, wenn das Buch in den USA, Deutschland und vielen weiteren Ländern im englischen Original und zwei Dutzend Übersetzungen erscheint. Die PR-Maschine mit ihren Vorabveröffentlichungen hat falsche Erwartungen geweckt, als habe Trumps Erfolg mit „alternativen Fakten“ auf sie abgefärbt.

Wer danach sucht, was Obama über Trump im Weißen Haus schreibt, liegt falsch. Obama erklärt auch nicht, wie Trump die Wahl 2016 gewinnen konnte. Er bewertet weder dessen Amtszeit noch überlegt er, was ein Präsident Joe Biden anders machen würde.

Natürlich nicht. Obama hat das Manuskript im August abgeschlossen, lange vor dem Wahltag. Im Vorwort erwähnt er die Wahl, relativiert aber ihre historische Bedeutung. „Auch wenn ich glaube, dass noch nie so viel auf dem Spiel stand, weiß ich doch, dass keine einzelne Wahl die Sache besiegeln wird.“ Die Geschichte der USA, so Obamas Credo, zeigt das fortwährende Bemühen, eine bessere Gesellschaft zu formen. Es kann Rückschläge geben, aber die Nächsten werden sie überwinden.

Trump spielt keine Rolle. Er tritt erst auf Seite 933 auf

Der Name Trump kommt erstmals auf Seite 933 vor; da sind wir im Mai 2011. Trump hat sich die „Birther“-Kontroverse zu eigen gemacht. Die Behauptung, dass Obama nicht in den USA geboren, also kein rechtmäßiger Präsident sei, war da ohne sein Zutun längst im Gange.

Die Vorabzitate, die den Eindruck erwecken, Obama schreibe über die aktuelle Kontroverse um Trump und Biden, stehen in ganz anderem Kontext im Buch. Obama charakterisiert Biden samt seinen Vorzügen und Schwächen, als er ihn im Sommer 2008 als Kandidaten für die Vizepräsidentschaft auswählt. Seine Aussagen über Trump betreffen dessen Auftritt beim alljährlichen White House Correspondents Dinner 2011, nur wenige Stunden, nachdem Obama den Befehl zum Zugriff auf Osama bin Laden gegeben hat.

Der Zugriff auf bin Laden - als Einblick in Obamas Kopf

Die Geheimdienste haben bin Laden in einem Gehöft am Stadtrand von Abbottabad in Pakistan aufgespürt, genauer: ein hohes Al-Qaida-Mitglied, dessen Identität unsicher ist. Passagen wie die Schilderung der langen Abwägungen, was nun zu tun sei, machen den Reiz des Buches aus. Ein Einblick in den Kopf Obamas, wie er mit Optionen und Entscheidungen umgeht.

Das dicke Buch ist trotz des teils schweren Stoffs unterhaltsam. Obama erzählt von den Talismanen, die ihm von Menschen zugesteckt werden und ihn schützen sollen vor Leuten, die dem ersten schwarzen Präsidenten nach dem Leben trachten. 

Er verrät den Ursprung des Anfeuerungsrufs „Fired up! Ready to go!“ Und schildert, wie sich der Lichteinfall im Oval Office im Lauf des Tages ändert. Sein Deckname bei den Personenschützern, „Renegade“, wird zu einer Kapitelüberschrift.

Biblische Gleichnisse von Moses zu Joshua

Die ersten 120 Seiten lesen sich wie eine Kurzfassung seiner frühen Autobiografie „Dreams From my Father“ von 1995 und des programmatischen Titels „The Audacity of Hope“ von 2006, mit dem er seine Präsidentschaftskandidatur vorbereitete. 

Dann sind wir im Wahlkampf 2008, den Obama überraschend ausführlich schildert. Auch hier bemüht er biblische Dimensionen und schlägt historische Bögen. Er steht auf den Schultern früherer Generationen, baut auf ihren Erfolgen auf: Der Bürgerrechtler Martin Luther King gehört in dem Gleichnis in die Generation Moses, Obama in die Generation Joshua.

Irdischer verläuft der lange Zweikampf mit Hillary Clinton um die Kandidatur durch 50 Vorwahlen. Er siegt in Iowa, erlebt in New Hampshire einen Rückschlag, hat aber insgesamt die bessere Strategie, so dass sein Vorsprung an Delegierten wächst.

Er begeht Fehler, die das Problem der Demokraten mit früheren Stammwählern illustrieren. Eine abschätzige Bemerkung über weiße Arbeiter in Pennsylvania, die sich in ihrem Frust „an Waffen oder Religion oder Antipathie gegen andere Menschen klammern“, schadet ihm noch lange. Da deuten sich bereits die Verschiebungen in den zum „Rust Belt“ gewordenen Industriestaaten an den Großen Seen an, die Trump 2016 den Sieg über Hillary Clinton ermöglichen.

Der Wahlsieg als Triumph einer Graswurzelbewegung

Obama beschreibt den Weg zum Wahlsieg nicht als seinen Erfolg, sondern als Leistung eines Teams und als Triumph einer Graswurzelbewegung. Er lässt Mitstreiter und Wählerinnen auftreten, schildert ihre Lebensläufe und Motive. Dann kommt der jähe Umschwung, als der Zusammenbruch des amerikanischen Immobilienkreditsystems eine globale Finanzkrise auslöst.

Der Wahlsieger erbt eine Wirtschaft im Niedergang, rasch steigende Arbeitslosenzahlen und ganze Branchen in Konkursgefahr von Banken über Versicherungen bis zu den Autokonzernen. Mit Amtsinhaber George W. Bush kooperiert Obama in den Wochen bis zur Amtseinführung, um das Schlimmste abzuwenden. Generell schildert er Bush bei allen politischen Differenzen mit Respekt und lobt die Art der Amtsübergabe.

Diskrepanzen in den Erinnerungen

Dann ist Obama vereidigt, tanzt mit Michelle auf den Inaugurationsbällen, muss die ersten Entscheidungen treffen. Bis dahin kann man der Auswahl, was er hervorhebt und was er weglässt, folgen. Für die Folgezeit ergeben sich mitunter Diskrepanzen zwischen seinem Rückblick und den Erinnerungen eines Beobachters, der mit Zugang zum Weißen Haus über Obamas Präsidentschaft für diese Zeitung berichtet hat.

Gehörte nicht die Anordnung, das Lager für Terrorverdächtige in Guantanamo zu schließen, zu den ersten Amtshandlungen? Er lässt sie aus. Gewiss, die Finanzkrise hat höhere Priorität. Ebenso die Gesundheitsreform, als die Regierung ökonomisch festeren Boden unter den Füßen bekommt.

Man könnte freilich auch den Eindruck gewinnen, dass Obama sich mehr auf die politischen Kämpfe konzentriert, die er als Erfolge verbucht wissen möchte, als auf die Konflikte, die er mit zu viel Optimismus anging oder die aus anderen Gründen nicht glorreich endeten. Neben der Rettung des Landes aus der Finanzkrise und der Gesundheitsreform zählt der Vertrag mit Russland über die Verschrottung eines Drittels der strategischen Atomwaffen zu den Errungenschaften; neben Guantanamo der Verlauf des arabischen Frühlings zu den Enttäuschungen, die seltsam blass bleiben.

Deutschland und Europa? Spielen kaum eine Rolle

Und Deutschland, Europa, die übrige Welt? Sie kommen kaum vor. Den Wahlkampfauftritt an der Siegessäule in Berlin – es war der mit dem größten Publikum – handelt er in wenigen Zeilen ab. Von der ersten Europareise bleibt der G-20-Gipfel in London haften. Lesenswert sind die Kurzporträts von Angela Merkel, Nicolas Sarkozy, den damaligen Präsidenten Russlands und Chinas, Dmitri Medwedew und Hu Jintao. Ebenso die Analyse ihrer Interessen und Interaktionen. Vom Nato-Gipfel in Baden-Baden und Straßburg bleibt in der Erinnerung, dass die Allianz zehn Jahre nach der Erweiterung noch immer keine Pläne hat, wie sie die neuen Mitglieder im Konfliktfall verteidigen will.

Ob Klimaabkommen, Umgang mit Irans Atomprogramm, Strategien für Afghanistan und den Irak, wo die USA sich formal an der Spitze internationaler Koalitionen um die Befriedung bemühen: Die Europäer spielen in Obamas Schilderungen keine wesentliche Rolle. Die USA sind der Hauptakteur. Obama überzeugt China und Russland, den Iran mit gemeinsamen Sanktionen unter Druck zu setzen. Er rettet die Kopenhagener Klimakonferenz vor dem Scheitern, indem er in einem dramatischen Showdown einen Kompromiss mit China, Brasilien, Indien und Südafrika erzwingt.

Die Griechenlandkrise als Ausnahmefall

International sieht Obama zwei Grundmuster. Alle erwarten Lösungsansätze von den USA, auch die, die ihre internationale Rolle kritisieren. Und: Nur wenige Länder sind bereit, sich über ihr eng definierten nationalen Interessen hinaus zu engagieren.

Allein die Euro-Krise als Folge der griechischen Verschuldungskrise erlebt er anders, als Begrenzung seines Einflusses. Er wirbt für Rettungspakete, stößt aber bei Angela Merkel auf Widerstand. Sie sieht die Ursache in mangelnder Budgetdisziplin . „Wir machen keinen Lehman“, verspricht sie ihm – lassen Griechenland also nicht pleitegehen, wie die USA es mit der Bank Lehman Brothers tat. Sie besteht aber auf Bedingungen für die Rettung, die Obama für falsch hält.

Im Zentrum des Buchs steht die Innenpolitik. Und der Umgang mit Republikanern, die die Kooperation verweigern. Sie steuern keine Stimme für das Rettungspaket gegen die Finanzkrise im Repräsentantenhaus bei. Im Senat müssen die Stimmen von vier moderaten Republikanern mit Zugeständnissen erkauft werden.

Graswurzel von rechts, Graswurzel von links

Es folgt der Sommer der Tea Party. Die Proteste führen zur Verzögerung der Gesundheitsreform im Kongress. 

[Barack Obama: Ein verheißenes Land. Aus dem amerikanischen Englisch von S. Bieker, H. Fricke, S. Gebauer, S. Kleiner, E. Link, T. Schmidt, H. Zeltner-Shane. Penguin Verlag. 1042 S., 42 €.]

Was tun? Da wird Obama nachdenklich. Da seine Präsidentschaft der Erfolg einer Graswurzelbewegung sei, könne er schlecht eine andere Graswurzelbewegung verdammen, nur weil sie von rechts komme und sich gegen ihn richte. Mit der Besinnung auf Verfahrenstricks kann „Obamacare“ am Ende verabschiedet werden.

Der erste Band endet mit dem Zugriff auf bin Laden im Mai 2011. Auf Obamas Reflektion, was er selbst dazu beigetragen hat, Trump möglich zu machen, wird die Welt warten müssen – bis Band 2 über ein verheißenes Land erscheint. 

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