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Die letzte Ausstellung von Christian Boltanski: Aus dem Licht

Der französische Künstler Christian Boltanski widmet seine Ausstellung in der Galerie Kewenig einem Freund. Es ist sein Vermächtnis

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Das Haus lebt, man kann es spüren. Schon an der schweren Holztür, die sich noch kein Stück bewegt hat. Das Wummern von drinnen aber sucht sich seinen Weg, lässt die Pforte vibrieren und
stimmt ein auf die aktuelle Ausstellung von Christian Boltanski in der Galerie Kewenig – ein großes, persönlich gehaltenes Memorial.
Der Herzschlag gehört dem Künstler, er hat ihn für die monumentale auditive Arbeit „Les Archives du Coeur“ aufgenommen und konserviert. Auch die anderen Arbeiten, die sich im Palais Happe auf zwei Stockwerken ausbreiten, stammen aus dem vertrauten Reservoir des 1944 geborenen Franzosen. Glühbirnen formen das Wort „Danach“, das tiefblau und feierlich im Treppenhaus des Gebäudes hängt. Weitere Lichter bedecken den Boden eines ganzen Zimmers und werden immer weniger: Boltanski lässt jeden Tag ein paar erlöschen, bis man zum Schluss seiner Ausstellung bloß noch ins Schwarze schaut.
Symbolisch klingt das ziemlich überfrachtet, kollidiert jedoch auf angenehme Art mit der Einfachheit der Materialien, die der Künstler auf keinen Fall formal betrachtet wissen will. Er verwendet, was er braucht, um bestimmte Effekte zu erzielen. Die Birnen liegen in einem Meer aus dunklen Kabeln für den Stromtransport, mehr ist da nicht. Wer vor der Arbeit ins Grübeln kommt, der verbindet die vom ihm gelegten Spuren mit den eigenen inneren Bildern von Existenz und Vergänglichkeit.
Boltanski, vielfach ausgezeichnet und ebenso auf der Documenta wie der Biennale von Venedig vertreten, war dem Tod in seinem Werk immer schon nahe. Verblassende Erinnerungen, darum kreisen die atmosphärischen Installationen seit Dekaden. Auf den lauten Herzschlag folgen in Berlin sekundenkurze Projektionen nebelhafter Porträts, die sich nicht erfassen, sondern bloß erahnen lassen. Auch das gehört zur Absicht des Künstlers, der einen weiteren Raum im Haus von oben bis unten mit leeren Rahmen gespickt hat.

[Galerie Kewenig, Brüderstr. 10; bis Ende des Sommers, Mo–Sa 11–18 Uhr, www.kewenig.com]
Im spiegelnden Glas nimmt der Besucher sich im Augenblick seiner Präsenz selbst wahr. Mit der nächsten Bewegung leert sich der Rahmen dann wieder und macht unmissverständlich klar, wie klein und flackernd das eigene Licht vor diesen unzähligen Platzhaltern ist – eine anonyme Ahnenreihe jener Vorgänger, die die Welt schon wieder verlassen haben. In der Galerie Kewenig geht es Boltanski allerdings konkret um einen Menschen. Ein Grund, weshalb in dieser Ausstellung jede Arbeit mit der anderen verbunden und keines der Werke verkäuflich ist: Der Künstler hat sie Michael Kewenig gewidmet.

Boltanski weihte auch die neuen Räume ein

Künstler und Galerist kannten sich über Jahrzehnte, die enge Freundschaft resultiert aus einer Zeit, in der beide noch nicht das Renommee internationaler Bekanntheit genossen. 2017 starb Michael Kewenig dann überraschend. Boltanski, der 2013 als erster überhaupt im restaurierten Berliner Palais ausstellte, hat es seitdem nicht mehr betreten. „Danach“ – so lautet nicht allein die blaue Leuchtskulptur, sondern auch der Titel der Präsentation – ist ein künstlerischer Nekrolog, den er gemeinsam mit Justus Kewenig realisiert hat.

Der Sohn führt die Galerie seit vier Jahren fort, Witwe Jule Kewenig die Geschäfte und Ausstellungsräume auf Mallorca. Boltanskis Ideen wurden kooperativ umgesetzt, denn der 1944 Geborene konnte wegen Corona auch vor der Eröffnung seiner eigenen Ausstellung Paris nicht verlassen. Im Juni hat er sie erstmals gesehen und war hochzufrieden mit ihrer Realisierung. Es ist, als atme das Haus selbst den Geist dieser hoch emotionalen Würdigung eines Lebens mit der Kunst.

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