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Trügerische Idylle. Max Pechsteins "Chogealls" von 1917, Kunstsammlungen Chemnitz.

© VG Bild-Kunst, Bonn

Die Künstler der Brücke im kolonialen Kontext: Kinder ihrer Zeit

Das Brücke-Museum räumt auf: Kirchner & Co. ließen sich von Kunst aus den Kolonien inspirieren. Die Ausstellung „Whose Expression?“ zeigt die Hintergründe.

Wenn von Brücke-Malern und Expressionismus die Rede ist, dann immer auch von ihrer Ablehnung akademischer Normen und bürgerlicher Konventionen. Man kennt das zur Genüge aus Ausstellungen, Katalogen, Biografien. Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, Max Pechstein – sie alle repräsentieren mit ihrem Werk wie mit ihrem Lebensstil den Aufbruch aus gesellschaftlicher Enge, die Suche nach dem Ursprung, dem Natürlichen.

Dieses altbekannte Narrativ ändert sich gerade, die mythische Vorstellung von den Künstlerhelden und ihrer genialischen Selbstbefreiung erweitert sich um weniger erfreuliche Aspekte. Erst zuletzt hatte der Verdacht sexuellen Missbrauchs der Kindermodelle in den Brücke-Ateliers das Bild getrübt.

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Man wird sich die Werke dieser großartigen Maler nun nicht mehr so unbedarft anschauen können. Das ist ungemütlich, aber gut so. Gegenwärtig räumen die Museen in ihren Depots und Dauerausstellungen auf, wo sie auf schmerzhafte Spuren des Kolonialismus stoßen. An der Offenlegung der Hintergründe führt kein Weg vorbei.

Vereinnahmung, Ausbeutung, Rassismus gab es auch bei der Brücke

Da verwundert es nicht, dass die Forschung irgendwann auch bei jenen Malern landen würde, die sich in den Jahren des Kolonialismus von Menschen und Artefakten der betroffenen Länder inspirieren ließen. Arglos war auch das nicht, muss das Publikum nun lernen. Das Berliner Brücke-Museum schlägt mit seiner Ausstellung „Whose Expression?“ ein schwieriges Kapitel auf, denn Vereinnahmung, Ausbeutung, Rassismus lassen sich auch bei Kirchner & Co. finden.

Vom Raubbau in der Natur keine Spur. Emil Noldes "Meerbucht" (1914).
Vom Raubbau in der Natur keine Spur. Emil Noldes "Meerbucht" (1914).

© Nolde Stiftung Seebüll

Zur Initialzündung wurde für sie der Ende des 19. Jahrhunderts ins Dresdner Völkerkundemuseum gekommene Balken aus dem westpazifischen Inselstaat Palau, den einst ein Männerhaus auf Babeldaob schmückte. Immer wieder besuchten die Maler Ethnologische Museen in Dresden und später Berlin, zeichneten die Exponate in den vollgestopften Vitrinen, skizzierten sie die kantigen Formen der Skulpturen, das Expressive, die Erotik. Der in der Mitte durchsägte Palau-Balken aber wurde zur Wegmarke.

Die Figuren auf dem Balken von Palau übertrug Kirchner nach Moritzburg

Genauso wie die Figuren auf diesem Schmuckholz wollten sie fortan malen. Überraschend präzise übertrug Kirchner die Darstellung der hintereinander gereihten Figuren an einen Moritzburger See, wo bei ihm vier nackte Badende mit den gleichen Bewegungen ins Wasser steigen. Im Vordergrund steht als Gegenstück ein Mädchen mit Schleife im Haar und gestreiftem Badeanzug.

Es gehe nicht um die Schuldfrage, stellt Museumsdirektorin Lisa Marei Schmidt klar, sondern um die Verantwortung, die Institutionen übernehmen müssten, um die Pflicht zur Auseinandersetzung. Heckel, Kirchner, Pechstein, Schmidt-Rottluff waren Kinder ihrer Zeit, hält sie ihnen zugute, sie lebten und arbeiteten in der Hochzeit des Kolonialismus.

Und heute? Schmidt hat sich Hilfe geholt für ihre Revision. Die einzelnen Ausstellungskapitel werden ergänzt durch Videoscreens, auf denen Kurator:innen, Autori:innen, Aktivist:innen sich äußern.

Die andere Schreibweise zeigt eine veränderte Perspektive

Auch über rassistische Werktitel muss neu nachgedacht werden, das N-Wort verbietet sich von selbst, mittels einer anderen Schreibweise von Begriffen wie „Entartet“, „Urvölker“, „Primitivismus“, „Völkerschauen“ lässt sich eine weitere Reflexionsebene einziehen. In den Ausstellungstexten sind sie auf den Kopf gestellt. Das ist gewöhnungsbedürftig, aber besser lässt sich kaum illustrieren, dass sich die Perspektive geändert hat.

Blick in die Ausstellung "Whose Expression?" im Brücke-Museum.
Blick in die Ausstellung "Whose Expression?" im Brücke-Museum.

© Roman März

Kirchner, Heckel, Pechstein, Schmidt-Rottluff inspirierte die Kunst aus Ozeanien und später Afrika. Warum auch nicht? Sie half ihnen, sich abzusetzen von der als einengend empfundenen bürgerlichen Kultur. Das ging so weit, dass sie sich in ihren Ateliers wie im Stammhaus einrichteten mit Möbeln, Skulpturen aus den Kolonien.

Lange Zeit galt der Leoparden-Hocker als ein Werk Kirchners

Kirchner baute sich einen Alkoven, den Stickereien seiner Freundin Erna Schilling nach seinen Entwürfen schmückten, die wiederum an den Balken von Palau erinnern. Lange Zeit wurde der Stuhl eines Oba aus Benin für ein Werk von ihm gehalten, bis schließlich Untersuchungen des Holzes ergaben, dass es sich um ein Original handelt, keine Nachempfindung des Künstlers.

Die Maler bedienten sich der Kunst und auch der Menschen, reproduzierten den weißen Blick, ohne sich für die Hintergründe zu interessieren, macht die Ausstellung deutlich. Das muss sich ändern, signalisiert sie ebenfalls. „Es gibt viel Forschung über die schwarze Katze bei Kirchner“, stellte Schmidt etwa fest, „keine über die Schwarzen Modelle.“

Über die Modelle Nelly, Milly und Sam fand sich nichts in den Archiven

Versuche, mehr über Nelly, Milly und Sam herauszufinden – so hießen die drei – scheiterten. Vermutlich lernten die Künstler sie im Varieté, Zirkus oder einer Völkerschau kennen, wo ihre „Andersartigkeit“ ausgestellt wurde und die Künstler fleißig skizzierten. Ein Foto zeigt Nelly in Heckels Atelier im Varietékostüm, die Frau des Künstlers ahmt ihre Tanzbewegungen nach.

Während sich Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff ihr exotisches Land in den Bildern und Ateliers schufen, reisten Nolde und Pechstein tatsächlich in die Ferne, nach Papua-Neuguinea und Palau.  Lange konnten sie nicht bleiben, der Beginn des Ersten Weltkrieges machte die Rückkehr schon nach wenigen Wochen erforderlich. Ihren Traum von einer ursprünglichen Welt wie bei Gauguin trafen sie nicht an, wurden stattdessen mit den Folgen des Kolonialismus, dem Raubbau in der Natur konfrontiert.

Voller Ressentiments beschreibt Nolde den Mann mit Speer

In den Bildern ist davon nichts zu sehen. Nur in den Briefen findet die Realität Erwähnung und drückt sich ungefiltert Emil Noldes Rassismus aus. In seinen Erinnerungen beschreibt er, wie er einen Mann mit Speer porträtierte, während neben ihm sein gespannter Revolver lag – „und hinter mir stand, den Rücken deckend, meine Frau mit dem ihrigen, ebenfalls entsichert“.

"Tanzende" von Ernst Ludwig Kirchner (1911) aus dem Stedelijk Museum, Amsterdam.
"Tanzende" von Ernst Ludwig Kirchner (1911) aus dem Stedelijk Museum, Amsterdam.

© Erik und Petra Hasmerg

Das Brücke-Museum stellt sich dieser Wahrheit, versucht nichts zu beschönigen. Und es hat wie andere Häuser auch in seinen Depots nach Kunst aus kolonialen Kontexten geforscht. Dort lagert Schmidt-Rottluffs 100 Artefakte umfassende Sammlung, viele aus ehemaligen deutschen Kolonien.

Das Kunsthaus Dahlem widmet sich Schmidt-Rottluffs Sammlung

Das benachbarte Kunsthaus Dahlem nimmt sich der Kollektion an, deren Herkunftswege nicht mehr zu rekonstruieren sind. Schmidt- Rottluff diente sie als Inspirationsquelle, mehr interessierte ihn nicht.

Kuratorin Paz Guevara hat 14 Künstler:innen zur kritischen Befragung eingeladen. Saba Innab platzierte die Trommeln, Hocker, Masken in eine Arena, wodurch sich die Besucher:innen wie auf einer Bühne beäugt fühlen. Die Objekte werfen den Blick zurück und wirken doch summarisch ausgestellt wie einst in den Vitrinen Ethnologischer Museen.

[Brücke-Museum, Bussardsteig 9, Kunsthaus Dahlem, Käuzchensteig 8, bis 20. 3.; Mi bis Mo 11 – 17 Uhr. Katalog 32,90 €]

Wie angemessen damit umzugehen ist, erweist sich immer noch als schwierige Kunst. Lisa Hilli macht es sich leichter. Sie recherchierte den Namen einer Einheimischen, die zusammen mit einem Kolonialbeamten und ihrem gemeinsamen Kind auf einem Foto zu sehen ist. „Her name is Warwakai“ steht darüber gedruckt. Der Name des Mannes interessiert nicht mehr, allerdings auch nicht ihre gemeinsame Geschichte, von der man doch gerne mehr gewusst hätte.

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