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Anouschka Renzi als Marguerite, mit Joachim Bliese als Armands Vater.

© DERDEHEMEL/Urbschat

"Die Kameliendame" im Schlosspark Theater: Herzen sind nur Muskeln

Verdis Oper "La traviata" kennt jeder. Das Schlosspark Theater zeigt jetzt das Schauspiel, auf das alles zurückgeht: Alexandre Dumas' „Die Kameliendame", mit Anouschka Renzi in der Titelrolle.

Die Handlung ist bekannt, zumindest in groben Zügen. Denn Alexandre Dumas’ „Kameliendame“ diente als Textgrundlage für Giuseppe Verdis „La traviata“, die 1853 herauskam und bis heute weltweit zu den am meisten gespielten Opern gehört. Wie effektsicher Verdis Librettist den Roman für die Bedürfnisse eines musikalischen Dramas umgearbeitet hat und wie genial der Komponist die Gefühle durch seine Melodien zu verstärken verstand, wird deutlich, wenn das Schlossparktheater jetzt die Bühnenversion des Stoffes zeigt.

Gleichzeitig ermöglicht die von Ulrich Hub für fünf Darsteller bearbeitete, sprachlich respektvoll modernisierte Fassung, die Lovestory zwischen der Edelkurtisane Marguerite und dem Bürgersohn Armand viel differenzierter, facettenreicher zu erleben als gewohnt. Weil sich im Sprechtheater die Geschichte nun einmal wortreicher entfalten lässt als in der auf textliche Verknappung angewiesenen Oper.

Die Herausforderung für Sopranistinnen besteht in der „Traviata“ darin, dass sie drei verschiedene Stimmfächer beherrschen müssen: Koloratur-Diva im ersten Akt, lyrische Liebende im zweiten, große Tragödin im Finale. Die Theaterversion ermöglicht der Protagonistin dagegen, alle Schattierungen der Figur gleichzeitig zu zeigen. In der kapriziösen Zickigkeit, mit der Anouschka Renzis Marguerite zu Beginn die Männer behandelt, schwingt tatsächlich schon der Zynismus der Gossengöre mit, die sich hochgeschlafen hat – und die Einsamkeit der Sexarbeiterin, die vom Glück der wahren Liebe träumt.

Mehr als ein schwärmerisches Jungsherz

Auch bei Arne Stephans Armand schlägt nicht nur das schwärmerische Jungsherz in der Brust, wie beim Operntenors Alfredo. Schon im Werben um Marguerite zeigt er seine Macho-Seite; Eifersucht und männliche Besitzansprüche prägen sein Beziehungsverhalten ganz selbstverständlich – zumal im Schlossparktheater kein alter, reicher Fettsack sein Rivale ist, sondern ein gleichaltriger, ebenfalls äußerst attraktiver Lebemann, in Gestalt von Fabian Stromberger.

Philip Tiedemann strebt mit seiner Inszenierung mehr an als handwerklich gut gemachte Boulevardunterhaltung, Stephan von Wedels Ausstattung beschränkt sich nicht darauf, das Geschehen zu möblieren, sondern schafft einen suggestiven emotionalen Transitraum, mit ein paar durchscheinenden Gazevorhängen und einem Flügel als Hauptrequisit auf der ansonsten weitgehend leeren Drehbühne. Die eleganten Kostüme verweisen auf die zwanziger Jahre, dazu passt der Modedesigner Gaston, zu dem Bearbeiter Ulrich Hub alle Nebenfiguren zusammengezogen hat. Oliver Nitsche zeigt ihn als schillernden Charakter, der Marguerite Vater- wie Freundinnenersatz sein will und ihr dann doch keine echte Stütze ist, weil er selber schwankt zwischen Beschützerinstinkt und gesellschaftlicher Ambition.

Ernsthaft, nahe am Text, mit angenehm altmodischer Geduld entwickelt sich die Inszenierung. Der Regisseur vertraut seinen Schauspielern, setzt darauf, dass Joachim Bliese kein Gepolter braucht, um als Armands Vater eine Autorität zu verströmen, die die Titelheldin glaubwürdig dazu bringt, ihren Liebestraum fahren zu lassen. Lediglich in der Sterbeszene wird spürbar, wie viel einfacher es ein Komponist doch hat, dem Showdown eines melodramatischen Rührstücks durch seine Musik emotionale Tiefe zu verleihen, ihn zum herzergreifenden Unhappy End zu adeln.

Die nächsten Aufführungen finden erst wieder vom 24.–29. Oktober statt sowie im November und Dezember.

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