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Die französische Autorin Fatima Daas.

© Joel Saget/Verlag

"Die jüngste Tochter" von Fatima Daas: Scham und Selbsthass

Die Kunst der Verschleierung einer homosexuellen Frau in einer arabischen Familie: Fatima Daas’ mitreißender Debütroman „Die jüngste Tochter“.

Dieses Buch handelt von einer jungen muslimischen Frau, die sich selbst zerfleischt. Weil sie, wie sie meint, nicht gottgefällig lebt. An Anfang jedes Kapitels steht immer der Satz: „Ich heiße Fatima“ oder „Ich heiße Fatima Daas“. Der arabische Vorname bedeutet „die Entwöhnte, die Enthaltsame“.

Die Autorin, 1995 in der Nähe von Paris geboren mit algerischen Wurzeln, ist jedoch nicht enthaltsam, sondern hat lesbische Beziehungen. „Ich bin eine Sünderin“ lautet eine ihrer Selbstanklagen in dem autobiografisch geprägten Buch, das den Tabubruch auf die Spitze treibt.

In Frankreich hat Daas’ Debütroman (Aus dem Französischen von Sina de Malafosse. Claassen, Berlin 2021.192 S., 20 €.) im letzten Sommer für viel Aufregung gesorgt, er wurde ein Bestseller. Fatima Daas ist übrigens ein Pseudonym.

Mit seinen kurzen, einprägsamen Sätzen, die sich ständig wiederholen, trägt der Roman Züge eines Gebets – aber es ist ein brutales Gebet. Weil Fatima, die Ich-Erzählerin, offenbart, wie sehr sie an sich selbst leidet und an ihrer Familie, die in einem Vorort von Paris lebt.

Fatima liebt mehrere Frauen gleichzeitig

In der Banlieue Clichy-sous-Bois, wo viele Araber leben. Fatima ist die Jüngste, ihre beiden Schwestern und die Eltern sind in Algerien geboren. Auf Fatima hatte keiner gewartet, eigentlich wollten die Eltern keine Kinder mehr, und wenn, einen Sohn. In ihrer Familie gibt es kaum Zärtlichkeit, gesprochen wird wenig, über Homosexualität schon gar nicht. Der Vater prügelt seine drei Töchter regelmäßig.

Am nächsten Tag tun alle so, als wäre nichts passiert – die Familie beherrscht die Kunst der Verschleierung perfekt. Später knallt Fatima dem Vater den Satz ins Gesicht: „Du bist ein Monster!“. Seitdem sprechen beide nicht mehr miteinander.

Die Mutter erträgt ihren wütenden Ehemann stumm, zurückgezogen in ihre Küche, wo sie viele Stunden mit Kochen verbringt. „Ich heiße Fatima. Ich bedaure, dass man mir nicht beigebracht zu lieben“, sagt die Erzählerin. Ein Satz wie eine Handgranate. Viele Sätze im Buch haben eine ähnliche Sprengkraft. Fatima muss sich selbst beibringen zu lieben.

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Sie hat Beziehungen zu mehreren Frauen, auch gleichzeitig. In der LGBTQI-Szene lernt sie die junge Cassandra kennen, die auch mal eine Nacht mit einem Mann verbringt. Später trifft sie die attraktive Nina, die ihr Halt gibt.

Trotzdem bleibt bei ihr das Gefühl, nirgendwo dazuzugehören, ewig Außenseiterin zu sein. Wenn sie dagegen mit ihrer Familie bei den Verwandten in Algerien ist, wird sie plötzlich zur Vorzeigeenkelin, brav, lächelnd, zurückhaltend. Die Kunst der Verschleierung.

Rückhalt findet die junge Frau auf ihrem Gebetsteppich. Aber sie will sich nicht zwischen ihrer Homosexualität und ihrem Glauben entscheiden müssen. Genau darin drückt sich ihre Zerrissenheit aus, die sie, die von klein auf unter schwerem Asthma leidet, auch körperlich mitnimmt.

Fatima Daas hat ein starkes Buch geschrieben

Eines Tages sucht sie einen Imam auf und schiebt eine lesbische Freundin vor, die angeblich Rat braucht. Der Imam rät, die halbe Nacht zu beten, montags und donnerstags zu fasten, Gott um Hilfe zu bitten.

Fatima Daas hat ein starkes Buch geschrieben, unverblümt, drastisch, manchmal zärtlich. Mit seinen schnellen Schnitten und rhythmischen Sätzen reißt es einen sofort mit. Ein Mix aus verschiedenen Sprachebenen und Sprachen – Schülerjargon, Song-Titel, Suren, Zitate aus der Hochliteratur, etwa von Annie Ernaux oder Marguerite Duras, arabische Sätze.

Der Monolog ist ein literarischer Rap, markant und provokativ, der am Ende dennoch eine versöhnliche Wendung nimmt.

Beeindruckend ist, wie die junge Autorin mit wenigen Strichen harte, eindringliche Szenen entwirft. Wenn sie etwa beschreibt, wie Fatima in ihrem letzten Schuljahr einen Mitschüler demütigt, der feminin wirkt. Sie beschimpft ihn als „dreckige Schwuchtel“, vor den Augen anderer Schüler, die lachen. „Benjamin geht schluchzend davon. Mir ist danach, mich zu erschießen“, resümiert Fatima.

Das, was sie in sich selbst ablehnt, macht sie bei ihrem Mitschüler lächerlich. Ein perfektes Mittel, um Scham und Selbsthass zu verschleiern.

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