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Wie Chunqing Huang den französischen Abstrakten Nicolas de Stael sieht.

© Courtesy die Künstlerin und Galerie Kornfeld, Foto: Gerhard Haug

Die hohe Kunst der Einfühlung: Tänzerin zwischen Ost und West

Cézanne, Campendonk, Alex Katz: Die chinesische Malerin Chunqing Huang nähert sich in der Galerie Kornfeld mit ihren „Painter’s Portraits“ der Bildsprache berühmter Kollegen an.

Gewischt, getupft, gezogen oder gerakelt – mal ist der Pinselduktus pastos, mal lasierend, dynamisch oder statisch, flächig oder malerisch aufgelöst, homogen oder heterogen, geordnet oder ungeordnet. Genauso verhält es sich mit der Komposition und der Farbgebung der dreißig kleinen Bilder. Sie alle erscheinen im gleichen Quer- von 30 mal 40 Zentimetern oder Hochformat von 40 mal 30 Zentimetern wie eine Miniaturgeschichte der expressiven, lyrischen oder gestischen Abstraktion, wie wir sie von Kandinsky bis zum abstrakten Expressionismus und Informel kennen.

Gemalt hat sie die chinesische Künstlerin Chunqing Huang. Unter dem Titel „Painter’s Portrait“ zeigt sie den zweiten Teil ihrer auf 100 Bilder angelegten Serie im Projektraum der Galerie Kornfeld. Der erste Teil war im Sommer 2021 im Museum Wiesbaden zu sehen. Die von Ulf Erdmann Ziegler kuratierte Ausstellung bildete den Auftakt der Reihe „Kunst über Kunst“. Bereits der mehrdeutige Serientitel „Painter’s Portrait“ im Singular wirft Fragen auf: Handelt es sich um einen Genitivus Subjektivus, also das Porträt des Malers im Sinne eines Selbstporträts oder einen Genitivus Objektivus, also das Porträt eines Malers im Sinne des Künstlerporträts. Wer ist der Malende und wer wird gemalt? Verrät ein Porträt mehr über den Malenden oder den Gemalten?

Da es sich um abstrakte Bilder handelt, kann nur das Porträt in seiner übertragenen Bedeutung einer literarischen, filmischen oder eben malerischen Darstellung der charakteristischen Eigenschaften einer Person, Institution oder Sache gemeint sein. Etymologisch leitet sich das Porträt vom lateinischen protrahere ab, was soviel wie hervor-, vorwärtsziehen, ans Licht bringen, offenbaren, entdecken heißt.

Handelt es sich also bei den nach den großen Malern der Moderne (und einigen Vorläufern) benannten Bildern um abstrahierte Übersetzungen, Aneignungen, Annäherungen oder Hommagen an den Stil, das Substrat oder Wesen der nämlichen Werke? Sofort beginnt ein reizvolles Spiel mit scheinbar einfachen Regeln, die jedoch beim Betrachten immer komplexer werden. Sehen wir nur, was wir schon wissen? Lieben wir nur, was wir schon kennen? Welches Spiel treiben Kunst und Illusion mit dem Betrachter? Welchen Projektionen und Selbsttäuschungen erliegen wir?

So wie der oder die Seh(n)süchtige in jedem beliebigen Passanten die oder den schmerzlich vermissten Menschen wiederzuerkennen glaubt, meint man im „Painter’s Portrait“ von Irma Stern die opulente Farbenpracht ihrer Blumenbilder zu erkennen oder bei Heinrich Campendonk seine roten Pferde springen zu sehen. Bei Otto Freundlich lässt sich das soziale Gefüge seiner Kompositionen und bei Johannes Itten das prismatische Spektrum seiner Farbtypenlehre erahnen. Bei Edward Hopper ruft der dunkle Farbklang aus Blau-Grün-Rot die Einsamkeit seiner an der Bar sitzenden „Nachtschwärmer“ in Erinnerung. Bei Francis Bacon lassen die Farbschlieren das Bewegungsmotiv seiner Verzerrungen und Deformationen anklingen. Eine Pointe erlaubt sich die Galerie Kornfeld, indem sie neben dem „Painter’s Portait“ ein Alex Katz ein Bild des US-Künstlers schmuggelt.

Unabhängig davon, ob die titelgebenden Maler figurative oder abstrakte Künstler sind, gelingt das Spiel der Ähnlichkeiten, Querverbindungen und Referenzen. Vergeblich sucht man nach dem einen künstlerischen Übersetzungsprogramm, mit dem Chunqing Huang arbeitet.Ein historisches Beispiel für derartig e Transformationsprozesse liefert ein Künstler wie Paul Cézanne, in dessen Werkentwicklung sich die impressionistischen Hügellandschaften der Provence zunehmend in Kegel, Kuben und Zylinder aufsplittern. Entsprechend ist sein „Painter’s Portrait“ durch die zarten Frühlingsfarben Südfrankreichs charakterisiert, wie sie in seinen lichtdurchfluteten Aquarellen vorherrschen.

Es geht um die Essenz der Bilder und Objekte

Wenn es also bei Chunqing Huangs Porträt-Serie um die Charakteristik eines künstlerischen Oeuvres geht, so kann diese auf allen Ebenen liegen, angefangen von der Wahrnehmung bis hin zur Wirkung. Bei der künstlerischen Übersetzung in die eigene Bildsprache kann es ähnlich wie bei der kunsthistorischen Übersetzung von der Bild- in die Wortsprache immer nur um eine Annäherung an das zu Beschreibende gehen. Sie gibt ebenso viel über den Maler wie sein Modell preis. Im besten Fall entsteht zwischen beiden etwas Drittes, Einzigartiges und Neues, wie es in dem herausragenden „Painter’s Portrait“ von Nicolas de Stael gelingt.

[68projects der Galerie Kornfeld, Fasanenstr. 68, bis 26.2.; Di bis Sa 12 – 18 Uhr. Heute ]

In kräftigen Grundtönen stoßen die rotorangen und blauen Farbflächen aufeinander, getrennt und verbunden durch ein zitronengelbes Flächenkreuz, das nach oben hin in ein leuchtendes Weiß übergeht und das Bild zweifach diagonal teilt. Wie eine Tänzerin mit ausgebreiteten Armen dynamisiert sie die statische Komposition und verspannt die warmen mit den kalten Farbflächen (Jedes Bild 8500 €).

.Freischwebend wie eine Tänzerin zwischen Ost und West, Moderne und Postmoderne eignet sich auch die 1974 im chinesischen Heze geborenen Künstlerin, die erst in Bejing, dann an der Städelschule in Frankfurt studiert hat, die Malerei der westlichen Moderne an. Im strengen Konzept ihrer „Painter’s Portraits“ unternimmt sie eine Erkundungsreise, auf der sie im Alten das Neue und im Anderen das Eigene suchend letztlich Porträts ihrer Selbst entwirft.

Dorothea Zwirner

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