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Kultur: "Die ganze Frau": Verworfen oder vergessen? Germaine Greer erinnert an einige feministische Tugenden

Germaine Greer wollte nach "Der weibliche Eunuch" nicht mehr über den Geschlechterkampf schreiben. Nun, fast 30 Jahre danach, stellt sich die Hohepriesterin des Feminismus noch einmal auf die Kanzel.

Germaine Greer wollte nach "Der weibliche Eunuch" nicht mehr über den Geschlechterkampf schreiben. Nun, fast 30 Jahre danach, stellt sich die Hohepriesterin des Feminismus noch einmal auf die Kanzel. Ihr neues Buch, "Die ganze Frau", sieht aus wie ein Rückschritt in die siebziger Jahre. Jeder Satz der in Warwick, England, lebenden Australierin behauptet: Nichts hat sich verändert im Verhältnis der Geschlechter! Männer, alle Männer, sind, was sie immer waren: Täter. Frauen sind ebenfalls geblieben, was sie immer waren: Opfer. Germaine Greer kann nicht aus ihrer Haut. Schmissig formuliert die Literaturwissenschaftlerin: "Es ist Zeit, wieder zornig zu werden."

Die Gründe ihres Zorns legt sie auf 460 Seiten dar, die irgendwie bekannt vorkommen. Im Schnelldurchlauf: (Alle) Männer zwingen Frauen, sich zu schminken, zu fasten und sich die Brüste vergrößern zu lassen. Dann holpert sie durch das ganze Elend von Abtreibung, Verstümmelung und Vorsorgeuntersuchung, die sie offenbar ablehnt: "Es ist viel wahrscheinlicher, dass eine Vorsorgeuntersuchung den Seelenfrieden einer Frau zerstört, als dass sie ihr Leben rettet." Dem folgt die Suada über Benachteiligung am Arbeitsplatz, schlechteren Lohn, die Last der Hausarbeit, die Qual des Einkaufens, den Schmerz der Kindererziehung und die "Penetrationstagesordnung" beim ganz normalen Sex.

Männer als Müttermacher

Alles schon tausendmal gesagt, geschrieben, wiedergekäut - meistens von Frauen, auch bei Greer recht einseitig. Neue Erkenntnisse und Entwicklungen, die nicht auf ihrer Linie liegen, hat sie einfach ignoriert. Überall ortet Greer von den Männern gequälte und benachteiligte Frauen. Nicht einmal bei der Zuteilung der Orden herrscht Gleichheit, das British Empire verteilt sie überwiegend an Männer. Dürfen wir sagen, die Deutschen seien da schon erheblich weiter, weil hierzulande sogar Vorkämpferinnen des Feminismus wie Alice Schwarzer mit dem Bundesverdienstkreuz geadelt werden? Schwarzer hat sich das ihrerzeit sogar gefallen lassen.

Zwischen all dieser tristen Gram informiert sie die Leserin, deren Ehegatte nicht kann, dass sie sich mittels eines oder zweier Löffelchen Sperma von einem ihr bekannten Mann und einer Pipette selbst befruchten kann. So könnten die hohen Kosten einer künstlichen Befruchtung eingespart werden, die ohnehin nur Männern diene, die sich als Müttermacher profilieren könnten. An weitere Folgen denkt Greer in diesem Punkt nicht. Längst haben die meisten Frauen in Europa erkannt, dass die Welt für sie gerecht(er) geworden ist. Feministinnen wie die Berliner Politologin Helga Lukoschat erklären heute unwidersprochen, der Emanzipationsprozeß sei "weitgehend abgeschlossen". Zusammen mit anderen Feministinnen (und auch Männern) denkt sie in der Heinrich-Böll-Stiftung längst wieder über ein Miteinander nach, über Gerechtigkeit für Männer und Frauen in einer Geschlechterdemokratie.

In den USA hat ausgerechnet Susan Faludi jüngst die Feministinnen erschreckt, indem sie über den "Betrug am amerikanischen Mann" schrieb. Würden Radikalfeministinnen fairer argumentieren, würden sie sehen, dass unter den Verlierern die Hälfte Männer sind. Doch dann müsste die Marxistin Greer klassenkämpferisch argumentieren statt als Vorkämpferin für ihr Geschlecht. Weil aber der Sozialismus out zu sein scheint, präsentiert sie uns eine Mogelpackung. "Wenn Gleichheit das Recht auf einen gleichen Anteil an den Profiten einer Wirtschaftstyrannei bedeutet, ist sie mit Emanzipation unvereinbar", schreibt sie zu Recht. "Freiheit in einer unfreien Welt ist nichts als ein Freibrief zur Ausbeutung."

Aber warum will die Marxistin nicht zusammen mit unfreien Männern auf die Barrikaden steigen? Dass der Zusammenbruch der Sowjetunion "bei den Frauen großes Leid verursacht" hat, mag sicher zutreffen. Und über ihnen strahlen alle Männer? Müsste nicht eine Sozialistin anmerken, dass die Trennlinie in Zeiten des Neoliberalismus nicht zwischen Mann und Frau verläuft, sondern zwischen oben und unten? Müsste sie nicht erkennen, dass auch die meisten Frauen, einmal oben angekommen, die Welt nicht besser machen? Statt dessen macht Germaine Greer es sich einfach und spricht einer Margaret Thatcher kurzerhand das Frausein ab.

Wäre es nicht an der Zeit zuzugestehen, dass "die Frauen" nicht die besseren, sondern auch nur Menschen sind? Und könnten dann vielleicht Menschen, Männer und Frauen, in einer neuen Allianz versuchen, die Welt ein bißchen gerechter zu gestalten? Wozu hat Greer dieses Buch geschrieben? Es offenbart einen Generationenkonflikt im Feminismus. Die Wut kochte in der alten Kämpferin hoch, als sie feststellen musste, dass die "Lifestyle-Feministinnen" zu all dieser himmelschreienden Ungerechtigkeit schweigen. Mehr noch, sie erklärten gar, der Feminismus sei zu weit gegangen. Die Frauen, schreibt sie, seien einen weiten Weg gegangen in den vergangenen dreißig Jahren, "unser Leben ist prächtiger geworden und reicher als früher, aber auch teuflisch kompliziert". Das haben die Menschen in den neuen Bundesländern auch gesagt.

Prügel für die Enkelinnen

Doch Greer sieht vornehmlich "Milliarden von Verliererinnen" und "eine Handvoll Gewinner". Greer, inzwischen 61 Jahre alt, ist die Undankbarkeit der feministischen Töchter ein Dorn im Auge, sie jammert darüber, dass "alte Feministinnen" heute "von jungen Feministinnen verhöhnt werden." Wäre ja noch schöner! In diesem Fall, belehrt sie, "müssen sie damit rechnen, scharf getadelt zu werden. Es ist bekannt, dass große Schwestern nervende kleine Schwestern von Zeit zu Zeit verprügeln." Große Hoffnung, dass die zweite Welle des Feminismus von ihnen kommen könnte, hat Greer offenbar nicht. Sie setzt auf China, Thailand oder auf den Iran.

Doch in erster Linie zielt auch dieses Buch wieder gegen "die Männer". Männer aber werden es nicht lesen, es empfiehlt sich auch nicht. Es taugt nicht einmal, um sich zu ärgern. Dieses männliche Urteil könnte allerdings trotzige Frauen dazu verleiten, es zu lesen. Bitte. Wenn Sie nichts Besseres vorhaben.

Peter Köpf

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